20 Jahre hat er in Bad Kissingen gewohnt, sagt Siegfried Ortmann, der aus dem thüringischen Eisenach stammt. Von 1955 bis 1975 war er Pächter der einstigen Esso-Tankstelle am Berliner Platz. Und ohne Bad Kissingen wäre er wohl nie zu Olympischen Spielen gekommen. Schließlich war es der mittlerweile verstorbene Franz Ludwig von den Königlich Privilegierten Freihandschützen, der 1963 auf ihn zukam und anregte, dass er es mit dem Bogenschießen versuchen könne.
Er sei wohl ein Naturtalent gewesen, sagt Siegfried Ortmann. "Ich habe einen Blitzstart hingelegt." Denn 1966 nahm er bereits an den Europameisterschaften teil. Zusammen mit Franz Ludwig und Friedel Krapf rief er die bis heute existierende Bogenschützen-Abteilung bei den Königlich Privilegierten ins Leben. Krönung seiner sportlichen Laufbahn war dann zweifellos die Olympiateilnahme 1972. 35 Jahre alt war er damals. Heute ist er 67.
Erstmals seit den Spielen von 1920 in Antwerpen war Bogenschießen in München wieder olympische Disziplin. Geschossen wurde im Englischen Garten. Für Siegfried Ortmann sprang zwar nur Platz 14 heraus. Aber die Olympia-Teilnahme war für den damaligen Kissinger etwas ganz Besonderes. Gewohnt hat er seinerzeit im Doppelzimmer im Olympischen Dorf zusammen mit Richard Krust, ebenfalls ein Bogenschütze, der es allerdings nur auf einen Platz um die 30 gebracht habe, erinnert sich Ortmann. Und er erinnert sich noch an etwas ganz Anderes.
Von ihrem Fenster aus hatten sie nämlich direkten Blick auf die Zimmer, in denen die israelische Mannschaft untergebracht war. Und als dort in den frühen Morgenstunden des elften Wettkampf-Tags die arabische Terrororganisation "Schwarzer September" zuschlug, bekam Ortmann das Geschehen hautnah mit. Als er die Schüsse hörte, die dem Ring-Trainer der israelischen Olympia-Mannschaft, Moshe Weinberg das Leben kosteten, hätten er und sein Zimmer-Kollege das Ganze zunächst nicht allzu ernst genommen, sagt Ortmann. "Ja, sollen wir jetzt vielleicht unsere Bögen auspacken", habe er sich im ersten Moment gefragt.
Spiele offiziell unterbrochen
Als kurze Zeit später Hundertschaften der Bereitschaftspolizei anrückten, war freilich allen der Ernst der Lage klar. Das Schlimmste habe sich ja nicht im Olympischen Dorf ereignet: Das Schlimmste - das waren die Geschehnisse auf dem Militärflughafen Fürstenfeldbruck, bei denen alle neun israelischen Geiseln und fünf der acht arabischen Terroristen den Tod fanden. Das IOC erklärte noch am selben Tag, dem 5. September, die Spiele offiziell für unterbrochen. Nach einer Trauerfeier am nächsten Tag um 10 Uhr gingen die Spiele um 13 Uhr weiter. Die Olympischen Spiele hatten ihre Heiterkeit und Unschuld verloren.
Das Verarbeiten dieser Ereignisse habe lange Zeit beansprucht, sagt Ortmann. "Aber das gehört ja zum mentalen Training dazu." Das Attentat hatte natürlich den Wettkampf-Plan durcheinander gebracht. "Wir Bogenschützen standen ja in den Startlöchern", sagt Ortmann. Mit einem Tag Verspätung fanden dann die Bogen-Wettbewerbe statt.
Aber nicht nur die Terrorgefahr war damals wie heute ein Thema bei Olympia. Auch das Doping: Zwei Fälle schockten bereits 1972 nachträglich den Radsport: Dem holländischen Straßenvierer und dem Spanier Huelamo wurden die Bronzemedaillen aberkannt. Hinter vorgehaltener Hand sei bereits vor 32 Jahren über Doping gesprochen worden, meint Ortmann. "Aber gekifft wurde da noch nicht."
Es hätten nicht die letzten Olympischen Spiele für Ortmann sein können. Er packte nämlich auch die Olympia-Qualifikation für Montreal 1976. Da hatte er sich aber schon beruflich umorientiert. Sein Pachtvertrag für die Kissinger Esso-Tankstelle war ausgelaufen. Und er hatte seine jetzige Frau Roswita geheiratet, eine Kissingerin. Siegfried Ortmann verzichtete auf eine zweite Olympia-Teilnahme.
Als feststand, dass der gelernte Tankstellen-Kaufmann eine Esso-Filiale in der Wasserburger Landstraße im Münchner Osten übernehmen würde, ernannten ihn die Königlich Privilegierten in Kissingen zum Ehrenmitglied - und bis zum heutigen Tag hält er diesem Verein die Treue.