
Ja, natürlich war er dabei, beim ersten Play-off-Spiel um die deutsche Meisterschaft. Natürlich sei man vorgewarnt genug gewesen, sagte Tischtennis-Ikone Timo Boll. Natürlich kam Borussia Düsseldorf mit voller Kapelle zum TSV Bad Königshofen, mit fünf Olympiateilnehmern demnächst in Paris. Überraschend war deshalb, dass die Grabfelder den Rheinländern gleich im ersten von zwei oder drei Play-off-Spielen (Modus Best-of-3) reinen Wein einschenkten und sie mit einer 1:3-Niederlage von der Saale an den Rhein zurück schickten.
Von Druck war allenthalben die Rede gewesen vor dem Spiel. Und danach gab dieser unglaublich normale und sympathische Welt-Star im Gespräch mit dem ebenso rüberkommenden Hallensprecher Jochen Breyer vom ZDF-Sportstudio dem Publikum zu Gehör: "Druck haben wir immer, egal gegen wen und bei welchem Spielstand. Den macht man sich, wenn man dem Gegner den nötigen Respekt entgegen bringt, was hier selbstverständlich war. Es hat sich mehr zu Stress entwickelt, für den ihr Fans und eure Spieler gesorgt haben." Dass ihm nach diesem öffentlichen Interview das Publikum mit nicht enden wollenden "Timo-Timo"-Rufen huldigte, als sei er ein Einheimischer, brachte die gesamte Stimmung dieser relativ historischen Veranstaltung mit Kult-Status auf den Punkt.
Bei der alle über sich hinauswuchsen, besonders Jin Ueda, der beide Einzel gewann. Und das traditionell hilfreiche Publikum, dem die 70 ehrenamtlichen Helfer ein meisterliches Ambiente hingezaubert hatten. In euphorisierende Worte gepackt vom Hallensprecher-Duo Jürgen Halbig, TSV-Eigengewächs, und Jochen Breyer, spezieller Freund der Badestadt und ZDF-EM-Moderator.
Neongelbe Farbtupfer ins Publikum brachten die extra für das Highlight kreierten Play-off-2024-T-Shirts mit dem Aufdruck "Yes wie KÖN." Wobei ein Tischtennis-Schläger mit zwei Bällen das Ö zeichnete. Keiner der rund 900 Zuschauenden und Akteure kam an dieser Stimmung vorbei, die es laut Boll, Källberg und Dang Qiu nirgendwo sonst gebe. Was vom Discjockey nicht eh schon aufgelegt wurde, intonierten Kreative aus dem Publikum, federführend die Orangenen vom Fan-Klub Ping-Pong-Ultras. Bezeichnend für das gute Verhältnis der beiden Klubs war, dass die Team-Boxen des TSV und der Borussia nicht diametral entfernt, sondern direkt nebeneinander eingerichtet waren.
Bastian Steger schlägt Anton Källberg dramatisch
Und zum sportlichen Teil: In allen vier Einzeln ging der erste Satz an die Gäste. Drei Mal schlugen die Gastgeber erfolgreich zurück. Auf welch gleicher Augenhöhe belegen diese Zahlen: 181:182 Bälle erbrachten 10:8 Sätze und 3:1 Spiele für den TSV. Mit einem Paukenschlag begann die 3:40 Stunden dauernde Veranstaltung. Das war die Partie von Jin Ueda, der bis dahin eine knapp positive Bilanz vorzuweisen hatte, gegen Timo Boll, der von Coach Danny Heister an 2 gesetzt war. Schon was im ersten Satz von 6:10 bis 10:10 und dann doch 10:12 abging, machte Appetit auf den folgenden sportlichen Leckerbissen mit Vier-Gänge-Menü. Es entwickelte sich ein Fünf-Satz-Krimi, der mit einer 1:0-Führung für jene endete, die "die Jungs vom Rhein nur ein bisschen ärgern" wollten.
Mit musikalischer Umrahmung von Gassenhauern wie "Wenn nicht jetzt, wann dann" bis "An Tagen wie diesen" wurde die Stimmung hoch gehalten, aber auch durchs Sportliche. Denn bei Bastian Steger gegen Anton Källberg (Nr.12 der Weltrangliste) entwickelten sich die fünf Sätze noch dramatischer. Der TSV-Leitwolf verlor seine zwei Verlust-Sätze mit jeweils 7:11, die drei anderen gewann er mit 12:10, 14:12 und 14:12 – nach Abwehr eines Matchballs mit seinem vierten Matchball. Noch ausgeglichener geht nicht – ein Schuss Glück gehört eben auch dazu. Und die nötige Resilienz, sich nach Negativserien im Spielverlauf wieder mental zu regenerieren.
Jin Ueda sorgt für die Entscheidung
Doch wen hatte denn Düsseldorf da an 3 gegen Filip Zeljko aufgeboten? Keinen Geringeren als den Europameister Dang Qiu, Weltranglisten-Zehnter. Zeljko ging ans Limit, riss auch den dritten Satz noch aus dem Feuer, musste sich aber ehrenvoll doch noch beugen – 2:1. Und Kollege Ueda ins Rennen gegen Källberg schicken. Vermutlich hätte an einem Tag wie diesem einer der großen Chinesen kommen müssen, um ihm die Grenzen abzustecken. Dabei waren alle vier Sätze bis 8 oder 9 total ausgeglichen, bevor "Völlig losgelöst" und "Deutscher Meister wird nur der TSV" vom 900-Stimmen-Fischerchor gesungen wurden. Denn Ueda macht in 3:1-Sätzen alles klar.