Die Fußballtore stehen noch an ihrem gewohnten Platz, die Netze sind allerdings hochgeklappt und der Rasen gleicht auch eher einer Wiese. Es ist unübersehbar: Fußball gespielt wird auf dem idyllisch am Waldrand gelegenen Sportplatz des SV Leinach im südöstlichsten Zipfel des Landkreises Rhön-Grabfeld schon lange nicht mehr. Zum 40-jährigen Vereinsjubiläum gab es vor knapp zehn Jahren noch einmal ein Einlagespiel der Alten Herren gegen die Nachbarn aus Sulzfeld, der offizielle Spielbetrieb war bereits einige Jahre zuvor nach dem Ende der Spielgemeinschaft mit dem TSV Oberlauringen eingestellt worden.
Der Sportplatz des SV Leinach wird nur noch zu einem Drittel genutzt
Seitdem kamen meist nur noch die Wildschweine zu Besuch und verwüsteten dabei immer wieder den Rasen. Aktuell wird daher auch nur noch ein Drittel des Spielfeldes im Sommer für das Kinderturnen in Schuss gehalten. Die neue sportliche Heimat des SV Leinach ist mittlerweile hingegen das Gemeindehaus. Das ist an diesem Freitagabend im März um 19.30 Uhr bereits gut gefüllt. Eine halbe Stunde ist es noch bis zum im Vorfeld groß angekündigten Doppel-Derby zwischen dem SV Leinach und dem TSV Oberlauringen. Es geht um Punkte in den untersten beiden Ligen, vor allem aber ums Prestige. Eigentlich alles wie früher. Doch statt Fußball wird nun Darts gespielt.
"Für uns ist es das Spiel des Jahres. Mit dem Großteil der Oberlauringer haben wir früher noch zusammen in einer Mannschaft Fußball gespielt", sagt Thomas Harth, der Kapitän des SV Leinach II. Knapp sechs Jahre liegt die Gründung der Dartabteilung beim SV Leinach mittlerweile zurück. Die Anzahl der Aktiven ist seitdem kontinuierlich gestiegen. 18 Männer und eine Frau sind aktuell dabei. Der Jüngste ist 21 Jahre, der Älteste 68. "Beim Darts gibt es keine Altersgrenze nach oben. Auch im hohen Alter kann man noch mithalten und sich immer weiter verbessern", sagt Harth.
Das betont auch Andreas Hofmann, seit gut zwei Jahren Vorsitzender beim SV Leinach und selbst aktiver Dartsspieler in der ersten Mannschaft. "Gerade für Vereine aus kleinen Ortschaften ist Darts ideal. Für eine Mannschaft braucht man maximal fünf Spieler", sagt Hofmann. Etwa 220 Menschen wohnen in Leinach, einem Ortsteil der Gemeinde Sulzfeld am Rande der Haßberge. Knapp ein Viertel davon ist an diesem Freitagabend ins Gemeindehaus zum Doppel-Derby gegen die beiden Teams aus Oberlauringen gekommen. Die Stimmung ist gut. Viele tauschen sich bei einem Bier über die Neuigkeiten im Ort aus. Zudem wird vom Küchenteam Jägerschnitzel mit Pommes und Salat angeboten.
Zu den interessierten Zuschauern gehört auch Günter, der selbst viele Jahre in der Vorstandschaft des SV Leinach aktiv war und an diesem Abend mit seiner Frau zum Zuschauen vorbeikommt. "Früher standen andere Sportarten wie Fußball oder Wandern im Mittelpunkt. Aber ich finde es klasse, was die neue Vorstandschaft da auf die Beine stellt." Auch wenn er es ab und an schon vermisse, am Sonntag auf den Fußballplatz zu gehen, habe auch ihn mittlerweile das Dartfieber gepackt. "Zu Weihnachten habe ich eine Dartscheibe bekommen. Ich muss aber erst noch etwas üben, bevor ich fürs Team infrage komme. Blamieren will man sich ja auch nicht."
Mittlerweile hat sich das Gemeindehaus weiter gefüllt. Da auch die Gäste aus dem gerade einmal zwei Kilometer entfernten Nachbarort einige Fans mitgebracht haben, müssen sogar noch extra Stühle herbeigeschafft werden. Von feindseliger oder gar aggressiver Stimmung ist jedoch nichts zu spüren. "Die Rivalität ist überhaupt nicht mit dem Fußball zu vergleichen. Bei den Fußball-Derbys früher gegen Oberlauringen ging es noch ganz anderes zu", erinnert sich Harth.
Wie gut und freundschaftlich das Verhältnis der beiden Vereine ist, belegt eine Anekdote aus dem vergangenen Herbst. Als in Sulzfeld damals ein Baum auf eine Oberleitung gefallen und der Strom für längere Zeit weg war, saßen auch die Darter im Gemeindehaus in Leinach plötzlich im Dunklen. Zu diesem Zeitpunkt lief gerade ein Pokalspiel und die Leinacher lagen aussichtsreich in Führung. "Wir wollten die Partie daher unbedingt zu Ende spielen", erinnert sich Harth.
Nachbarn aus Oberlauringen helfen den Leinachern bei einem Stromausfall
Zunächst kam die Idee auf, sich bei der Freiwilligen Feuerwehr die LED-Lampen zu leihen und das Gemeindehaus auszuleuchten. "Die Feuerwehr hat die Lampen jedoch selbst benötigt. Dann ist uns eingefallen, dass die Oberlauringer zum gleichen Zeitpunkt auch ein Heimspiel hatten und wir haben mit ihnen Kontakt aufgenommen. Da deren Partie bereits zu Ende war, stellten sie uns ohne zu Zögern ihre Anlage zur Verfügung. Wir sind also zusammen mit unserem Gegner nach Oberlauringen gefahren und haben dort die Begegnung doch noch zu Ende spielen können."
Beim Nachbarn in Oberlauringen haben sich die Leinacher übrigens auch den Aufbau der Dartanlage abgeschaut. Während vor einigen Jahren noch einfach die Scheiben an die Wand gehängt wurden, gibt es im Leinacher Gemeindehaus neben Tabletts und Bildschirmen mittlerweile auch fünf aufklappbare Holzkästen. "Die können wir einfach auf- und zuklappen, sodass der Raum weiterhin ohne großen Aufwand auch für andere Veranstaltungen genutzt werden kann", erklärt Harth.
Rudi Mai ist mit 68 Jahren der Senior im Leinacher Team
Sportlich läuft es für die Leinacher an diesem Abend zunächst nicht so gut. Nach der ersten Halbzeit liegen die beiden Teams der Gastgeber jeweils mit 2:4 zurück. "Ich ärgere mich schon sehr, da ich nicht das gezeigt habe, was ich eigentlich kann", sagt Rudi Mai nach seiner 2:3-Niederlage im Doppel zusammen mit Jonas Fahl. Mit 68 Jahren ist Mai der Senior im Team der Leinacher und fühlt sich pudelwohl unter all den Jüngeren. "Es ist ein tolles Miteinander und hält mich jung. Wenn mal ein Dart aus dem Board fällt, heben ihn die Jungen und auch gegnerische Spieler gerne für mich auf. Das finde ich toll."
Angefangen mit dem Darten hat Mai bereits vor der Corona-Pandemie. "Für mich war das in erster Linie ein Ausgleich zur zeitintensiven Pflege meiner Schwiegermutter. Wenn ich am Abend zwei Stunden gedartet habe, war der Kopf nach einem anstrengenden Tag wieder frei." Mit den Jahren verbesserte sich Mai stetig, investierte in die Ausrüstung und baute sich zu Hause selbst einen Dartkasten nach. "Pro Woche trainiere ich vier- bis fünfmal. Der Körper sagt zwar manchmal schon Nein, das Herz aber Ja." Und so können sich die Leinacher auch weiterhin auf ihren Oldie verlassen, wenn einmal Not am Mann ist.
Die Begeisterung in dem kleinen Dorf für Darts ist so groß, dass in der kommenden Saison wahrscheinlich sogar eine dritte Mannschaft am Spielbetrieb teilnehmen wird. Auch in anderen Ortschaften der Region gibt es Neuanmeldungen, sodass im Herbst eine weitere Liga dazukommen dürfte. "Die Corona-Pandemie hat dem Dartsport im Gegensatz zu anderen Mannschaften einen enormen Schub gegeben", glaubt SV-Vorsitzender Andreas Hofmann. "Ich war selbst zweimal in Quarantäne und habe aus Langeweile dann fünf Stunden am Tag zu Hause gedartet."
Um kurz vor Mitternacht sind die beiden Derbys beendet. Während der SV Leinach I gegen den TSV Oberlauringen II zumindest noch zu einem 6:6-Unentschieden kommt, muss sich der SV Leinach II dem Tabellenführer TSV Oberlauringen III mit 3:9 geschlagen geben. Der guten Stimmung im Gemeindehaus tut das aber keinen Abbruch.