Vor 50 Jahren war Deutschland in der Zeitrechnung des Fußballs gerade ein Jahr vorher bei der WM in Mexiko im Halbfinale an Italien im Jahrhundertspiel mit 3:4 gescheitert. Es war drei Jahre, bevor man 1974 zum zweiten Mal Weltmeister wurde. In Kleinbardorf ging 1971 für die DJK die erste Frauen-Fußballmannschaft des heutigen Landkreises, drei Jahre vor dessen Reform, im offiziellen Spielbetrieb des Bayerischen Fußball-Verbandes (BFV) an den Start. Meister-Urkunden und -Bilder hängen heute einige im Sportheim oben am "Stadion Rote Erde." So nennen die Kleinbardorfer mit einer Prise Selbstironie ihren Naturkies-Fußballplatz ohne ein Grashälmchen, den womöglich schlechtesten des Landkreises und weit darüber hinaus, "den alle Gegner hassten wie die Pest und wir deshalb liebten".
Bereits nach zwei Jahren konnten die Frauen der DJK Kleinbardorf die erste Meisterschaft feiern. Laut Urkundentext wurden sie erstmals "Meister im Spieljahr 1973 im Damen-Fußball Kreis Schweinfurt." 50. Jubiläen werden normalerweise anders begangen als zurzeit, zum 40. gab es beispielsweise ein großes Ehemaligen-Treffen. "Eine richtige Sause", wie sich Anita Full und Roswitha Helmerich aus jener 1971er-Gründermannschaft erinnern. "Das wäre – ohne Corona - zum 50. getoppt worden", sind sie sich sicher. Zusammen mit Trainer Ruthard Brand, dem zweiten seinerzeit, und der heutigen DJK-Vorsitzenden Ines Brand, Tochter einer damaligen Spielerin, tauschten sie unter Einhaltung der Hygieneregeln Erinnerungen aus.
Es ist dunkel, richtig gespenstisch im sonst so gemütlichen und schmucken Sportheim. Die Rollläden sind unten. Ein paar Ritze spenden etwas Licht, bis die Sicherung drin und die Beleuchtung an ist. Die Stühle stehen oben auf den Tischen. In der Vitrine Pokale en masse, an der Wand DJK-Historie in Bild und Schrift. Auf einem Tisch Fotoalben, Ergebnislisten, Zettel mit Aufstellungen, Erinnerungsmaterialien jeder Art. Dazu kommend ein Gedächtnis von Anita Full und Roswitha Helmerich, als wäre es gestern gewesen. "Weißt du noch, beim 5:0-Sieg gegen Schweinfurt 05?" Da funkeln die Augen der beiden Protagonistinnen, wenn man schon wegen der Masken weiter nichts von den Gesichtern sieht, als sie sich Komplimente austauschen. "Wie du hinten dicht gemacht hast" und "wie du deine vier Tore gemacht hast, kaltschnäuzig und mit Torriecher".
Erfolgsmodell der DJK: Zwei Häuptlinge und neun Indianer
Schnell wird klar und Ruthard Brand bestätigt es: "Das Erfolgsmodell der DJK Kleinbardorf, das waren zwei Häuptlinge und neun Indianer." Jen, Roswithas Spitzname, damals und heute noch: "Gell Anita, du hast die Abwehr organisiert, wir haben kaum Gegentore bekommen, du warst unser Beckenbauer." Anitas Antwort: "Und du vorne der Gerd Müller." Anita war der Libero und Roswitha der Knisper. Diesen Ruf haben sie sich bis in die nächste Generation bei Beschreibungen jener Mannschaft erhalten. Gendersprachlich gefühlt zum Magenumdrehen falsch, damals jedenfalls korrekt.
Wie kam es denn überhaupt dazu, dass in Kleinbardorf Frauen Fußball spielten? Zu einer Zeit, als Fußball von Frauen allgemein kein Thema war, als kurz vorher vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) das Frauenfußball-Verbot überhaupt erst aufgehoben wurde? Anita Full, damals noch Then, erinnert sich: "Ich habe schon immer Fußball gespielt, mit den Buben halt. Bei der WM 1970 hat mich dann der Virus gepackt. Ich ging zum damaligen Vorstand Egid Halbig und habe gesagt: Also horch zu, ich möchte zukünftig auch Fußball spielen." Die Antwort des Vorsitzenden: "Aber du spielst doch eh jeden Tag." Darauf Anita: "Ich will aber in einer Mannschaft spielen." Dann habe er sie angeguckt, gegrinst und gesagt, "seh erst mal zu, dass du genügend Mädlich zammkriegst, dann seh mer weiter." Anita begann sofort mit dem Hausieren und brachte tatsächlich eine Mannschaft zusammen, die beim BFV zum Spielbetrieb angemeldet wurde. "Ohne Vorstandsbeschluss. Egid Halbig war eine Institution. Das nahm der Egid auf seine Kappe. Und er gab uns auch jede denkbare Unterstützung."
Mädchen und Frauen auch aus den umliegenden Dörfern
Natürlich waren auch Mädchen und Frauen aus anderen Dörfern wie Saal, Merkershausen oder Großbardorf dabei. "Erster Trainer war der Herr Lurz aus Althausen. Seine Frau Elisabeth hat auch mitgespielt. Wenn er sie beim Training kritisierte, bekam er öfter mal zu hören: Du glaubst wohl, da kannst du mich rum kommandier." Herr Lurz muss ansonsten aber eine ungeheure Respektsperson gewesen sein, weil Anita Full und Roswitha Helmerich trotz mehrmaligen Nachfragens und Überlegens nicht auf seinen Vornamen (Arnulf) kommen. Ruthard Brand war sein Nachfolger auf der Trainerbank. "Ich habe das übernommen, als ich noch im letzten Jahr A-Jugend drüben in Merkershausen spielte." Emil Full aus Ballingshausen war einer der nächsten Trainer, nahm Anita irgendwann zur Frau und stieg später zusammen mit ihr beim FC Schweinfurt 05 ein. Sie wurden zu Ikonen des höherklassigen Frauenfußballs der Schnüdel.
Über die Spielerinnen aus der Erinnerung und auf den Fotos reden die beiden DJK-Urgesteine fast nur mit Vornamen: "Die Hiltrud, die Marion, die Doris, die Emma, die Magda, die Rita und die Olga." Auch, weil die meisten heute natürlich andere Nachnamen haben. Die Altersspanne war eine sehr weite. Roswitha und Anita behaupten, dass sie mit 14 Jahren die Jüngsten waren. Ines Brand korrigiert: "Meine Mama war auch von Anfang an dabei, sie war 13."
Drei Meisterschaften in den 1970er Jahren
Die Geschichte des Frauenfußballs in Kleinbardorf war eine sehr erfolgreiche, aber auch eine relativ kurze. Insgesamt zehn Jahre gab es Frauen-Fußball bei der DJK. Dann musste man sich notgedrungen wieder vom Spielbetrieb abmelden, weil einige Spielerinnen aus beruflichen oder familiären Gründen nicht mehr zur Verfügung standen. Einige sind wegen der Liebe auch weggezogen. "Das Interesse und die Euphorie waren aber auch verflogen" Als Pioniere gingen die Kleinbardorferinnen dennoch in die Geschichte des Frauenfußballs im Landkreis ein. Wenig später gesellten sich noch der TSV Höchheim, der TSV Saal, der TSV Unsleben und die DJK Wegfurt dazu. Zusammen mit dem FC Hammelburg, dem TSV Münnerstadt, dem SV Schraudenbach, dem TSV Westheim und dem FC Schweinfurt 05 spielten sie in einer Verbandsrunde. Nach heutiger Einteilung Unterfranken Ost, damals Kreis Schweinfurt.
Auf- und Abstiegsregelungen gab es erst mit den Jahren, als mehr Mannschaften gemeldet und gegliederte Strukturen im Frauenfußball geschaffen wurden. Von drei Meisterschaften im Kreis Schweinfurt zeugen die Urkunden an der Wand im DJK-Sportheim: 1973, 1975, 1978. Anita Full, die viel erreicht hat und in Auswahlmannschaften herumgekommen ist, hat ein für die damalige Zeit herausragendes Erlebnis in Erinnerung. Das allerdings auch von der tatsächlichen Einschätzung des Frauenfußballs seinerzeit zeugt: "Es war der 2. Juni 1973. Beim Bundesligaspiel der Offenbacher Kickers gegen den FC Bayern München (0:3) auf dem Bieberer Berg durfte unsere Mannschaft zur Halbzeitpause in voller Fußball-Montur aufs Spielfeld."
Kuriose Begründung für das Verbot von Trikotwerbung
Aber nicht etwa, um Fußball zu spielen, sondern als Werbeträger für Rasenmäher der Firma Bieberhaus Offenbach, das führende technische Kaufhaus. "Eine von uns, Irmgard Ruiner, und ihr Mann Willi wohnten in Kleinbardorf und er arbeitete in Offenbach beim Deutschen Wetterdienst. Dort hatte er auch seinen Zweitwohnsitz. Über ihn und den Verein SG Wiking Offenbach, mit dem wir noch viele Jahre freundschaftlich verbunden waren, kam der Kontakt mit dem Kaufhausbesitzer zustande. So durften wir also, jede mit einem Rasenmäher ausgerüstet, während der Halbzeitpause den gemähten Rasen noch einmal mähen." Die Gage für die Kleinbardorfer Frauen: ein Satz Trikots. Ohne Werbe-Aufschrift, weil damals für Frauen vom DFB noch verboten. Der Grund: "Weil durch den Busen die Schrift verschiedenartig verzerrt wird."