Donnerstag, 30. Mai 1991, ein Feiertag (Fronleichnam) vor fast 30 Jahren – ein Tag, historisch und unvergessen für den 1949 gegründeten SV Burgwallbach. Ein Tag, an dem in dem Fußball-verrückten Ort alle Dämme brachen. Den Grund für eine "rauschende" Nacht hatte die 1. Fußball-Mannschaft des SV geliefert. Die hatte nämlich am Nachmittag in einem denkwürdigen Krimi voller Dramatik und Nervenkitzel den TSV Oberthulba mit 9:8 (4:4, 3:3) nach Elfmeterschießen (insgesamt 14 Strafstöße) vor 2.500 Zuschauern im Waldstadion in Reichenbach in die Knie gezwungen und den größten Erfolg der Vereinsgeschichte, die Meisterschaft in der A-Klasse Nord und damit den Aufstieg in die Bezirksliga, perfekt gemacht. Es war das Entscheidungsspiel um die Meisterlorbeeren, nachdem beide Rivalen punktgleich durch's Ziel gegangen waren.
"Ich war unheimlich aufgeregt und habe in der Nacht vorher nicht wirklich schlafen können", erinnert sich Klaus Illig, damals 29 Jahre alt. Er, der den Fußball mit Leidenschaft lebt, führte seine Mannschaft als Spielführer auf den Rasen von Reichenbach. Ihm kam zudem als Libero eine zentrale Rolle zu. "Ich hatte vorher kein gutes Gefühl", wertete er die 3:5-Niederlage seines SV an gleicher Stätte acht Jahre zuvor (1983) – ebenfalls ein Entscheidungsspiel um die Meisterschaft, damals gegen den VfL Bad Neustadt – als schlechtes Omen. Angesichts der äußeren Bedingungen bekommt er heute noch eine Gänsehaut. "Wir waren eine Stunde vor dem Anpfiff auf dem Spielfeld und sahen, wie sich das Stadion füllte und füllte. Und es war heiß ohne Ende."
"Wir packen's, denn dann fahr' ich in Urlaub"
Die Zuschauer brauchten ihr Kommen in keinster Weise zu bereuen. Dieser Fight war die vier Mark Eintrittsgeld mehr als wert. Ein Spektakel, ein richtig gutes Spiel mit sechs Toren allein in der ersten Halbzeit. Die Führung wechselte hin und her, für den SV trafen Holger Back und zwei Mal Christoph Illig. Im zweiten Durchgang hatten beide Teams ihr Pulver verschossen. Zunächst. Dann traf Holger Veth per Kopf zum 4:3 (83.) für Oberthulba. Aus der Traum? Der SV hätte im Falle einer Niederlage zwar noch zwei Aufstiegschancen über die Relegation gehabt. Aber darauf wollten sich die Burgwallbacher nicht verlassen.
Schon gar nicht Klaus Illig. Immerhin hatte er im Vorfeld der Partie versprochen "Wir packen's, denn dann fahr' ich in Urlaub." Der sonnige Süden (Caorle in Italien) war das Ziel. So blies der SV nach dem Motto alles oder nichts zur Schlussoffensive. Auch Illig hielt es nicht mehr hinten. Er weiß noch genau, wie er kurz vor Schluss den Ball vor Überschreiten der Torauslinie mit letztem Einsatz nach innen brachte und Torjäger Martin Mölter zum 4:4 vollendete.
Bernhard Vierheilig wird zum Elfmetertöter und Held
"In der Verlängerung waren beide Mannschaften eigentlich stehend K.o.", hatte Illig den Eindruck. Für ihn war klar: "Wer das 5:4 macht, gewinnt." Kein Torjubel mehr bedeutete: Die Spannung gipfelte im Elfmeterschießen. Klaus Illig, damals Elfmeterschütze Nummer eins beim SV, fing an – und scheiterte an Torwart Dietmar Schmidt. Das gleiche Missgeschick widerfuhr Christoph Illig. Dafür traf Oberthulba zwei Mal. 0:2 hinten. "Jetzt ist es aus und vorbei", war sich Illig sicher.
Aber da gab es noch einen Joker bzw. einen klasse Mann zwischen den Pfosten: Bernhard Vierheilig. Er avancierte zum Elfmetertöter. Zwei Strafstöße vereitelte er, während die SV'ler Jürgen Schrenk, Martin Mölter und Bruno Kleinhenz nervenstark vollendeten. Beim fünften Elfmeter für den TSV Oberthulba – er hätte das 4:3 und die Meisterschaft für ihn bedeutet – konnte Illig nicht mehr hingucken. "Ich habe mich an der Mittellinie rumgedreht und auf das andere, leere Tor geschaut." Und damit nicht gesehen, wie Bernhard Vierheilig Sieger gegen Andy Pastille blieb.
Der Rest war Freudentaumel und grenzenloser Jubel
Das Elfmeterschießen ging in die "Verlängerung": Wer jetzt zuerst verschießt, verliert. Joachim Stöhr legte für den SV vor – 4:3; Oberthulba glich aus; Holger Back erzielte das 5:4. Dann krönte Vierheilig seinen Sahnetag mit dem dritten gehaltenen Elfmeter: Er ahnte die Ecke, parierte und ließ den Oberthulbaer Schützen Dieter Heinrich verzweifelt zurück. Der Rest war Freudentaumel. Grenzenloser Jubel, der sich daheim in Burgwallbach fortsetzte. Die Musikkapelle empfing die Mannschaft und Fans am Ortseingang. Weit kamen sie zunächst nicht. Angestoßen wurde gleich mal im Gasthaus Zur Linde, nächste Station war das Gasthaus Zum Hirschen, bevor die lange Nacht im Sportheim eingeläutet wurde. Die aber nicht für jeden bis in die frühen Morgenstunden dauerte. "Ich hatte am nächsten Tag Frühschicht. Meine Frau und ich sind um Mitternacht heim. Und trotzdem habe ich die ganze Nacht nicht schlafen können," wirkte dieser Tag bei Klaus Illig nach. Übrigens: Für den Fall einer Niederlage, die dem SV noch die Chance auf den Aufstieg über die Relegation eröffnet hätte, hätte er einen Plan B gehabt: "Dann wäre der Urlaub ausgefallen", um gleich zu ergänzen, "wir hätten ihn verlegt."
Erfolgstrainer Sepp Stöhr war hart, aber herzlich
Als Erfolgstrainer und Meistermacher wurde der im Februar 2010 verstorbene, unvergessene Sepp Stöhr gefeiert. Illig hielt große Stücke auf ihn. "Er war hart, aber herzlich." Illig schätzte an ihm seine Fachkompetenz. "Er hat uns rangenommen, aber auch das gemütliche Beisammensein ist nie zu kurz gekommen." Illig erinnert sich in diesem Zusammenhang an die Meisterschaftsfeier im Sportheim. "Da hat sich der sonst eher besonnene und zurückhaltende Coach", wie unser Mitarbeiter damals schrieb "in den nächtlichen Sportheimtrubel gestürzt. Inmitten seiner Truppe gab er zu vorgerückter Stunde gekonnte und viel umjubelte solistische Gesangseinlagen." Vielleicht hat auch etwas anderes den Ausschlag für den Erfolg gegeben: An jenem Fronleichnamstag, wo in einer festlichen Prozession in einer Monstranz der Leib Christi durch die Straßen getragen wird, war auf Stöhrs Anwesen ein Hausaltar aufgestellt.
Bruno Kleinhenz, ebenfalls Mitglied des Meisterteams, kann Klaus Illig nur beistimmen. "Ich habe Sepp Stöhr bewundert." Seine Maxime habe "spielen und gehen" geheißen. Dahinter verbirgt sich das Dreiecksspiel – das Formieren eines Dreiecks durch drei Spieler, um dem ballführenden Mitspieler immer eine freie Anspielstation bieten zu können. Will heißen: Nach dem Abspiel sofort in Bewegung setzen und in den freien Raum stoßen. "Das haben wir bis zum Erbrechen geübt. Dadurch waren wir konditionell fit und haben hinten raus viele Spiele gewonnen."
Sepp Stöhr hatte seinerzeit als Coach beim SV in seinem Sohn Joachim eine große Unterstützung. Bruno Kleinhenz: „Der Joachim hat in Bayreuth sein Sportstudium abgeschlossen und auch die Trainerausbildung gemacht. Er hat dem Sepp immer die Trainingspläne aus Bayreuth gefaxt. Und am Wochenende ist er jedes Mal heimgefahren." Von Sepp Stöhrs Gesang zeigte sich auch Kleinhenz beeindruckt: "Er konnte sehr gut jodeln, das war immer ein Highlight bei unseren Feiern." Und schmunzelnd ergänzt er: "Sein Sohn Joachim fand's eher peinlich."
"Magath-Hügel" auch in Burgwallbach
Bruno Kleinhenz kommt auch auf den legendären, gefürchteten Trainings-Hügel von Felix Magath beim VfL Wolfsburg zu sprechen. Ein Hügel, mit steilen Treppen versehen und ein beliebtes Trainingsmittel des damaligen Coachs. 2009 gebaut, errang Wolfsburg zwei Monate nach der Errichtung das erste und bisher einzige Mal den deutschen Meistertitel. "Das hatten wir schon damals", erinnert sich Kleinhenz an den Hang hinter dem alten Sportplatz. "Da haben wir den Wald gepflügt", sagt er mit einem Schmunzeln. "Zu zweit sind wir unter Trainer Sepp Stöhr auf weichem Waldboden den Hang hinauf gesprintet mit dem Ziel, die Sprintfähigkeit zu verbessern. Da haben wir viel geschnauft, aber es hat auch viel gebracht."
Wenn Bruno Kleinhenz an den 30. Mai '91 denkt, kommt ihm eines sofort über die Lippen: "Hochdramatisch" und, mit Blick auf den 0:2-Rückstand im Elfmeterschießen, "wir lagen schon deutlich zurück". Was bei ihm die Hoffnung hochhielt: "Wir hatten noch gute Elfmeterschützen." Und eben Torwart Bernhard Vierheilig, den Schwager von Bruno Kleinhenz. Nicht nur er, die gesamte Mannschaft durfte den Keeper nach seinen drei parierten Elfmetern und dem Happy-End hoch leben lassen. Vierheiligs Frau Helene, so weiß ihr Bruder Bruno Kleinhenz, hatte die Spannung zum Ende der regulären Spielzeit hin nicht mehr ausgehalten. Sie unternahm einen kurzen Spaziergang mit ihrer Tochter. Als sie kurz vor Spielende zurückkam, begegneten ihr viele Zuschauer, die sich beim Stand von 4:3 und dem vermeintlichen Endergebnis schon auf den Heimweg machten. Plötzlich lauter Torjubel, der Ausgleich zum 4:4 und "alle sind sie wieder ins Stadion zurück gerannt."
Elf Jahre in der Bezirksliga auf Punktejagd gegangen
Für den Sportverein aus dem kleinen Ort, der mit vielen Eigengewächsen zu diesem Höhenflug ansetzte, wurde die Bezirksliga Ost keineswegs zu einer Eintagsfliege. Das motivierte Team wusste sich seiner Haut zu wehren. Insgesamt elf Jahre ging der SV in der Bezirksliga auf Punktejagd. Zwischendurch musste er zwei Mal in den sauren Abstiegsapfel beißen, kehrte aber postwendend wieder nach oben zurück. Als größter Erfolg ist in den Annalen des SV die Vizemeisterschaft in der Saison 2001/02 festgehalten – hinter Meister SV Rödelmaier. Niemals zuvor und danach klopfte der SV so lautstark an das Tor zur Bezirksoberliga. Es blieb ihm verschlossen, weil er das Relegationsspiel gegen die DJK/TSV Stadtprozelten mit 2:4 nach Verlängerung verlor. Die Bezirksliga-Zeiten endeten mit dem 15. Platz (Abstieg) am Ende der Saison 2003/04.
Seit dieser Zeit hat sich die 1. Mannschaft in der Kreisliga etabliert. Zwei "Betriebsunfälle" (Abstieg in die Kreisklasse in der Saison 2010/11 und 2012/13) wurden umgehend mit dem sofortigen Wiederaufstieg behoben. Dabei gab es 2012 die späte Revanche für 1983, als der SV Burgwallbach/Leutershausen – vor vielen Jahren erfolgte die Kooperation mit der DJK Leutershausen – als Vizemeister der Kreisklasse Rhön 3 im entscheidenden Relegationsspiel den VfL Spfr. Bad Neustadt, Zweiter der Kreisklasse Rhön 2, mit 3:2 bezwang. Den VfL Spfr. Bad Neustadt, mit dem eine im Jahr 2019 begonnene und wegen der Corona-Pandemie bis heute nicht beendeten Saison eine Spielgemeinschaft eingegangen wurde.