Ralf Rangnick bejubelte den Coup seiner Österreicher und genoss die Gänsehautatmosphäre vor der rot-weißen Fankurve. Arm in Arm standen Trainerteam und Spieler nach dem 3:2 (1:0) gegen die Niederlande in der untergehenden Sonne und hörten ergriffen zu, wie Tausende Österreicher „I am from Austria” sangen.
Als Erster der schweren EM-Gruppe D vor Frankreich und der Elftal ist Österreich ins Achtelfinale eingezogen, Gegner in Leipzig am 2. Juli wird die Türkei, Tschechien oder Georgien.
„Wir wollen zeigen, was in dieser Mannschaft ist und so weit kommen wie möglich. Jetzt sind wir Gruppensieger geworden, das ist eigentlich unglaublich”, sagte Rangnick, der Wille seines Teams sei „riesig”. Der Dortmunder Marcel Sabitzer, der in der 80. Minute das entscheidende Tor erzielt hatte, äußerte: „Wenn du die Niederlande schlägst, in der Gruppe Gruppensieger wirst, dann kannst du nicht so schlecht sein”.
Die Rangnick-Auswahl profitierte vom 1:1 der Franzosen im Parallelspiel gegen Polen. Die Niederlande und Frankreich hatten das K.o.-Ticket schon vor dem abschließenden Gruppenspiel sicher. „Für uns stand an oberster Stelle, weiterzukommen, das haben wir geschafft. Jetzt gilt es, wieder runterfahren, Kopf freibekommen von der Sache, und dann greifen wir weiter an”, sagte Sabitzer.
Holland droht nun als Dritter der Gruppe ein deutlich schwererer Gegner. „Es war in jeder Hinsicht ein sehr schlechtes Spiel von uns”, sagte Starspieler Virgil van Dijk. „Wenn wir bei diesem Turnier etwas erreichen wollen, dann müssen wir schleunigst etwas verändern. Es gibt nicht den einen Schuldigen, wir sind alle verantwortlich.”
Im Olympiastadion sorgte ein Eigentor vom Dortmunder Donyell Malen (6. Minute) für die Führung Österreichs. Kurz nach der Pause vollendete Cody Gakpo (47.) einen schnellen Gegenangriff der Elftal zum zwischenzeitlichen Ausgleich. Werder Bremens Romano Schmid (59.) brachte Österreich erneut in Führung, ehe der viel gescholtene Memphis Depay (75.) wieder Holland jubeln ließ. Sabitzer entschied die Partie.
Wieder Tausende Niederländer in der Stadt unterwegs
Wie schon in Hamburg und Leipzig war die Berliner Innenstadt vor der Partie orange dominiert. Auf den Tag genau 36 Jahre nach dem EM-Triumph von München zogen nach Angaben der Polizei rund 20.000 Niederlande-Fans bei einem fröhlichen Fanmarsch zum Stadion. Der niederländische Verband KNVB erwartete insgesamt 40.000 Fans in der Stadt.
Auch der berühmte „Oranjebus”, ein in den Farben der niederländischen Nationalelf gehaltener Doppeldeckerbus, war dabei. Rund 8500 der mindestens 20.000 erwarteten Österreicher feierten bei bestem Sommerwetter am Breitscheidplatz und marschierten von dort los.
Dank Malen feierten im Stadion nach sechs Minuten zunächst nur noch die Rot-Weißen. Österreichs Alexander Prass hatte den Ball scharf nach innen gepasst, wo er zwar keinen Mitspieler fand, wohl aber Malen, der den Ball per eingesprungener Grätsche ins eigene Tor lenkte.
Niederländer lassen Chancen liegen
Der Dortmunder Profi blieb vom Pech verfolgt. Zwar belebte er über die rechte Seite kommend die niederländische Offensive, vergab aber wie zuvor Tijjani Reijnders kläglich eine Großchance. Auch Memphis Depay, der mit einem weißen Stirnband um den Kopf auffiel, blieb bei einem Kopfballversuch glücklos. Vieles hakte im Spiel der Elftal, die im gewohnten 4-3-3-System selten zur gewünschten Dominanz fand.
Die großteils in der Ostkurve untergebrachten niederländischen Anhänger litten still mit, während die Österreich-Fans in Hälfte eins lautstark sangen. „Immer wieder, immer wieder Österreich”, tönte es von den Rängen. Und immer wieder setzte ihre Elf gegen defensiv anfällige Niederländer zu gefährlichen Vorstößen an. Einen Distanzschuss von Sabitzer parierte Bart Verbruggen, auch gegen Marko Arnautović war der niederländische Torwart zur Stelle.
Bondscoach Ronald Koeman, der neben Leverkusens Jeremie Frimpong zunächst auch auf Leipzigs Xavi Simons verzichtet hatte, korrigierte seine Entscheidung mit der Einwechslung von Simons noch vor der Trinkpause nach 34 Minuten - mit Erfolg. Der erste Angriff nach dem Seitenwechsel über den Leipziger führte zum sehenswerten Ausgleich durch Liverpools Gakpo, zuvor hatte sich Florian Grillitsch einen folgenschweren Ballverlust geleistet.
Sabitzer trifft sehenswert
Der Hoffenheimer machte sein Missgeschick wieder wett, als er seinen Bremer Bundesliga-Kollegen Schmid fand, der die genaue Flanke per Kopf zur erneuten Führung der Österreicher verwertete. „Oh, wie ist das schön”, stimmten die Fans der Rangnick-Elf an.
Es entwickelte sich eine wilde Schlussphase, die Depay artistisch ansprechend mit dem abermaligen Ausgleich einleitete. Dann sah Rangnick, der in der Startelf unter anderem auf die Gelb vorbelasteten Christoph Baumgartner und Konrad Laimer verzichtet hatte, den wuchtigen Abschluss von Kapitän Sabitzer, der zum 3:2 hinter dem chancenlosen Verbruggen im Netz landete.