Diesmal sind es genau 3399,5 Kilometer, die die Radprofis zurücklegen müssen, wollen sie das Ziel der 110. Tour de France in Paris erreichen. Start ist an diesem Samstag im spanischen Bilbao. Danach wird es vor allem auf die Kletterqualitäten ankommen, denn selten war die Tour bergiger. Acht Etappen durch das Hochgebirge stehen in den kommenden drei Wochen auf dem Programm, darunter vier Bergankünfte. Im Gegensatz dazu gibt es nur ein Zeitfahren auf der 16. Etappe über 22,4 Kilometer. Die Entscheidung könnte erst am vorletzten Tag auf der schweren Etappe nach Le Markstein Fellering mit fünf Anstiegen fallen.
Kittel ist deutscher Rekordhalter in Sachen Tour-Etappensiege
Marcel Kittel ist mit 14 Etappensiegen deutscher Rekordhalter. Der ehemalige Sprinter sagt, dass er mit Blick auf das Streckenprofil froh sei, das Rennen nur noch von der Seitenlinie verfolgen zu dürfen. Von dort aus wird er höchstwahrscheinlich einen Zweikampf um das Gelbe Trikot zu sehen bekommen. Vorjahressieger Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar gehen als haushohe Favoriten ins Rennen.
Auf sie und auf alle anderen Profis kommen drei harte Wochen zu. "Man kann auf jeden Fall sagen, dass es eine sehr sehr schwere Tour de France wird", urteilt Kittel. Jan Ullrich hatte in den vergangenen Tagen gar von der schwersten Tour aller Zeiten gesprochen. Die Veranstalter hätten sich laut Kittel bemüht, tatsächlich jedes Gebirge in und um Frankreich zu integrieren. "Das fängt gleich mit einem echten Hammer im Baskenland an, wo von Anfang an maximaler Stress vorprogrammiert ist für die Klassement-Fahrer. Die haben eigentlich jeden Tag was zu tun und das macht es so herausfordernd. Wer vorne mitfahren will, muss immer wachsam sein. In diesem Jahr gibt es besonders viele Möglichkeiten, Zeit zu verlieren."
In den engen Straßen sind harte Positionskämpfe vorprogrammiert
Die Nervosität im Feld wird von Anfang an hoch sein. Dazu kommt, dass im Baskenland die Straßen eng sind und die Begeisterung der Menschen groß ist. "Es wird für die Fahrer immer wieder Stress sein, in die richtige Position zu kommen. Harte Positionskämpfe sind jetzt schon vorprogrammiert, da werden die Fahrer ins Risiko gehen", so Kittel.
Diese Prognose dürfte viele sofort an Gino Mäder erinnern. Der war bei der Tour de Suisse tödlich gestürzt. Alle hätten danach unter Schock gestanden, sagt Kittel. Doch es gehöre zur Realität, dass der Radsport unter Umständen ein lebensgefährlicher Sport sei. "Wir sind da zu einem großen Stück für uns selbst verantwortlich und müssen uns dieser Gefahr bewusst sein – ohne uns den Spaß nehmen zu lassen. " Vor allem im Profibereich sei es immer eine Gratwanderung zwischen der Verantwortung für die eigene Gesundheit und dem Bestreben, ans Limit zu gehen. "Aber trotzdem gibt es manchmal Situationen, in denen etwas Unerwartetes passiert in einem Moment, der absolut unglücklich ist."
Groß ist die Sturzgefahr immer dann, wenn das ganze Feld um den Tagessieg sprintet. Doch die Hochgeschwindigkeitsexperten, wie Kittel einer war, werden in diesem Jahr eher selten gefragt sein. "Die Sprinter sind schon mal besser weggekommen", sagt er. "Die Organisatoren sprechen von acht Sprint-Etappen, aber ich tue mich schwer, die alle auch so zu sehen. Vier, fünf Etappen sind klar. Aber bei den anderen drei muss man als Sprint-Mannschaft wirklich aktiv arbeiten, um das Feld zusammenzuhalten." Dazu komme, dass die Etappen relativ kurz seien. Die Konsequenz sei, dass das Tempo von Anfang an hoch sein werde.
Vingegaard ist für viele Experten der Favorit auf den Gesamtsieg
Vingegaard kommt das entgegen, er ist für Kittel der Favorit auf den Gesamtsieg. "Weil er zuletzt in der Vorbereitung dominiert hat und weil er der Vorjahressieger ist. Dazu kommt, dass er die stärkste Mannschaft hat." Pogacar hingegen ist momentan noch eine Art Wundertüte. Zwar hat er die Saison stark begonnen, doch dann stürzte er beim Klassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich und brach sich das Handgelenk. Durch die Verletzung habe er zuletzt im Training nicht ganz durchziehen können, sagt Kittel, "katastrophal ist die Vorbereitung aber trotzdem nicht gelaufen. Ich glaube schon, dass er fit sein wird. Was man ihm zugute halten muss, ist sein unfassbares Talent".
Vergleichsweise bescheiden sind die Ansprüche des kleinen deutschen Kontingents, bestehend aus Nikias Arndt, Phil Bauhaus, Emanuel Buchmann, John Degenkolb, Nils Politt, Georg Zimmermann und Simon Geschke. Das höchste der Gefühle wäre ein Etappensieg, "auch wenn das schwierig wird dieses Jahr", so Kittel. "Wir haben ein paar gute Jungs am Start, vor allem Emanuel Buchmann hat sich zuletzt stark präsentiert. Aber wir müssen wohl auf Ausreißergruppen hoffen." Dem Augsburger Zimmermann traut Kittel zu, ins Rampenlicht zu fahren, auch wenn er in seiner Mannschaft Helferdienste übernehmen muss. "Er wird aber auch mal Freiraum bekommen. Generell ist seine Mannschaft ja eher auf Sprint eingestellt, auf Angriff. Und Angriff liegt Zimmermann absolut, das hat er immer wieder gezeigt. Ich halte große Stücke auf ihn und hoffe, dass er einen guten Tag erwischt, eine gute Gruppe und dann wirklich um ein Top-Ergebnis fahren kann."