
Die erste Erkenntnis steht nach sieben Minuten Pressekonferenz fest: Joachim Löw ist kein Freund von Powerpoint-Präsentationen. Im Gegensatz zum DFB-Direktor Oliver Bierhoff, der zuletzt mit einer Präsentation Argumente für die Führung der Nationalmannschaft zu sammeln versucht, geht Löw nach einer kurzen Einleitung in den Nahkampf über. Bei der Pressekonferenz ist das die Fragerunde. Und eben die nutzt Löw einerseits dazu, Stellung zu nehmen zur historischen 0:6-Packung in Spanien – andererseits aber auch dazu, den DFB zu attackieren.
Vor allem der Umstand, dass Inhalte aus der internen Sitzung nach außen gedrungen sind, missfallen dem 60-Jährigen. "Ich habe mich sehr darüber geärgert, dass viele Dinge an die Öffentlichkeit gedrungen sind. Das hat mich maßlos enttäuscht."
Der erzürnte Joachim Löw suchte das Gespräch mit Fritz Keller
Zumal vieles nicht der Wahrheit entspreche – was genau, wollte Löw nicht sagen. Zu den delikatesten Details, die es in der vergangenen Woche zu lesen gab, gehörte aber der angebliche Versuch von DFB-Präsident Fritz Keller, Löw nach der EM 2021 zum Rücktritt zu bewegen. Der Bundestrainer soll den Vorstoß Kellers brüskiert abgelehnt haben. Der Vorsitzende selbst will sich seitdem öffentlich nicht mehr zur Nationalelf äußern. Der erzürnte Löw suchte danach das Gespräch, wie er selbst sagte: "Ich habe Fritz Keller deutlich gemacht, was mich gestört hat an der Sache. Aber mehr gibt es dazu nicht zu erzählen."
Auch mit der Öffentlichkeitsabteilung des DFB ging Löw hart ins Gericht, widersprach der Darstellung in einer Pressemitteilung, wonach er eine "emotionale Distanz" benötige" und deswegen vorerst nicht zur Verfügung stehe. "Das war für mich unverständlich, weil emotionale Distanz brauche ich nicht." Er sei lange dabei und habe viel erlebt. "Ich habe gesagt, gebt mir einen Tag Zeit und dann stehe ich für jedes Gespräch bereit." Der Darstellung, er sei abgetaucht, widersprach Löw mit dem Verweis auf den internen Zeitplan des DFB.
Joachim Löw sieht keinen Grund, etwas an der sportlichen Ausrichtung zu ändern
An seiner sportlichen Ausrichtung will Löw indes nichts ändern – auch wenn er die Enttäuschung über die jüngsten Ergebnisse und den Frust der Fans nachvollziehen könne: "Wir folgen unserer roten Linie weiter und sind überzeugt, dass es eine gute Entwicklung geben wird." Anhand der Niederlage gegen Spanien nun seine Arbeit infrage zu stellen, halte er für ungerechtfertigt und verwies auf die souveräne Qualifikation zur EM. "Deswegen gibt es keinen Grund, jetzt alles über den Haufen zu werfen. Wir werden das aufarbeiten und die richtigen Lehren daraus ziehen", so Löw weiter. Vor allem das durch die Corona-Pause geprägte Länderspieljahr 2020 mache es für ihn nicht einfacher, seine Mannschaft einzustellen. "Es gibt nur Spiel, Regeneration und wieder Spiel. Wenn eine junge Mannschaft wie die unsere keine Trainingseinheiten hat, kann man nicht erwarten, dass sie alles wie gewünscht umsetzt."
Etwas einfacher wäre es wohl mit der Erfahrung der drei Aussortierten Thomas Müller, Jérôme Boateng und Mats Hummels. Dass dieses Trio künftig wieder das Trikot mit dem Bundesadler tragen könnte – eher unwahrscheinlich. Löw sagte dazu: "Unsere jungen Spieler brauchen Gelegenheit zu spielen und sich zu entwickeln." Als Vorbild gelte bei ihm die Mannschaft, die sich bei der WM 2010 entfaltete und vier Jahre später den WM-Titel holte – ohne die zuvor aussortierten Altstars. An Rücktritt dachte Löw nach eigenen Aussagen nicht – trotz der Blamage von Sevilla. Rückendeckung verspüre er nicht zuletzt beim DFB selbst. Allen Dissonanzen zum Trotz habe ihm sein Arbeitgeber in der Sitzung vergangene Woche "ganz klar das Vertrauen ausgesprochen", so Löw.
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