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Madrid
Nach Kuss im WM-Finale: Die Schlinge zieht sich zu
Spaniens Fußballpräsident hat einen weltweiten politischen Flurschaden angerichtet, der nach Konsequenzen schreit. Die Fifa eröffnet Disziplinarverfahren.
England - Spanien.jpeg       -  Luis Rubiales, Präsident des spanischen Fußballverbands, umarmt die spanische Nationalspielerin Aitana Bonmati auf dem Podium nach dem Sieg Spaniens im Finale.
Foto: Alessandra Tarantino, dpa | Luis Rubiales, Präsident des spanischen Fußballverbands, umarmt die spanische Nationalspielerin Aitana Bonmati auf dem Podium nach dem Sieg Spaniens im Finale.
Frank Hellmann
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:45 Uhr

Wenn Spaniens Fußball-Verband (RFEF) nur einen Funken von Anstand und Ehrgefühl besitzt, dann müsste eine außerordentliche Generalversammlung am Freitag eine Zäsur bringen und den Verbandschef Luis Rubiales von allen Aufgaben entbinden. Denn: Die Indizien sind erdrückend, dass der Mann die ständige Grenzüberschreitung gegenüber Frauen in seinen Arbeitsalltag implantiert hat. Die „Kuss-Affäre“ - Rubiales hatte Weltmeisterin Jennifer Hermoso bei der Siegerehrung in Sydney mit beiden Händen an den Kopf gefasst, um ihr einen Kuss aufzudrücken – verlangt nach Konsequenzen, zumal am Donnerstag die Fifa mitteilte, wegen der Vorfälle nach dem Finale ein Disziplinarverfahren zu eröffnen. Die Disziplinarkommission beschäftigt sich konkret wegen Verstößen gegen Artikel 13: Jener Passus betrifft jegliche Form der Diskriminierung. Konkret dürfte es um herabwürdigende Handlungen bezüglich des Geschlechts gehen, die im ersten Absatz geregelt werden.

Kuss-Affäre im WM-Finale: Besonderer Moment "beschmutzt"

Zuvor hatten die internationale Spielergewerkschaft Fifpro und die Spielerinnengewerkschaft Futpro zum Handeln aufgefordert. Ein besonderer Moment der spanischen Spielerinnen vor einem weltweiten Fernsehpublikum sei durch das unangemessene Verhalten „beschmutzt“ worden, schrieb die Fifpro, die am Mittwochabend eine Untersuchung „gemäß dem Fifa-Ethikkodex“ verlangte. Auch von der betroffenen Spielerin gab es ein Statement: „Meine Gewerkschaft FutPro kümmert sich in Abstimmung mit meiner Agentur TMJ um die Verteidigung meiner Interessen.“ Es gehe jetzt um „beispielhafte Maßnahmen“, solche Verhandlungen dürften „niemals ungestraft bleiben“, hieß es in dem Kommuniqué. Dass die inzwischen in Mexiko spielende 33-Jährige nun Rubiales offen kritisiert, gab die entscheidende Wendung in der Causa.

Amtsgeschäfte im Gutsherrenstil

Der affärenumtoste RFEF-Boss, der rund 675.000 Euro Jahresgehalt bekommen soll, erledigte seine Amtsgeschäfte im Gutsherrenstil mit Billigung der vom ihm profitierenden Regionalfürsten. Zunächst war nicht erwartet worden, dass es zum Rücktritt kommt. Spanische Medien berichtete, dass der Männerbund erstmal wieder zusammenhalten wolle. Doch die Ermittlungen der Fifa habe noch einmal eine neue Dimension. Zudem ist der weltweite Image- und der politische Flurschaden schon jetzt immens. Die Verteidigungslinie des 46-Jährigen mitsamt einer halbgaren Entschuldigung war ohnehin zusammengebrochen, nachdem die Weltmeisterin der Darstellung widersprochen hat, der Kuss habe „auf Gegenseitigkeit“ beruht. Hermoso soll noch beim Rückflug über Doha von Nationaltrainer Jorge Vilda vehement bekniet worden sein, dem Verbandschef beizustehen, der im Siegesrausch sogar davon fabulierte, sie auf Ibiza zu heiraten.

Bereits am Dienstag hatte Ministerpräsident Pedro Sanchez den Daumen beim Fußballboss gesenkt, als der Politiker nach dem Empfang am Regierungspalast von einer „inakzeptablen Geste“ sprach. Und von einem traurigen Beleg, dass es noch ein langer Weg „bis zur Gleichheit und Respekt zwischen Männern und Frauen“ sei. Danach bestätigte die oberste spanische Sportbehörde, dass vier Anzeigen gegen Rubiales eingegangen sind, um ihm die Befähigung zu entziehen, den Sportverband mit der größten Strahlkraft zu führen. Mit Tamara Ramos meldete sich die frühere Marketing-Leiterin einer weiteren Spielergewerkschaft AFE, aus der Rubiales überhaupt vor fünf Jahren auf den RFEF-Thron rückte. Sie sei mehrfach mit sexistischen Bemerkungen bedacht worden – unter anderem habe sie Fragen nach der Farbe ihrer Unterwäsche beantworten sollen.

Passt irgendwie zu einem Obermacho, der sich im Australia Stadium nach dem Finale gegen England (1:0) auf der Ehrentribüne nur wenige Meter neben der spanischen Königin Letizia an die Genitalien griff. In einem weiteren Skandal ist von Leistungen sogenannter Escort-Damen die Rede, die auf Verbandskosten abgerechnet werden sollten. Eigentlich ist ein unterdurchschnittlich talentierter Linksverteidiger, der unter dem deutschen Trainer Bernd Schuster bei Deportivo Xerez und UD Levante spielte, seit längerem ein untragbarer Repräsentant des spanischen Fußballs, dessen spielerischer Ansatz allein so vorbildhaft sein könnte. 

Obermacho neben Königin Letizia

Der Vorfall steht exemplarisch für die immer wieder von Funktionären oder Trainern missbrauchte Machtposition, die bei zwei WM-Neulingen besonders krass die erste Teilnahme trübten. Sambias Nationaltrainer Bruce Mwape wird genau wie Haitis Verbandschef Yves Jean-Bart seit längerem angelastet, Nationalspielerinnen zu Sex gezwungen zu haben. Während des Turniers errichteten beide Verbände dazu eine Mauer des Schweigens. In Deutschland soll es früher zumindest unsittliche Berührungen gegeben habe, wie Britta Carlson, die Co-Trainerin der deutschen Fußballerinnen, im ersten Teil der Doku „Born for this“ erzählte: „Es gab Funktionäre, die dich mal in den Arm genommen und betatscht haben - was ein No go ist.“ Die 45-Jährige hatte zwischen 2003 und 2007 insgesamt 31 Länderspiele bestritten. Weiter vertieft wurde ihre Andeutung vor einem Jahr weder von den Filmemachern noch vom Deutschen Fußball-Bund (DFB).

 
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