Bei Linda Riedmann jagt derzeit ein Ereignis das nächste: Vor zwei Wochen siegte die 18-jährige Radsportlerin bei der U-19-Europameisterschaft im italienischen Trient im Straßenradrennen, vor einer Woche wurde dann bekannt, dass sie einen Profi-Vertrag beim niederländischen "Team Jumbo-Visma Women" unterschrieben hat – und an diesem Samstag startet sie als eine der Mitfavoritinnen bei der U-19-Weltmeisterschaft im belgischen Leuven.
"Das ist mein Wunschteam", erklärt Linda Riedmann voller Vorfreude auf den Rennstall, dem sie ab 1. Januar 2022 offiziell angehören wird. Da jedoch im November bereits die Vorbereitungen für die neue Rennsaison starten, wird die 18-jährige Karbacherin bereits ab November dieses Jahres beim holländischen Team dabei sein.
Ein Fernstudium parallel zum Profisport
Und wie kann man sich so ein Leben als Rad-Profi vorstellen? "Der Trainer schreibt einen Trainingsplan", erklärt Riedmann, die in Kürze parallel ihr Fernstudium der Sportwissenschaften beginnt. Grundsätzlich werde sie weiterhin in ihrem Heimatort Karbach leben und auch dort trainieren. Zwischen den Trainingslagern oder Rennen, wenn sich eine Heimreise nicht lohnt, wird sie sich im eigens für die Sportler unterhaltenen Team-Haus in Sittard, einer niederländischen Stadt unmittelbar an der Grenze zu Deutschland, aufhalten.
Und wie kam es überhaupt zu dem Kontakt? "Ich habe eine E-Mail an das holländische Team geschickt", erklärt Riedmann ihre Eigeninitiative. Bisher fährt sie für das bayerische U-19-Team Mangertseder, bei dem es jedoch kein Frauenteam gibt. Die 18-Jährige, die nach eigenen Angaben auch noch mit dem einen oder anderen Team Kontakt hatte, wurde von "Jumbo-Visma Women" Ende Mai zum Trainingslager nach Thüringen eingeladen. "Das hat gepasst", berichtet sie von ihren positiven Eindrücken. Nach etwa zwei Wochen habe sie dann zugesagt und im August den Vertrag unterschrieben.
Ihr neues Team gehöre einem Betreiber an, der auch eine Männermannschaft unterhält. "Das ist ein Vorteil, weil die Trainer zusammenarbeiten und sich austauschen, wodurch alles sehr professionell ist", weiß Riedmann, neben der 33-jährigen Romy Kasper einzige Deutsche im Team, um die Vorzüge. Auf die Frage, ob man von dem Verdienst als Rad-Profi leben könne, antwortet die Karbacherin, dass es mit der Gehaltsklasse eines Fußballers bei weitem nicht zu vergleichen sei. Auch deshalb wolle sie sich nicht nur auf den Radsport verlassen und habe sich für das Studium entschieden. "Ich finde gut, dass ich eine Alternative habe und auch einen Ausgleich zu meinem Sport."
An diesem Samstag steht für die frisch gebackene U-19-Europameisterin aber erst einmal die Weltmeisterschaft in Flandern auf dem Programm. "Diese Woche dient eher der Regeneration", erklärt die 18-Jährige am Dienstagabend im Gespräch mit dieser Redaktion. Denn am vergangenen Wochenende hat sie zwei "harte Strecken" absolviert. So hat sie sich nach einer Trainingseinheit am Dienstagvormittag auf den Weg ins holländische Sitthard gemacht, wo am Mittwoch die Anprobe für ihr neues Team anstand. Danach ging es weiter nach Leuven, wo sie am Donnerstag erstmals die WM-Strecke befahren konnte.
"Der Bundestrainer hat uns ein Video geschickt. Außerdem habe ich das Höhenprofil gesehen und Hinweise zum Untergrund erhalten", berichtet sie im Gespräch vor dem ersten Training auf der Strecke. "Es ist auf alle Fälle flacher als in Italien", weiß sie um den Unterschied zu der Strecke, wo sie den Europameistertitel eingefahren hat. Daher komme es mehr auf die Technik und Taktik an. "Es gilt, an der richtigen Position in die Berge reinzugehen", ist die Karbacherin, die den Favoritenkreis größer als bei der EM einschätzt, überzeugt.
Da das U-19-Rennen am Samstag bereits um 8.15 Uhr startet, wird sie gegen fünf Uhr morgens aufstehen müssen, um rechtzeitig eine Stunde vor dem Start vor Ort zu sein. Ihren Schlafrhythmus hat sie aber nicht eigens umgestellt. "Ich werde am Abend davor rechtzeitig schlafen gehen." Beim Rennen vor Ort wird nicht nur ihre Familie live dabei sein, sondern auch Hans Schleicher, ihr einstiger Trainer. "Das ist zumindest kein schlechtes Omen", freut sich Riedmann. Denn immerhin wird Schleicher die rund 450 Kilometer lange Anreise mit dem Fahrrad vornehmen – wie er es seinerzeit beim Gewinn der deutschen Meisterschaft und auch kürzlich bei ihrem Europameistertitel getan hat.
Aber auch die übrigen Fans können das Rennen mitverfolgen, denn es wird auf Eurosport live übertragen