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FUßBALL
Wie Thilo Wilke Geschichte schrieb
Auf dem Weg zum Fußball-Profi? Der Karlstädter Thilo Wilke (rechts) im Trikot seines Halbprofi-Klubs FC Med City Rochester.
Foto: privat | Auf dem Weg zum Fußball-Profi? Der Karlstädter Thilo Wilke (rechts) im Trikot seines Halbprofi-Klubs FC Med City Rochester.
Volker Hensel
 |  aktualisiert: 06.01.2018 02:35 Uhr

Weihnachten, das ist heuer etwas ganz anderes. Zum ersten Mal bin ich von meiner Familie weg.“ Die Feiertage verbringt Thilo Wilke in der Sonne, vielleicht gar am Strand in San Diego (USA) oder in Mexiko. „Das ist schon ein ganz komisches Gefühl“, sagt er. Wie gut, dass ein Freund in die USA geflogen ist und die gesammelten Geschenke von den Lieben zu Hause im unterfränkischen Karlstadt mitgebracht hat. Wilkes Lebensmittelpunkt sind seit einem Jahr die Vereinigten Staaten und sein Leben dreht sich hauptsächlich um Fußball und Studium. In der Reihenfolge. Während der 26-Jährige hierzulande ein guter Landesliga-Kicker bei der FT Schweinfurt, beim TSV Karlburg, mal kurz in der Bayernliga in Aubstadt und zuletzt beim TSV Abtswind war, dazu noch Handballer in Karlstadt, ist er in den USA eine Führungspersönlichkeit, die sogar Fußballgeschichte geschrieben hat. Nun träumt Wilke vom Profi-Fußball.

Ein Jahr Auslandsstudium

Es begann damit, dass Wilke meinte, ein Auslandjahr täte seinem BWL-Studium und seinen Englisch-Kenntnissen gut. Zudem wollte er einfach noch mal etwas Neues wagen, auch fußballerisch. Dass 25 dafür schon ein wenig alt war – geschenkt. Wilke bewarb sich in den USA mit einem aus Abtswinder Spielszenen zusammengeschnittenen Video und bekam tatsächlich einige Angebote von Universitäten. „Ich habe mich dann für die Shaw University in Raleigh entschieden. Das ist eine gute Uni mit einer großen Tradition.“ Die Uni hatte ihn mit einem Teil-Stipendium geködert, denn ein Studienjahr kostet 25 000 US-Dollar. „Außerdem gab es da ein neues Fußball-Programm, das war reizvoll dort eine Mannschaft aufzubauen.“

Ankunft im „Bible Belt“

So landete Wilke also in der Hauptstadt von North Carolina, einem Staat aus dem so genannten „Bible Belt“ (zu Deutsch: Bibel-Gürtel) im Süden. Die Stadt hat 460 000 Einwohner, bildet aber mit den benachbarten Chapell Hill und Durham eine Metropolregion mit 1,1 Millionen Menschen. Es ist ein Standort für Hochtechnologie, auch deutsche Weltfirmen wie Bayer, BASF oder Siemens sind dort vertreten.

Der Sozial- und Bildungsstatus gilt als sehr hoch. Entsprechend, berichtet Wilke, „spielt Rassismus hier keine Rolle. Politik aber auch kaum.“ Die Shaw University ist mit nur 1800 Studenten eher klein und dennoch etwas ganz besonderes: Die 1865 gegründete Uni war die erste, die nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg ausschließlich für Afro-Amerikaner eingerichtet wurde, die erste „Schwarze“ Universität in den Südstaaten, die erste die ein Medizin-, Jura- und Pharmaziestudium für Afro-Amerikaner anbot und auch Frauen zuließ.

Renomierte Universität

Zahlreiche hochkarätige Politiker und Sportler sind Shaw-Absolventen, in Deutschland am bekanntesten dürfte die Sängerin Gladys Knight („That's what Friends are for“, „I heard it through the Grapevine“) sein. „Das war am Anfang schon ein seltsames Gefühl dort“, erzählt Wilke. „Ich bin sehr heimatverbunden, vermisse hier auch meine Karlstädter Handballer oder die Würzburger Innenstadt. Für mich war es mit knapp 20 damals schon ein Riesenschritt nach Schweinfurt zur FTS zu wechseln. Und nun Amerika. Aber an der Uni gibt es die freundlichsten Menschen, die man sich vorstellen kann.

Ich habe am ersten Tag das Gebäude für die Anmeldung gesucht und es dauerte keine zwei Minuten, bis mich jemand ansprach und mir weiter half. Man findet sofort Freunde.“ Auf der ganze Uni gebe es höchstens 20, 30 Weiße, so der Karlstädter, „und die spielen alle Fußball oder Tennis für die Uni-Mannschaft.“ In Raleigh lebt Wilke in einem reinen Appartement-Viertel in einer WG zusammen mit einem Serben, einem Brasilianer und einem Studenten aus Trinidad.

Zusammengewürfelter Haufen

Bei seinem neuen Team stieß Wilke auf einen international zusammengewürfelten Haufen. Der Trainer ist mit Luis Cortell ein Spanier, neben US-Amerikanern finden sich Studenten aus England, Serbien, Brasilien, Kolumbien oder Trinidad/Tobago. Wilke, der einzige Deutsche, schien von Anfang an Eindruck hinterlassen zu haben: Er bekam die begehrte Nr. 10 und wurde Kapitän. Und er schrieb Uni-Geschichte, weil er beim 1:1 gegen die Emmanuel-Uni/Georgia das erste Tor überhaupt für die „Shaw Bears“ (Bären) erzielte. Insgesamt kam er mit 14 Toren und zwei Assits in 14 Pflichtspielen (sechs Siege / zwei Unentschieden / sechs Niederlagen) auf einen Spitzenwert.

Wobei im Frühjahrssemester keine Partien absolviert werden, die Punkterunde findet nur von August bis November statt.

„Es ist mit Deutschland nicht zu vergleichen“, sagt der 26-jährige. „Weil wir ein neues Team hatten, wurden wir noch keiner regionalen Conference zugeteilt. Sprich, wir mussten uns unsere Gegner selbst suchen und hatten nur Auswärtsspiele. Da waren wir dann teilweise bis zu fünf Tage am Stück unterwegs und haben im Hotel geschlafen.“ Auch gebe es keine feste Punktzahl für einen Sieg, jedes Team ist in einem Ranking und je höher eine Mannschaft gelistet ist, umso mehr Punkte gibt es. Am Ende reichte es dann für die „Bears“ trotz einer ordentlichen Premierenbilanz nicht für die Play-offs.

„Nächstes Jahr werden wir einer Conference zugeteilt und dürfen zu Hause antreten, da bin ich mal gespannt, was da los ist.“ Wobei Shaw nicht in der ersten College-Liga, sondern in der so genannten NCAA II angesiedelt ist. „Das hat aber nichts mit der sportlichen Leistungsfähigkeit zu tun, sondern mit der Größe des Sportprogramms der Uni und deren Renommee. In der ersten Liga spielen die bekanntesten Unis, wie Harvard, Yale oder Berkley. Es gibt übrigens auch noch eine NCAA III.“

Training unter Profibedingungen

College- oder Uni-Sport ist in den USA eine große Sache. „Wir trainieren quasi unter Profibedingungen, jeden Tag ein- bis zweimal. Und 72 Stunden vor einem Spiel gilt Alkoholverbot.“ Zudem seien Pressekonferenzen, eigene Autogrammkarten und Interviewanfragen der Medien selbstverständlich. Alleine das tägliche Training habe ihn schon erheblich vorangebracht, sagt Wilke. „Ich habe mehr gelernt, als in den letzten drei, vier Jahren zusammen.“

So viel, dass der Karlstadter nun sogar noch als „Spätberufener“ vom Profifußball träumt. Den ersten Schritt machte er in den Semesterferien. In den USA gibt es außerhalb des Unisports nur drei Profi- und zwei Halbprofiligen. Wer es aus dem College beziehungsweise der Uni nach oben schaffen will, muss sich in einer dieser Halbprofi-Ligen bewähren, die praktischerweise in den Semesterferien von Mai bis August spielen. Wilke hatte wieder Glück, der kanadische Coach Luke Cory lud ihn aufgrund seines Highlightvideos zum Vorspielen nach Rochester/Minnesota ein und gab ihm einen Vertrag. „Da kommen bis zu 200 Spieler und jeder zahlt um die 50 Dollar, nur, um vorspielen zu dürfen“, berichtet Wilke „und genommen werden höchstens eine Handvoll.“

Neu gegründetes Team

So wurde der Unterfranke Spieler beim neu gegründeten FC Med City Rochester. So benannt, weil in der 110 000-Einwohner-Stadt im Norden der USA die Mayo-Klinik, das renommierteste Krankenhaus der USA steht, das auch für die Behandlung der US-Präsidenten zuständig ist. Auch hier wurde Wilke Teil der Vereinsgeschichte, er erzielte in der National Premier Soccer League (NPSL) erneut das erste Tor der Klubgeschichte. Weil das Team das letzte Saisonspiel mit 0:1 verlor, verpasste Rochester knapp die Play-offs.

Vor 5000 bis 6000 Zuschauern

In den USA steige das Interesse für Fußball. In der Halb-Profi-Liga kickte der FC Med City schon mal vor 5000 bis 6000 Zuschauern. „Als Student durfte ich aber kein Geld annehmen, sonst würde ich den Studienplatz verlieren“, sagt Wilke. „Wir hatten aber Kost, Logis, Ausrüstung und Reisen frei, so, dass man quasi kein Geld gebraucht hat.“

Eigentlich wollte der Karlstadter an Silvester wieder zu Hause sein. „Ich werde aber ein weiteres Jahr verlängern. Mein Trainer an der Uni hat mir ein verbessertes Angebot gemacht, sprich das Stipendium erhöht.“ Außerdem mache sich der Abschluss einer guten amerikanischen Uni sicher gut. Wobei es entgegen der Klischees nicht so sei, dass Sportler ihren Abschluss geschenkt bekämen. „In den USA ist das ganz anders, als in Deutschland“, berichtet Wilke. „Da sitzen nur 20 bis 30 Studenten im Semester und man hat einen sehr engen Kontakt zu seinem Professor. Es gibt nicht nur eine große Klausur am Ende des Semesters, sondern drei oder vier. Dazu Hausaufgaben und sogar Noten auf Anwesenheit. „Lediglich für Letzteres würden Sportler bei Auswärtsspielen entschuldigt. Im Mai geht es auch vermutlich wieder nach Rochester.

Ziel: Major League

Und nebenbei will Wilke an dem arbeiten, was er „meinen Traum vom Profitum“ nennt. „Und wenn es nur noch zwei, drei Jahre sind. Das ganz große Geld wird da nicht zu verdienen sein, weil in die großen Ligen nach England oder Spanien reicht es natürlich nicht.“ Ein Ziel könnte die Major League Soccer sein, also die Liga, in der zum Beispiel auch ein Bastian Schweinsteiger spielt.

Tipps vom Ex-Trainer

Um sich Tipps zu holen hat ihm sein Abtswinder Ex-Trainer Petr Skarabela den Kontakt zu Julian Gressel vermittelt. Der 24-jährige aus Neustadt/Aisch spielt seit einer Saison erfolgreich bei Atlanta United in der MLS und wurde gerade zum „Rookie of the Year“ gewählt. „Wenn es in den USA nichts wird, gibt es auch noch andere interessante Länder, in denen ich es versuchen könnte: zum Beispiel Zypern, Australien oder Neuseeland.“

Und wenn gar nichts geht, dann will er zurück nach Deutschland. „Am liebsten wieder beim TSV Abtswind, das wäre mir eine Herzensangelegenheit. Im Moment ist aber noch alles offen“, sagt Thilo Wilke. Wie sehr sich der gebürtige Würzburger verbessert hat, das können die Abtswinder im Januar testen. Da kommt der „verlorene Sohn“ für zehn Tage zurück nach Deutschland. Am 5. Januar will er mit einer Gastspielgenehmigung für den Landesligisten beim Nachtturnier in Wiesentheid antreten.

„ Wenn es in den USA nichts wird, gibt es noch andere interessante Länder, in denen ich es versuchen könnte.“
Thilo Wilke, Fußballspieler
Begehrte Autogramme: Beim amerikanischen Klub FC Med City Rochester war Thilo Wilke stets von Fans umlagert. In der Halbprofi-Liga kickte er auch schon mal vor 5000 bis 6000 Zuschauern.
Foto: Privat | Begehrte Autogramme: Beim amerikanischen Klub FC Med City Rochester war Thilo Wilke stets von Fans umlagert. In der Halbprofi-Liga kickte er auch schon mal vor 5000 bis 6000 Zuschauern.
 
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