Das alles wirkt wie ein bleischwerer Albtraum, der einem den Schlaf raubte und irgendwann scheinbar wieder verschwand. Doch plötzlich ist er wieder da. Wenn Psychologen sagen, dies sei das Resultat eines erfolgreichen Verdrängungsprozesses, der die Ursachen des Problems unangetastet lässt, dann gilt dies im gleichen Maße für den Fall Thomas Springstein.
Dessen Name steht wie kaum ein anderer für eine der finstersten Manipulationsgeschichten im wiedervereinigten Sport-Deutschland. Der ehemalige Bundestrainer und Coach der früheren Sprint-Weltmeisterin Katrin Krabbe und Europameisterin Grit Breuer hatte 1992 einen der größten Dopingskandale der vergangenen Jahrzehnte zu verantworten, als seine beiden Athletinnen im Trainingslager identische Urinproben abgaben. Ein halbes Jahr später wurden beide wegen der Einnahme des in der Kälbermast gebräuchlichen Mittels Clenbuterol überführt und gesperrt.
Grit Breuer kehrte nach Ablauf ihrer Sperre triumphal zurück
Krabbe beendete ihre Karriere. Breuer kehrte nach abgesessener Sperre triumphal auf die Laufbahn zurück, wurde mit der deutschen 4 x 400-Meter-Staffel sogar Weltmeisterin. Und Springstein machte anscheinend unbeirrt weiter. 2006 wurde er zu 16 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, weil er einer 16-Jährigen ohne ihr Wissen ein Testosteron-Präparat verabreicht hatte. Eine Sperre, gleichbedeutend mit einem Berufsverbot, blieb jedoch aus. Springstein verschwand von der (deutschen) Bildfläche, tauchte 2008 in Südafrika beim Training mit jungen litauischen Sportlern wieder auf. Aber: aus den Augen, aus dem Sinn! Der Albtraum, der hierzulande eine ganze Sportart traumatisiert hatte, schien endgültig vorüber.
Bis jetzt. Als am vergangenen Wochenende in Hamburg die Norddeutschen Leichtathletik-Meisterschaften der unter 20-Jährigen über die Bühne gingen, war er plötzlich wieder da. Zusammen mit seiner Ehefrau Breuer stand Springstein als Verantwortlicher des Ostsee Sprint- und Laufteams Rostock in der Halle und coachte seine 15-jährige Tochter Paula Springstein – eine Sprinterin. Dabei erfuhr man, dass der umstrittene Trainer, inzwischen 65, schon seit geraumer Zeit wieder den Nachwuchs beim 1. LAV Rostock betreut hatte, es dort aber im Sommer zu Meinungsverschiedenheiten gekommen war. "Wir hätten es uns anders gewünscht, das kann ich offen und ehrlich sagen", gesteht Ralf Ploen, der Leitende Landestrainer für Mecklenburg-Vorpommern. "Aber es hat halt nicht mehr gepasst. Es bestand der Wunsch von Paula, dass sie bei ihren Eltern trainiert. Nur ist das in unseren Leistungssportstrukturen nicht möglich." Deshalb gründete Springstein einen neuen Verein und geht jetzt zusammen mit seiner Tochter sowie zwei anderen jungen Sportlerinnen wieder seine eigenen Wege.
Thomas Springstein war Gesprächsthema Nummer eins
Natürlich war die überraschende Anwesenheit des berüchtigten Doping-Trainers in Hamburg Gesprächsthema Nummer eins. Und heftige Kritik wie auch wohlwollende Kommentare hielten sich dabei die Waage. Er habe seine Strafe abgesessen und dürfe deshalb auch wieder als Trainer tätig werden, meinte Momme Sievertsen (Eilbeker Sportbund) gegenüber dem NDR, während Andreas Fuchs (Kronshagen) das Comeback als "sehr respektabel und in Ordnung" fand, zumal die Leichtathletik sowieso zu wenige Trainer habe. Von "ziemlichen Bauschmerzen" sprach dagegen Jan Dreier (Weiche Flensburg). "Einige sagen, man hat eine zweite Chance verdient, aber das war so eine heftige Sache damals. Es gibt einen Trainer-Ehrenkodex, und deshalb würde ich keine Sportstätte mehr betreten, wenn ich so etwas hinter mir hätte." Es wäre schon schwer, eine solche Rückkehr bei Leuten zu akzeptieren, die sich zu ihrer Schuld bekennen würden, fand Schleswig-Holsteins Landestrainer Dirk Schulz. Springstein habe jedoch nie Reue gezeigt oder über die Hintermänner im früheren DDR-Dopingsystem ausgepackt. Dies belegt auch eine Aussage vom August 1997. Für ihn fange Doping "in dem Moment an, wo man gegen das Reglement verstößt", sagte Springstein in einem seiner seltenen Interviews. "Es geht um Geld und Rekorde." Ein Sport ohne Doping sei "ein Traum. Das wird man nicht erreichen".
Die Reaktionen fallen ganz unterschiedlich aus
Rechtlich gibt es keine Handhabe, gegen Springsteins Arbeit als Trainer vorzugehen. Lars Mortsiefer, Chef der Nationalen Anti-Doping-Agentur, fragt sich dennoch, ob das Umfeld vorbereitet sei, "tatsächlich mit jemandem wieder Sport zu treiben, der eine solche Vergangenheit hat". Es sei wichtig, "dass alle, die bei Herrn Springstein trainieren oder ihm ihre Kinder anvertrauen, über seine Vergangenheit als Trainer vollumfänglich aufgeklärt sind", schreibt ergänzend der DOSB. Und der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) reagiert erstaunlich kühl und distanziert, so als ginge ihn das alles gar nichts an – vielleicht auch, weil der Albtraum "Doping" durch die gerade bekannt gewordene Affäre Sara Benfares im Olympiajahr wieder in seiner ganzen schrecklichen Pracht erstrahlt. Da Springstein nicht mehr mit dem DLV zusammenarbeite, stelle sich die Frage nach der Vorbildfunktion nicht, heißt es lapidar in einer Stellungnahme. Dabei hatte der DLV den Mann, der angeblich kein Vorbild sein kann, noch 2002, über zehn Jahre nach dessen erster Dopingaffäre, zum "Trainer des Jahres" in Deutschland ausgerufen.