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München
Legende, aber nicht mehr: Wie Sky mit einem Film Franz Beckenbauer feiert
Der Bezahlsender Sky widmet Deutschlands größtem Fußballer ein gnädiges Filmporträt. Eine Hommage an Franz Beckenbauer, die da aufhört, wo es spannend wird.
Kaiser2.jpg       -  Fiktion und Realität – an dieser Stelle nahezu identisch: Franz Beckenbauer, links gespielt von Schauspieler Klaus Steinbacher, reckt 1974 die Weltmeister-Trophäe in den Münchner Himmel.
Foto: xxx | Fiktion und Realität – an dieser Stelle nahezu identisch: Franz Beckenbauer, links gespielt von Schauspieler Klaus Steinbacher, reckt 1974 die Weltmeister-Trophäe in den Münchner Himmel.
Reinhard Köchl
 |  aktualisiert: 11.03.2024 13:34 Uhr

„Geh, lass den Schmarrn! Du bist doch net da Beckenbauer!“ Die Worte des Trainers klingen immer noch in den Ohren, und das nach über 40 Jahren. „Keiner spielt so einen Scheiß! Bitte einen ganz normalen Pass! Noch mal, und du bist draußen!“ Schon damals galt überall das ungeschriebene Gesetz: kein Außenrist! So etwas bleibt nur wahren Künstlern vorbehalten, Leuten wie Maradona, Pelé, Messi, Neymar, Mbappé – und eben dem Franz. Bei einem wie Süle würde das schon einen heftigen medialen Shitstorm hervorrufen, denn Außenrist gleicht einer modernen, fußballtechnischen Form der Blasphemie.

Die Geschichte von 1981 hatte natürlich ein Nachspiel. Gut zehn Minuten später fiel das 1:1 – trotz eines Außenristpasses über etwa 30 Meter direkt in den Lauf des Mittelstürmers. Ganz ehrlich: Es war mehr Reflex als Vorsatz. Kurz vor Schluss gelang dem Autor (der immer noch nicht ausgewechselt war) sogar noch der Siegtreffer – mit einem Außenristschlenzer vom Strafraumeck in den Winkel. Die Reaktionen der Zuschauer schwankten zwischen ungläubigem Staunen und hilfloser Glückseligkeit. Echt jetzt? Hier bei uns in der Kreisklasse? Als Anerkennung für den imitierten Beckenbauer-Move gab es nach Schlusspfiff den Beinamen „Zico“, angelehnt an einen ebenso begnadeten brasilianischen Mittelfeldspieler früherer Tage, alter Fußball-Adel eben. Aber noch längst keiner wie der Franz.

Klaus Steinbacher spielt Franz Beckenbauer

Klaus Steinbacher kennt das. „Bei uns ist das auch tabu“, sagt der 28-jährige Hobbykicker und Profischauspieler („Das Boot“, „Oktoberfest 1900“) an diesem Abend im Münchner Arri-Kino lächelnd beim Interview vor der Leinwand, als gerade die Uraufführung des Filmporträts „Der Kaiser“ vorüber ist. Beim SC Reichertsbeuren im Tölzer Land ticken die Uhren genauso wie in allen anderen Vereinen dieser Republik. Die kollektive Fußball-Weisheit lautet: Außenrist sieht irgendwie deppert und g’schlampert aus; viel zu lässig, aufreizend, brotlose Kunst, abgehoben, mit Tendenz zum Arroganten. Außer der Franz machte so was.

Auch Steinbacher kann ihn inzwischen. Er ist das, was man einen Frauentyp nennt, wie ehedem der junge Beckenbauer aus dem Münchner Stadtteil Giesing; charmant, mit diesem schelmischen Augenaufschlag und einem treuen Dackelblick, den er immer dann aufsetzt, „wenn wieder einmal der Blitz eingeschlagen hat“, wie er das ständige Ent- und Verlieben bei diversen Partnerinnen im Film nennt. Weil sich dies mit seinen Kicker-Qualitäten gut vertrug, „konnte es nur einen geben“, betont Casting-Director Siegfried Wagner.

Und so darf Klaus Steinbacher trotz eines kurz vor Drehbeginn erlittenen Kreuzbandrisses für 104 Minuten in die Rolle jenes Mannes schlüpfen, der als der größte Fußballspieler gilt, den dieses Land je hervorgebracht hat. Er darf das Runde mit dem Außenrist ins Eckige befördern, darf sich feiern lassen wie weiland der Gottgleiche selbst und aufzeigen, wie das alles angefangen hat mit dem Verkauf der Ware Fußball, bei dem er und sein 2002 verstorbener Manager Robert Schwan (in der gleichen Funktion auch beim FC Bayern von 1966 bis 1977 und Vorgänger von Uli Hoeneß) tatsächlich den Stein ins Rollen brachten. Der leibhaftige Franz fehlt freilich an diesem Premierentag, obwohl viele insgeheim gehofft hatten, dass der Kaiser (Untertitel: „Nach einer wahren Legende“) vielleicht doch noch auf wundersame Weise durch das Hauptportal des Kinos hereinschweben würde. Aber natürlich bleibt das ein Tagtraum an diesem diesigen Dezemberabend. Beckenbauer hat sich in sein Domizil in Kitzbühel zurückgezogen, meidet die Öffentlichkeit und kämpft mit erheblichen gesundheitlichen Problemen. Insofern ist „Der Kaiser“ ein reales Märchen aus besseren Zeiten, was Sky – wenn auch unfreiwillig – durch den Zeitpunkt der Ausstrahlung jedem ins Bewusstsein ruft.

Der Sendetermin für "Der Kaiser" war eigentlich perfekt gewählt

Als der Pay-TV-Sender nämlich im Sommer das Projekt plante, da schien Freitag, der 16. Dezember, eigentlich der perfekte Termin zu sein. Zwei Tage später würde das Endspiel in Katar angepfiffen, natürlich mit Deutschland, natürlich mit einer ganzen Nation vor dem Bildschirm. Da könnte ein launiges Filmchen quasi als Vorspeise nicht schaden. Aber Hansis Kicker wollten oder konnten nicht, und die geneigten Zuschauer finden eine WM im Winter offenbar überhaupt nicht cool. In Katar spielen sie längst ohne die Deutschen weiter, die Gianni-Infantino-Festspiele bescherten den Programmverantwortlichen bislang erschreckend schwache Quoten, auch wenn die Zahlen zuletzt leicht nach oben kletterten. Vielleicht bietet „Der Kaiser“ aber auch eine Chance, hinter die heile Fassade zu blicken: Was passierte im zurückliegenden halben Jahrhundert mit dem Fußball? Und welchen Anteil hat Franz Beckenbauer daran?

Der Film beginnt idyllisch. Der junge Franz sitzt in einer engen Mietwohnung im Münchner Schlachthofviertel und diskutiert mit seinen Eltern, ob er nun bei der Versicherung bleiben oder Fußballer werden soll. „Das ist doch kein Beruf!“, blafft ihn der strenge Vater (Heinz-Josef Braun) an, während Mutter Antonie (Bettina Mittendorfer) ihren Filius bei dessen Plänen unterstützt. Es kommt, wie es kommen soll: Beckenbauer geht zum FC Bayern, spielt im Training seine Mannschaftskollegen schwindelig und trifft dabei den allmächtigen Robert Schwan (Stefan Murr). In jenen Tagen galt Fußball noch als Sonntagnachmittagsvergnügen, das „Wunder von Bern“ war gerade mal zehn Jahre her, und der damalige Bayern-Trainer Tschik Cajkowski (Sebastian Pass) konnte es sich noch erlauben, mit einem Kugelbäuchlein vor seine Schützlinge zu treten. 

Mit Beckenbauer wehte plötzlich ein anderer Wind

Aber mit dem Erscheinen Beckenbauers wehte plötzlich ein anderer Wind durch die muffige Fußballlandschaft. Schwan erkannte rasch das Potenzial des Juwels und nahm es unter seine Fittiche. Beide wollten hoch hinaus. Der Ältere galt als kluger Kopf, als Stratege und Denker, war Pfeifenraucher und Visionär, mehr Fan von Geld und Einfluss als vom Fußball. Er wurde Beckenbauers Vertrauter, später auch sein väterlicher Freund und Berater in geschäftlichen wie privaten Dingen. Er half ihm oft aus der Patsche, verhandelte nicht nur Verträge, sondern managte auch seine diversen Frauengeschichten, die in mittlerweile vier schlagzeilenträchtigen Ehen oder ähnlichen Verhältnissen mündeten.

Der Jüngere „hatte was“. Zwar war er immer anders als Fritz Walter, als Uwe Seeler, als sein Augsburger Freund Helmut Haller (Benedikt Schulz) oder sein langjähriger kongenialer Partner Gerd Müller; wie sie alle natürlich ein begnadeter Sportler, ein Pionier, einer, der Spiele allein entscheiden konnte und für eine ganze Generation von Jugendlichen als Vorbild diente, von dem man jede Bewegung, selbst die majestätische Haltung der Arme eng am Körper abschaute – vom Außenrist ganz zu schweigen. Aber der Franz war vor allem einer für die Show, für den Boulevard, jemand, mit dem man Kohle machen konnte. Neben Pelé entwickelte sich Beckenbauer nicht nur in seiner Zeit zum besten Fußballer des Planeten, sondern auch zur Werbe-Ikone und Weltmarke. Die Fäden hatte dabei Schwan in der Hand.

Als 1966 „die Knorr-Fritzen“ kamen und anfragten, was ein Suppenspot mit dem aufstrebenden Star kosten würde, sagte Schwan: „100.000“. So wurde die Werbung mit Sportlern erfunden, und für den Erfinder gab es – wie immer – zehn Prozent. Doch das war nur der Anfang. Robert Schwan lieferte fortan sämtliche Parameter, um den Volkssport Nummer eins grundlegend zu verändern, ihn radikal zu kommerzialisieren. Und mit Beckenbauer nahm alles seinen Lauf: schief singende Kicker, die wider alle Regeln des Musikmarktes Millionen von Platten verkauften („Gute Freunde kann niemand trennen“), horrende Gehälter und Ablösesummen sowie ein Markt, bei dem der Verkauf von Senderechten an den Höchstbietenden zu einem lukrativen Geschäft geworden ist. 

Berater Robert Schwan hatte eine wegweisende Idee in den USA aufgeschnappt

Schwan und Beckenbauer hatten das bei des Kaisers Ausflug in die US-„Operettenliga“ zu Cosmos New York 1977 aufgeschnappt, wo es weniger um Sport als vielmehr um Unterhaltung ging. Die Auswirkungen nimmt inzwischen jeder billigend in Kauf: kein Fernsehtag mehr ohne Fußball. Er dominiert die Berichterstattung nahezu komplett. Der Markt überhitzt, die Blase droht gerade jetzt zu platzen.

Robert Schwans größter Coup bescherte Deutschland ein Glücksgefühl mit Langzeiteffekt: 1984 hob er gemeinsam mit dem Sportchef von Bild (Dieter Bach) Beckenbauer auf den Thron des Teamchefs der Nationalelf. Das vermeintliche Happy End mit der Lichtgestalt, die gedankenverloren über den Mailänder Rasen schwebt, während seine Burschen nach dem genialen Motivationssatz „Geht’s raus und spuit’s Fußboi“ ihren Weltmeistertitel feiern, kennt jeder. Aber dann endet das „fiktionale Biopic“ (Regisseur Tim Trageser), dessen witzige Szene in einer (natürlich nie stattgefundenen) Hauslesung bei den Beckenbauers besteht, in der Schriftsteller Peter Handke (Michael Ostrowski) mit Sepp Maier (Ferdinand Hofer) über sein bekanntes Werk „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ diskutiert. „Ich hab keine Angst, weil ich nix zu verlieren hab“, stellt der Bayern-Torwart klar. „Da müsste eher der Schütze Angst haben.“ Handke, in dessen Buch es nur am Rande um Fußball geht, weiß eigentlich gar nicht, was ihm der Tormann damit sagen will.

Der Mythos Beckenbauer ist noch längst nicht auserzählt

Der Mythos Beckenbauer ist aber noch längst nicht auserzählt. Einer wie er, bei dem es gefühlt immer bergauf ging, der überall dabei war, wenn Fußballgeschichte geschrieben wurde (Wembley-Tor, Jahrhundertspiel in Mexiko) und dem das Kunststück gelingt, von einem Weizenbierglas durch das Loch in der Torwand des „Aktuellen Sportstudios“ zu treffen, dieser Magier des Lebens fiel nicht immer nur bergauf, wie es Sepp Maier jedem erzählt. Nach 1990 gab es noch die weniger erfolgreiche Zeit als Trainer in Marseille, die durchaus vorzeigbare Ära als Präsident „seines“ FC Bayern sowie die Phase als Organisationschef der WM 2006, bei der zum bislang letzten Mal Glanz und Gloria auf den Kaiser fiel. Die strahlende Gesamtsicht verdunkelte sich freilich nur Jahre später, als es um mutmaßliche Schmiergeldzahlungen für das „Sommermärchen“ ging; ein Verdacht, der bis heute im Raum schwebt, obwohl das juristische Verfahren gegen die damalige DFB-Spitze eingestellt wurde. 

„Die Storys über die WM-Vergabe 2006 wollten wir nicht aufgreifen“, rechtfertigt sich Regisseur Trageser. „Da weiß ja keiner belegbar, was oder wie es wirklich passiert ist. Und wir wollten auch nur einen Film machen, keine zwei.“ Selbst Beckenbauers Rolle als Mitglied des Fifa-Exekutivkomitees, das 2010 die aktuelle WM nach Katar vergab, bleibt diffus. Dann schon lieber ein freundliches, versöhnliches Finale, eine demütige Verbeugung vor einem Denkmal, das im Stadium von Alter und Krankheit niemand mehr beschädigen will. Es könnte auch dem Geschäft schaden.

„Der Kaiser (Nach einer wahren Legende)“, am 16. Dezember um 20.15 Uhr auf Sky Cinema Premieren und mit Sky Q sowie Streamingservice WOW abrufbar.

 
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