Die Corona-Pandemie hat viele Verlierer und manche Gewinner. Während die meisten anderen der 65 Spitzenverbände innerhalb des Deutschen Olympischen Sportbunds schon wieder im Lockdown sind, kommt der Schachbund mit den Folgen der Krise gut klar. Denn um in Corona-Zeiten Schach zu spielen, müssen sich die Beteiligten nicht zwangsläufig gegenüber sitzen. Es genügen Geistesgegenwart, ein Computer und ein funktionierender Internetzugang.
Für Norbert Lukas vom Schachklub Schweinfurt 2000 ist Online-Schach Fluch und Segen zugleich. Er freut sich über die Möglichkeit, die sich ihm und seinem Verein in diesen unsicheren Wochen und Monaten bietet. Aber er stellt sich auch die Frage: „Kommen die Leute nach Ende der Krise noch, wenn sie erst einmal an Online-Schach gewöhnt sind?“
Täglich Millionen Online-Schachpartien
Millionen Schachpartien werden tagtäglich im Internet gespielt – ein Phänomen, das nicht erst seit Corona zu beobachten ist. Doch die Situation seit Ausbruch der Pandemie hat diesen Trend noch einmal massiv verstärkt und Anbietern wie ChessBase oder LiChess einen Boom beschert. Welche Dynamik dahinter steckt, zeigen die Zahlen eines einzigen Sonntags an Ostern, als die 3,67 Millionen Mitglieder von Chess.com unglaubliche 5,015 Millionen Partien absolvierten.
Auch Vereine und Verbände springen mittlerweile auf diesen Trend an. Der Deutsche Schachbund etwa hat seine Mitglieder im April mit der Aktion „Schach dem Virus“ dazu animiert, auf seiner Plattform für Online-Veranstaltungen und -Wettkämpfe zu werben. Die Botschaft des Verbands: Vereine sollen sich in der Krise kreativ zeigen.
Kurze Bedenkzeiten gehen zu Lasten der Qualität
Auch beim SK Schweinfurt stößt das Online-Angebot zusehends auf Resonanz, wie Norbert Lukas feststellt. Was bleibt ihnen auch anderes übrig, jetzt, da der Amateursport wieder heruntergefahren wird? Aber die Skepsis bleibt.
Erstens erreicht der Verein auf diesem Weg bei weitem nicht alle aktiven Mitglieder, und zweitens wird im Internet oft nur mit kurzen Bedenkzeiten gespielt. 15 Minuten für eine Partie plus zehn Sekunden pro Zug sind derzeit fast schon die Obergrenze. Das geht zu Lasten der Qualität.
Für viele Trainer steht fest, dass Partien, die weniger als zehn Minuten dauern, zu Oberflächlichkeit und Fallenstellen verleiten und kaum Lernwert besitzen. Traditionalisten sehen das klassische Schach mit langer Bedenkzeit am Aussterben, je länger die Pandemie dauert. Aber was wäre die Alternative?
Nach dem ersten Lockdown im Frühjahr war der SK Schweinfurt mit der erste Verein gewesen, der von Mitte Juni an wieder Jugendliche ins Training zurückholte. Und auch nach Ende der Sommerferien kamen jede Woche 30 bis 40 Kinder zu den Trainingsabenden. Bei den Wettkämpfen saßen sie sich meist mit Mund-Nasen-Schutz gegenüber. „Die Kinder spielen lieber mit Maske als gar nicht“, hat Norbert Lukas beobachtet. Doch auch damit ist es nun erst einmal wieder vorbei.
Schachspieler bereiten sich auf Not-Spielbetrieb vor
Bis Ende November ruht der Amateursport auf Geheiß der Staatsregierung – und das, obwohl sich die Schachspieler gerade mit umfangreichen Schutzmaßnahmen auf einen Not-Spielbetrieb vorbereitet hatten. Unterfrankenweit etwa sollte es statt der üblichen sechs Bezirksspielklassen eine Corona-Liga geben. Jeder Verein hatte die Chance, sich mit beliebig vielen Mannschaften zu melden. So entstand ein Pool von 53 Teams, die dann in Turnierform ihre Besten ermitteln sollten. Geplant waren sieben Spieltage: der erste am 15. November, der letzte am 25. April 2021.
Was wird von diesem Konzept übrigbleiben angesichts der sich nun wieder zuspitzenden Krise? Fünf Teams hatten die Schweinfurter für die Corona-Liga im Bezirk gemeldet, dazu eine weitere auf Landesebene. Für seine überregionalen Ligen sieht der Bayerische Schachbund bislang eine normale Runde vor. Zwar ist die Mannschaftsstärke auch dort von acht auf sechs Spieler reduziert und die Zahl der Spieltage von neun auf sieben; sonst soll aber alles beim Alten bleiben.
Verband ruft zu Mindestabstand am Brett auf
Der SV Würzburg schickt gleich zwei Teams in den bayerischen Spielbetrieb. Neben der ersten Mannschaft in der Regionalliga ist im chaotischen Endspurt der vergangenen Saison – die letzten beiden Spieltage wurden nur zum Teil und ziemlich willkürlich ausgetragen – auch die zweite Garde Meister in der Unterfrankenliga geworden.
Zu ausgelassener Freude ist dem Würzburger Spielleiter Wolfgang Saftenberger dennoch nicht zumute. „Im Moment“, sagt er, „kriegt man die Leute kaum zum Spielen.“ Und wenn, dann bloß unter Strapazen. Wenn etwa der Verband seine Mitglieder in der Krise dazu anhält, den Mindestabstand am Brett „durch die Wahl entsprechender Sitzhaltungen“ zu garantieren, kann Saftenberger nur milde lächeln und fragen: „Sollen wir Verrenkungen machen, um die Züge auszuführen?“
Dies aber wäre noch das geringste Problem. Weit mehr sorgt sich der altgediente Funktionär, der inzwischen mehr als 300 Kilometer von Würzburg entfernt in Mühldorf am Inn lebt, um grundlegendere Dinge. „Wenn es noch schlimmer wird mit Corona, macht das unseren Sport kaputt.“
Viele kleinere Klubs krebsten schon jetzt am Existenzminimum. Nimmt der Online-Spielbetrieb weiter zu, könnte dies für sie den Todesstoß bedeuten, weil die Mitglieder zu Hause blieben. Schach sei mehr, als nur Figuren hin- und herzuschieben. „Da geht es auch ums Gesellschaftliche.“ Wenn aber Trainingsabende ausfallen und sich das Spiel mehr und mehr ins Internet verlagert, wo bleibe dann das Vereinsleben, wie nicht nur Saftenberger es aus vielen Jahrzehnten beim 1865 gegründeten Schachverein Würzburg kennt?
Manche Vereine, Verbände und Schulschachanbieter arbeiten bereits darauf hin, Brett und Internet zu verbinden. Hybride Formen, so sagen Funktionäre wie der niedersächsische Verbandspräsident Michael Langer, würden sich eher international von oben nach unten durchsetzen, indem Lösungen vorgezeigt werden.
Tarnen und Täuschen gibt es auch auf unterer Ebene
Dabei spielt er auf das große ungelöste Problem des Online-Schachs an: wie sich ohne Schiedsrichter im Raum Betrug verhindern lässt. Auch Norbert Lukas vom SK Schweinfurt ist das Phänomen der verbotenen Zuhilfenahme von Computeranalysen bewusst. Selbst auf unterer Ebene sei Tarnen und Täuschen ein Thema – und nicht immer flögen solche Betrugsmuster auf.
Hunderte Träger offizieller Großmeister- oder Meistertitel wurden gesperrt, weil sie beim Betrug erwischt wurden. Die Zahl der gesperrten Amateure geht in die Zehntausende. Der Weltschachbund hat deshalb schweres Geschütz aufgefahren und bekanntgegeben, dass er mit allen Schachplattformen und Spezialisten für IT-Sicherheit und Cyber-Crime kooperiert. Es kann also nicht schaden, wenn die Schachspieler demnächst wieder an die Bretter zurückkehren.