Ein schwerer Verdacht steht in der Tiefe des Raumes. Ist Hellmut Krug in Wahrheit gar nicht der hoch geschätzte Supervisor der deutschen Schiedsrichterszene, sondern ein entsprungener Bösewicht der frühen James-Bond-Filme? So eine Art Ernst Stavro Blofeld des deutschen Fußballs, wie die Kollegen der ZEIT dieser Tage argwöhnten? Der sitzt an einem fernen Ort in einem dunklen Raum voller Monitore, befehligt mit sparsamer Gestik seine Vasallen und muss sich nicht selbst die Hände dreckig machen.
Oft hatte Bond ihn vermeintlich zur Strecke gebracht, aber dieser Mann hatte sieben Leben wie seine weiße Angorakatze, die er ständig streichelte, während die Welt im Chaos zu versinken drohte und bloß darauf wartete, von Bond gerettet zu werden. Blofeld, dieser Schurke vom Dienst, war einfach nicht kaputt zu kriegen – bis er eines Tages fast unbemerkt aus der Filmreihe verschwunden war.
Eine schöne Parallele zu Hellmut Krug. Häufig hat man versucht, diesen Mann kaltzustellen – und immer tauchte er irgendwo wieder auf. Im Herbst 1997 zum Beispiel: Der damalige Bayern-Manager Uli Hoeneß hatte ihn der Arroganz geziehen und mit einem Fluch belegt.
Hoeneß, der nie auch nur im Verdacht stand, anmaßend zu sein, giftete nach einem zu ärmlichen 2:2 seines Klubs gegen den Stadtrivalen TSV 1860 München in Richtung Krug: „Der kann künftig pfeifen, was er will, aber nicht mehr den FC Bayern.“ Tatsächlich pfiff der Gelsenkirchener für den Rest der Saison kein Spiel der Bayern mehr, wurde danach aber durchaus wieder auf dem Rasen des Olympiastadions gesichtet.
Als Krug 2003 seine Schiedsrichterlaufbahn beendete, fragte ihn der „Kicker“ nach seinen Anfängen in der Fußball-Bundesliga. „Ist alles gut gelaufen, haben wir danach ein paar Bier getrunken – vielleicht auch mal eins zu viel.“ Der DFB setzte ihn vier Jahre in der Ausbildung der Schiedsrichterelite ein, dann schied Krug im Streit. Doch ein Weilchen später war er zurück: in der Schiedsrichterkommission Elite und seit Anfang dieser Runde als Leiter des Prestigeprojekts Videobeweis.
Nun ist er wieder weg – diesmal womöglich für immer, aus der Zeit gefallen wie Bösewicht Blofeld, ein Ewiggestriger, für den kein Platz mehr ist in der neuen Weltordnung. Hellmut Krug soll seine Macht missbraucht und mittels Videourteil das Recht gebeugt haben.
Auf sein klares Geheiß bekam Schalke 04 gegen den VfL Wolfsburg einen fraglichen Elfmeter zugesprochen, während dem Gegner ein klarer Handelfmeter verweigert wurde. Schalke 04 ist der Verein aus der Geburtsstadt des Gelsenkircheners Krugs. Nichts von alldem ist bewiesen genau wie die Vorwürfe, er habe Günstlinge gefördert und Rivalen gemobbt. Doch die aufgeregte Debatte zeigt nichts anderes als eine der größten Schwächen des Systems Videobeweis.
Der DFB kann ein Spiel getrost auch mit 2000 Kameras überwachen – solange der Mensch letzte Instanz aller Entscheidungen bleibt, besteht die Möglichkeit des Irrtums. Anders als bei der Überwachung der Torlinien, wo der Schiedsrichter von der Stadion-Technik das Signal über Tor oder Nicht-Tor erhält, muss beim Videobeweis ein Mensch im Studio die gelieferten Bilder auswerten und übersetzen.
Ich war nie ein Freund des Videobeweises. Im Zweifel potenziert er bloß die Fehler, mehr noch nimmt er dem Spiel aber seinen Reiz und seine Ursprünglichkeit. Dieses Spiel lebt zu einem wesentlichen Teil vom Zufall, von der Unberechenbarkeit, auch der Schiedsrichter. Wollte man alles der Technik überlassen, kann man eine Partie gleich am Computer spielen.
Dem Fußball und seinen Unwägbarkeiten begegnet man nicht mit den Gesetzen der Mathematik, Fußball ist Kreativität, warum nicht mal Chaos. Ein System wie der Videobeweis ist darauf angelegt, diesen Gedanken zu zerstören. Man will den Fehler und den Irrtum eliminieren. Das ist das Grundproblem unserer Gesellschaft, die sich immer wieder zwanghaft selbst zu optimieren sucht. Nicht einmal James Bond ist mehr der, der er vor mehr als fünfzig Jahren war.