Als Pater Edmar Greif die Turnhalle in Münsterschwarzach betritt, läuft laute Musik. Nachmittagssport am Egbert-Gymnasium. Eine Kollegin begrüßt ihn in den „heiligen Hallen“. Früher war das sein Revier, Tag für Tag stand er hier, Tausende gingen durch seine Schule – auch Stefan Schöderlein, heute selbst Sportlehrer am Egbert-Gymnasium. Viele riefen ihn nur „Eddi“. Inzwischen schaut er nur noch selten vorbei, aber wenn er da ist, ist er sofort in seinem Element und ins Gespräch mit Lehrern und Schülern verwickelt. Wir baten Pater Edmar und Stefan Schöderlein zum gemeinsamen Interview über die Bedeutung des Schulsports. Es fand im Lehrerraum der Turnhalle statt. Vor der Glasscheibe lief weiter der Sportunterricht.
Pater Edmar Greif: An Freude und Spaß an der Bewegung. Wir haben in der Schule viel Fußball gespielt. Turnen gab es damals noch gar nicht so.
Stefan Schöderlein: Schon als Schüler hat mich das Konzept in Münsterschwarzach begeistert. Jeder hat hier die Möglichkeit, seinen Interessen und Neigungen nachzugehen und den Sport aus vielfältigen Blickwinkeln kennenzulernen.
Schöderlein: Es gibt in Bayern noch andere Schulen, die dem Sport hohe Bedeutung beimessen. Aber nur wenige verfügen über eine solche Infrastruktur wie Münsterschwarzach mit Zweifachturnhalle, Spielhalle, Kraftraum und einer Außenanlage mit 400-Meterbahn, Rasenplatz, zwei Sandplätzen und einem kleinen Hartplatz. Das sind schon paradiesische Zustände.
Pater Edmar: Die erste offizielle Turnhalle in Münsterschwarzach war dort, wo jetzt die Verwaltung sitzt. Da wurde eine Decke eingezogen, und danach konnte man die Grundsportarten betreiben: Fußball, Leichtathletik, zum Teil Turnen. Aber mit heute ist das nicht vergleichbar.
Schöderlein: Es gibt viele Studien, die belegen, dass die konstitutionellen Voraussetzungen nicht mehr so sind wie früher. Ich glaube einfach, im Zeitalter der Digitalisierung wird alles bequem gemacht. Die Folgen dieser Bequemlichkeit wird man in 20, 30 Jahren im Gesundheitssystem sehen. Volkskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden zunehmen.
Schöderlein: Der Schulbus hielt damals um 16.45 Uhr vor unserem Haus. Da wusste meine Mutter: Ich würde jetzt gleich zur Tür reinkommen, Büchertasche ins Eck, und danach ging es noch 25 Minuten auf den Sportplatz. Das geht mir an der heutigen Generation ab: Wenn ich durch die Orte fahre, sehe ich kaum noch Kinder, die sich im Freien bewegen. Das hängt auch mit unserem Schulsystem zusammen. Denn das achtjährige Gymnasium gibt den Kindern eine straff durchgeplante Woche vor. Da bleibt nur noch wenig Zeit für andere Interessen.
Pater Edmar: Als Lehrer war ich jeden Tag in der Turnhalle. Meine guten Turner kamen dreimal in der Woche zu mir. Das ist in dieser Art kaum mehr möglich. Bei den deutschen Schülermeisterschaften 1974 waren zwei Turner aus Münsterschwarzach im bayerischen Team. Die beiden hatten gerade mal vier Jahre geturnt und holten schon den Titel. So etwas ist nur zu schaffen, wenn du planvoll arbeiten kannst.
Pater Edmar: Ich habe nie jemanden hängen lassen. Wir hatten damals auch schon dicke Kinder, die beim 1000-Meter-Lauf neun, zehn Minuten brauchten. Ich sah, wie sie sich anstrengten, wie sie keuchten, und ich sagte: „Toll habt ihr das gemacht!“ Beim nächsten Mal waren sie zwei Minuten besser. Kämpfen war wichtig.
Schöderlein: Ich glaube, entscheidend am Schulsport ist es, die Schüler dort abzuholen, wo sie mit ihrer Leistung stehen. Das ist die Herausforderung an uns Sportlehrer. Im normalen Sportunterricht sind die Gruppen sehr heterogen. Da musst du jeden so motivieren, dass er auf seiner Grundlage Erfolgserlebnisse hat, und jedem das Gefühl vermitteln, dass er Fortschritte macht.
Schöderlein: Die Freude an der Bewegung ist bei den Schülern immer noch vorhanden. Wir haben hier in Münsterschwarzach kaum einen dieser notorischen Turnbeutel-Vergesser. In diese zwei bis drei Einzelstunden Sport in der Woche kommen die Schüler sehr gerne, weil sie das auch als Ventil zu ihrem straff geplanten Schulalltag sehen. Es ist diese weite Bewegungserfahrung, die wir im Sportunterricht haben, und weniger der Leistungsgedanke. Denn es ist auch schwierig, das Ganze so zu gestalten, wie es noch bei Pater Edmar war. Heute habe ich Klassen mit 25, 30 Schülern, und wir sprechen hier von 45 Minuten Sportunterricht. Effektiv bleiben davon 25 oder 30 Minuten, und in dieser Zeit sollen die Kinder einfach ein bisschen Spaß haben und sich bewegen.
Schöderlein: Den Wunsch nach mehr gibt es immer. Ich glaube, sich täglich zu bewegen ist sinnvoll, damit sich bei den Kindern Automatismen einprägen. Wir reden hier wohlgemerkt nicht von Leistungssport, sondern von gesundheitsfördernden Maßnahmen. Dafür reichen zwei Einzelstunden in der Woche vermutlich nicht.
Pater Edmar: Das ist wie mit allem: Nur Begeisterte können begeistern. Wenn du nicht begeistert bist, dann bist du geistlos und langweilig. Sportlehrer zu sein ist eine Berufung, genau wie Arzt oder Priester. Die Kinder spüren das. Das, was im Kindergarten oder in der Familie begründet wurde, wird in der Schule gestärkt, aber nur wenn du begeistert bist. Die meisten Kinder konnten beim Turnen wahrscheinlich mehr als ich, aber ich habe gerne geturnt. Mir hat es Freude gemacht, den Kindern, auch denen, die nicht so gut waren, etwas beizubringen und ihnen ein Ziel zu vermitteln. Ohne Ziele kommst du nicht weit im Leben.
Pater Edmar: Ja, und auch, dass man lernen muss zu verlieren. Aus Niederlagen lernt man vielleicht mehr als aus Erfolgen. Denn Erfolg macht überheblich und leichtsinnig. Die jungen Leute sollen lernen, ihren Willen zu stärken. Dafür ist der Sport eine gute Schule, weil du gerade im Sport deinen Körper brauchst. Leistung heißt für mich nicht, dass ich Weltmeister werde. Leistung ist, dass ich mit meinen körperlichen Anlagen arbeite und versuche, diese optimal zu entwickeln. Dazu muss ich mich anstrengen. Als Sportlehrer habe ich die Aufgabe, die Schüler zu ermuntern, ihre inneren Kräfte zu entfalten. In der Schule darf es nie um absolute Leistung gehen, sondern immer nur um die relative Leistung, die einer bringen kann. Das setzt sich im späteren Leben fest.
Pater Edmar: Es gibt im ganzen Fächerkanon kein Fach, das besser auf das Leben vorbereitet, als der Sport. Der Körper wird gefordert und sendet dem Geist die entscheidenden Signale.
Schöderlein: Definitiv. Der Sportunterricht ist ein ganz elementarer Faktor, was die Persönlichkeits- und Charakterbildung der jungen Leute angeht, und er öffnet weitere Perspektiven. Wer im Sport gelernt hat, Grenzen zu überschreiten, wird das später auch im Beruf können.
Pater Edmar: Als ich 1961 Sportlehrer wurde, waren mir die Grundsportarten wichtig: Leichtathletik, Gymnastik, Schwimmen und im Winter Turnen.
Schöderlein: Da hat sich nicht so viel geändert, nur sind die Voraussetzungen besser. Im Winter ist Turnen der Schwerpunkt, im Sommer Leichtathletik, dazu kommen die Mannschaftssportarten. Jungs spielen immer noch am liebsten Fußball. Mir ist es wichtig, dass sie alle Sportarten, die wir anbieten können, wenigstens kennenlernen. Wieso nicht auch mal Tanzen für die Jungs oder Fußball für die Mädchen?
Schöderlein: Ich möchte meinen Kollegen nicht pauschal unterstellen, sie würden die Bedeutung des Faches Sports unterschätzen. Aber es gibt durchaus Eltern und Lehrer, die denken: Jetzt haben die Kinder zwei Stunden Sport, da passiert eh nicht viel. Für alle, die so denken, wäre es schon hilfreich, sich mal anzuschauen, vor welchen Herausforderungen so ein Sportlehrer steht und was im Sport erarbeitet wird, weit über die Grenzen der körperlichen Belastung hinaus – in der sozialen Kompetenz, im Umgang miteinander. Man kriegt im Sportunterricht so viel mit: wer der Außenseiter einer Klasse ist und wer der Platzhirsch. Und man kann ganz viel steuern über den Mannschaftssport. Das ist das Spannende an diesem Beruf.
Schöderlein: Ja, man hat es im Sportunterricht in einer so heterogenen Sportklasse mit den unterschiedlichsten Charakteren zu tun. Und gerade die Jungs, die vielleicht Sport im Verein betreiben und besser sind als andere, verfallen dann immer schnell in ein Muster: unbedingt gewinnen zu wollen. Als Sportlehrer muss ich ihnen aufzeigen, dass es auch darum geht, zusammen Spaß zu haben und sie etwas erleben zu lassen. Jeder soll sich integrieren können.
Schöderlein: Ich rede auch mal unter vier Augen mit Schülern – um ihnen deutlich zu machen, wie sie in gewissen Situationen reagiert haben. Sie sollen darüber nachdenken, weshalb sie in diesem Moment so gehandelt haben. Diese Selbstreflexion ist ganz wichtig. Man lernt auch, wie Pater Edmar dies gesagt hat, an einer Niederlage zu wachsen und sich zu entwickeln. Wenn ich gewinne, nehme ich vieles als selbstverständlich hin. Vor allem in den unteren Klassen bei uns sehe ich derzeit eine schöne Entwicklung: Die Schüler erleben den Sportunterricht anders, sind kooperativer und helfen sich gegenseitig, damit die Stunde gelingt.
Pater Edmar: Den hat er, und den muss er behalten. Für den Geist wird alles getan, aber der übrige Körper, der die ganze Arbeit leistet, wird vernachlässigt. Das Ganze ist ein Geben und Nehmen – und je mehr das harmoniert, um so ausgeglichener und harmonischer ist man als Mensch. Dieses Verhältnis aus Ruhe und Bewegung muss im Einklang sein. Unser Geist und unsere Persönlichkeit brauchen zu einem glücklichen Leben den Körper. So wie ich meinen Körper behandle, gibt er mir das zurück.
Schöderlein: Ich sage heute meinen Zehntklässlern, die sich ja zum Teil mit ihrem Zeugnis bewerben: Versetzt euch in die Lage eines Arbeitgebers. Bedenkt, welche Schlüsse er ziehen kann, wenn da in Sport eine 4 oder eine 5 steht? Er kann davon die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft ableiten – das sind wichtige Parameter, um auf den Bewerber zu schließen.
Schöderlein: Ja. Gerade weil ich beim Sport immer die relative Leistung eines Schülers sehen muss, ist es nicht immer so einfach, die Notenvergabe objektiv zu gestalten. Bei mir gibt es eine FKO-Note – Fairness und Kooperation –, die fast ein Drittel der Gesamtnote ausmacht. Da möchte ich einfach nur sehen: Wie gibt sich der Schüler im Sportunterricht? Hilft er beim Auf- und Abbau? Strengt er sich an? Das ist mir letztlich viel wichtiger als die reinen Weiten und Zeiten, die unterm Strich stehen.
Schöderlein: Der Sport taucht in derlei Studien tatsächlich immer nur als Randnotiz auf. Da sind der Staat und sportwissenschaftliche Institute gefordert, um über herkömmliche Studien noch mehr das Bewegungsdefizit der Gesellschaft aufzudecken. Man braucht bloß an die Spätfolgen zu denken, um zu erahnen, welche gewaltigen Kosten da auf uns zukommen. Denen könnte man durch mehr Schulsport entgegenwirken.
Schöderlein: Absolut. Der Sportunterricht ist die Basis der Leibeserziehung – und wenn es um die Frage geht, wie ich meinen Körper auch im Alltag gesundheitsfördernd bewegen kann, dann ist der Sportunterricht in der Lage, das zu leisten, aber sicherlich nicht in der Begrenztheit, wie er an den meisten Schulen angeboten wird.
Pater Edmar: Das fände ich gut. Mit einer halben Stunde Sport am Anfang jedes Tages wird der Organismus angeregt, und wenn es bloß ein Spiel ist. Es gibt ja den schönen Satz: Man hört nicht auf zu spielen, weil man alt wird, sondern man wird alt, weil man aufhört zu spielen.