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LEICHTATHLETIK: INTERVIEW
Doping? Interessiert Grundschüler nicht!
Ein Umbruch, wie ihn Otwin Hack und Andreas Lapp im Bezirk vollzogen haben, steht vielen Vereinen erst noch bevor. Was bedeutet das für eine Sportart, die sich schon heute schwer tut, Nachwuchs zu gewinnen?
Eike Lenz
 |  aktualisiert: 02.04.2019 10:32 Uhr

Mitte April hat Otwin Hack (70) den Vorsitz des Leichtathletik-Bezirkes Unterfranken an Andreas Lapp (36) abgegeben. Fast zwei Generationen liegen zwischen den beiden Sportfunktionären. Die Gesellschaft hat sich gewandelt, seitdem der gebürtige Effeldorfer Hack in Münnerstadt Abitur machte und in Rimpar sesshaft geworden ist. Mit dieser Herausforderung muss nun der Kleinlangheimer Lapp umgehen, der seit acht Jahren Übungsleiter bei der TG Kitzingen ist und damit einer wertvoll gewordenen Spezies angehört. Denn nicht nur die Zahl der Mitglieder sinkt, auch die der Übungsleiter. Dazu haftet der Leichtathletik gerade nicht der beste Ruf an. Im Doppelinterview sprechen die beiden über geplatzte Hoffnungen, die Leichtathletik im Wandel der Zeit und Doping unter Seniorensportlern.

Frage: Im Fernsehen läuft die Fußball-WM und wir sitzen hier und sprechen über Leichtathletik. Wie finden Sie das?

Otwin Hack: Das ist richtig und wichtig.

Man wirft den Medien oft vor, Ihnen gehe es nur um Fußball. Zu Recht?

Hack: Leichtathletik kommt dann gut weg, wenn Weltmeisterschaften oder Olympische Spiele anstehen. Bei Ihrer Zeitung genießen Fußball, Basketball und Handball eine regionale Dominanz, die es uns zusehends schwer macht.

Aber wir reden hier von erster oder zweiter Bundesliga.

Hack: Ja, aber auch wir hatten Athleten, die auf deutschen Meisterschaften waren und es bis heute sind. Das kann also nicht das Thema sein.

Herr Lapp, ist das auch Ihr Eindruck?

Andreas Lapp: Die Leichtathletiksaison erstreckt sich hauptsächlich von Mai bis Juli. In dieser Zeit haben wir auch eine Chance, in die Zeitung zu kommen. Für die Vereine ist diese Präsenz sehr wichtig, damit die Leute sehen: Hier tut sich was. Da könnte mein Kind auch mal hin.

Herr Hack, Sie haben 2013 einen Zehn-Punkte-Plan aufgestellt. Es ging darum, neue Mitglieder zu gewinnen, stärker mit den Schulen zu kooperieren oder den Leistungssport zu forcieren. Wie-viel dieser Agenda sehen Sie fünf Jahre später umgesetzt?

Hack: Einiges ist schon erreicht. Wir halten sehr engen Kontakt in die Schulen, das zeigt sich in der wachsenden Zahl an Sportarbeitsgemeinschaften. Im Kreis Würzburg bewegen wir jedes Jahr 1800 Grundschüler, die wir im Sommer durch die Lichtschranke laufen lassen. Viele, die in die Vereine drängen, stammen aus dieser Aktion „Schnellster Sprinter“. Mitglieder gewinnen wir auch über Straßen- und Volksläufe, aber das könnten noch mehr sein.

Was ist mit dem Leistungssport?

Hack: Da haben wir hoffnungsvolle Trainer verloren: Hans-Peter Werner im Bereich Wurf oder Freddy Schlund beim Stabhochsprung, der über Jahrzehnte tolle Arbeit geleistet hat. Wir hatten ja verschiedene Ansätze für eine Zusammenarbeit mit der Uni Würzburg und die Hoffnung, dass sich in Sachen Leistungssport etwas entwickeln kann. Das hat sich leider zerschlagen.

Ihnen, Herr Hack, ging es stets darum, Kinder für die Leichtathletik zu begeistern. Was steht auf Ih-rer Agenda, Herr Lapp?

Lapp: Wir müssen am Ball bleiben, wenn wir Kinder zur Leichtathletik bringen möchten. Denn die anderen Sportarten schlafen nicht. Der Generationswechsel, den wir im Verband vollzogen haben, steht auch vielen Vereinen in Unterfranken bevor. Ältere Trainer hören auf, wir müssen junge Leute fördern und ausbilden.

Herr Hack, Sie stammen aus einer Zeit, in der die Gesellschaft anders tickte. Erkennen Sie sich noch in der Leichtathletik von heute?

Hack: Wenn zu unserer Zeit jemand Leichtathlet war, ist er das geblieben. Wenn ich mir heute die Leichtathletik in den Vereinen anschaue, ist das in erster Linie Bespaßung. Die Kinder werden da hingeschickt, sind gut aufgehoben und werden betreut. Als ehrgeiziger Trainer will ich natürlich nach einer gewissen Zeit mehr: Ich will Leistung entwickeln. Und das ist heute nicht mehr in dem Maß möglich wie früher.

Warum nicht?

Hack: Weil die Kinder durch schulische Umstände – ich nenne die Verkürzung der Gymnasialzeit auf acht Jahre – nicht mehr die Zeit zum Trainieren aufbringen können und weil die Konkurrenz nicht nur im sportlichen Bereich, sondern quer durch diese Gesellschaft deutlich größer ist. Wenn heute der Wechsel von der Grundschule auf ein Gymnasium ansteht, verliere ich 30 bis 40 Prozent eines Jahrgangs.

Aber könnten Kinder in den Schulen nicht weiter ambitioniert Leichtathletik betreiben, wenn das die Schulen anböten?

Hack: Ja, wir hatten Ansätze. Wir wollten am Gymnasium in Veitshöchheim ein Internat einrichten, hatten mit dem Ministerium und dem Verband gesprochen. Das Vorhaben war schon weit gediehen – und ist dann im Sande verlaufen. Aus dem Gymnasium kam die Ansage, man wolle als offene Schule keine Sportart bevorzugen. Also haben wir den Fuß hier nicht reingebracht. Jetzt, nach fast 20 Jahren, gibt es neue Versuche. Ich glaube aber nicht, dass die erfolgreich sind. Ich hatte die Vision, die Uni mit ins Boot zu holen. Aber das war über Jahre nicht möglich, weil die Dozenten das nicht wollten.

Warum nicht?

Hack: Dazu kann ich öffentlich nichts sagen. Nur so viel: Im Moment habe ich wieder ganz guten Kontakt.

Herr Lapp, Sie kommen selbst aus der Mitte eines Vereins, nämlich der TG Kitzingen. Wie schwer ist es, nicht nur begeisterungsfähige Jugendliche zu finden, sondern auch Übungsleiter, die Kinder begeistern können?

Lapp: Wir in Kitzingen hatten immer wieder das Glück, dass 17- oder 18-jährige Athleten selbst den Übungsleiterschein machten und das Kindertraining übernahmen. Wenn von zehn Leuten mit Schein nur zwei längerfristig hängen bleiben, hat sich der Aufwand schon gelohnt.

Die Bilanz der letzten Jahre sah allerdings verheerend aus: Noch nie gab es so wenige Übungsleiter in Unterfranken.

Lapp: Klar, das ist ein Problem. Nur wenn ich Übungsleiter in den Vereinen habe, kann etwas vorangehen.

Wo sehen Sie den Bezirk Unterfranken im bayerischen Vergleich?

Lapp: Gemessen an der Zahl der Athleten, der Übungsleiter und der Breite der Vereine stehen wir ungefähr in der Mitte. In Unterfranken gibt es mehr als 200 Vereine, die Leichtathleten gemeldet haben. Beim regelmäßigen Bezirksvergleichskampf der 14-Jährigen hat Unterfranken in diesem Jahr den dritten Platz belegt.

Die Leichtathletik war zuletzt dominiert von Themen wie Doping, Korruption, Zuschauerschwund und eher mauen deutschen Ergebnissen bei internationalen Großwettkämpfen. Schreckt so etwas Jugendliche nicht ab?

Hack: Mir gefallen diese Negativschlagzeilen über Doping auch nicht. Aber das betrifft ja mehr die große Leichtathletik. Kinder kommen aus purer Freude an der Bewegung in die Vereine. Die Grundschüler sehen die Großen beim Speerwerfen und sagen: „Das will ich auch machen.“ Da geht es nicht um Doping oder Korruption. Unsere Aufgabe im Bezirk ist es, diese Freude an unserer so facettenreichen Sportart zu vermitteln. Die Vereine säen die Frucht für all die Erfolge, die später dann an der Spitze der Leistungspyramide geerntet werden.

Aber blutet Ihnen als Freunden der Leichtathletik nicht das Herz bei all den Dopingfällen der jüngeren Jahre?

Hack: Natürlich beschäftigt einen das – weil man immer auch Fragen beantworten muss. Aber das Problem hat ja nicht nur die Leichtathletik.

Ist dies auch Thema unter den Leichtathleten der Region?

Lapp: Wenn es aktuelle Fälle gibt wie zuletzt in Russland, spricht man schon mal darüber. Aber es ist nicht so, dass sich die Sportler regelmäßig über Doping austauschen oder die Eltern der Kinder auf einen zugehen und darauf ansprechen.

Wird auf unterer Ebene kontrolliert?

Hack: Es gibt Kontrollen ab einer gewissen Ebene. Aber den Kreisen fehlt dafür das Geld und das Knowhow. Das ist auf der Ebene auch kein Thema.

Weil man darüber schweigt, oder weil es von den Athleten nicht praktiziert wird?

Hack: Weil es von den Athleten nicht praktiziert wird. Das Thema taucht doch erst dann auf, wenn einer bei einer deutschen Meisterschaft zum fünften Mal Zweiter geworden ist und er sich mittels Doping einen Vorteil verspricht.

Würden Sie, Herr Lapp, Ihre Hand dafür ins Feuer legen, dass die Wettkämpfe hier in der Region sauber sind?

Lapp: Man kann nicht jeden durchschauen. Aber bei einer Kreismeisterschaft macht das doch gar keinen Sinn. Ob man da Erster oder Zweiter wird, dafür gibt es keine Prämie – in Kitzingen ja noch nicht mal eine Ehrung von der Stadt.

Hack: Es ist wohl eher im Seniorensport ein Thema.

Bei Senioren? Wo liegt denn da das Motiv?

Hack: Das weiß ich auch nicht. Ich kann Ihnen nur sagen, was mir wiederholt berichtet wurde. Und bei den Senioren ist das offenbar ein Thema.

Die Jugend sucht sich Vorbilder und findet Sie im Fußball oder im Tennis. Wo sind die Lichtfiguren in der Leichtathletik? Vor 30 Jahren konnte man mühelos zehn herausragende Leichtathleten aufzählen, heute tun Sie sich mit einer solchen Aufzählung schwer.

Lapp: Ja, man tut sich schwer, weil die Leichtathletik früher präsenter war in den Medien, und damit meine ich in erster Linie das Fernsehen. Ich erinnere mich, dass fast jedes Wochenende ein Leichtathletik-Meeting gezeigt wurde.

Könnte das nicht auch am Wettkampfformat in der Leichtathletik liegen? Es ist doch witzlos, sich etwa im Weitsprung 60 Versuche anzusehen, von denen 30 ungültig sind.

Lapp: Ja, aber es gibt Veranstaltungen wie die Diamond League, bei denen die Starterfelder sehr kompakt und die Leistungen erstklassig sind. Das Ganze läuft nur im falschen Kanal, nämlich im Pay TV. Und wir haben auch Vorbilder, nur wird das kaum mehr wahrgenommen.

Trotzdem: Müsste man nicht das Programm entrümpeln und einzelne Disziplinen interessanter machen?

Hack: Was Sie meinen, sind endlose Übertragungen mit Vorlauf, Zwischenlauf, Endlauf. Dafür hat unser Präsident Jürgen Kesting auf dem letzten Verbandstag neue Formate vorgestellt. Das Fernsehen spricht bei Gestaltung und Zeitplan der Wettkämpfe ein gewichtiges Wort mit. Man hat vereinzelt schon das Programm zu straffen versucht. Einige, nicht alle Disziplinen kann man auch aus dem Stadion herausholen, etwa auf Marktplätze. Bei all der Vielfalt denke ich manchmal: Weniger wäre mehr.

Lapp: Der Reformwille muss schon von oben kommen, weil es hier um Spitzensport geht. Da sehe ich im Moment einige gute Ansätze beim Weltverband und seinem Präsidenten Sebastian Coe. Das Interesse ist auf jeden Fall da. Gerade bei Olympia oder bei einer Weltmeisterschaft erzielt die Leichtathletik hohe Reichweiten.

Welche Beziehung haben Sie zum Sport und besonders zur Leichtathletik?

Lapp: Ich habe bei der TG Kitzingen mit Turnen begonnen, bin dann mit acht Jahren zur Leichtathletik und habe alle Schüler- und Jugendklassen durchlaufen. Irgendwann stand ich am Punkt, an dem ich erkannte: Sehr viel schneller geht es nicht mehr. Ich überlegte, was ich für den Nachwuchs tun könnte, und machte erst den Übungsleiterschein, danach den Trainerschein. 2010 habe ich von Heinz Hiltner die Abteilungsleitung übernommen. Und seit einigen Wochen bin ich Bezirksvorsitzender.

Hack: Ich war im Internat in Münnerstadt, und im Spielsaal stand ein Reck. Die Älteren haben sich dort am Aufschwung und an der Kippe versucht. Das probierte ich als Knirps auch mal. So landete ich beim Turnen und – da unser Sportlehrer auch Sprinttraining anbot – mehr und mehr bei der Leichtathletik. Wir hatten damals kaum Ausgangsmöglichkeiten. Wenn man aber zum Trainieren ging, durfte man abends mal raus. Wir hatten auch drei Fußballplätze und ein Schwimmbad – es gab so viele Möglichkeiten. Das führte dazu, dass ich 1968 nach Würzburg an das heutige Sportzentrum ging und dort die breite Sportpalette kennenlernte. Ich wollte auch so gerne Fußball spielen, aber meine Eltern waren dagegen.

Wieso haben Ihre Eltern das verboten?

Hack: Fußball war damals noch nicht angekommen in allen Gesellschaftsschichten. Es gab gewisse Vorbehalte. Als ich 18 war, durfte ich den Aufnahmeantrag beim VfR Bibergau endlich unterschreiben. Ich spielte zwei Jahre Fußball, gehörte jenem Team an, das Anfang der 1970er Jahre unterfränkischer Pokalsieger war und wurde dann Trainer im Raum Würzburg – bis eines Tages das Finanzamt kam. Ich musste Steuern nachzahlen, da mein damaliger Verein mit mir nicht ehrlich gewesen war. Nach dieser Geschichte war Schluss für mich. Ich fing erst wieder an, als mein Sohn sieben war, in Rimpar was für Kinder zu machen. So kam ich nach diversen Ausflügen zurück zur Leichtathletik.

Wo steht die Leichtathletik heute in der Gesellschaft?

Hack: Man muss da unterscheiden zwischen Breiten- und Spitzensport. Wir sind natürlich stolz, wenn einer bayerischer oder deutscher Meister wird. Die Vereine verwenden immer noch ihre ganze Energie darauf, Nachwuchs zu bekommen. Aber das wird immer schwieriger, weil uns die Übungsleiter wegbrechen. Den Übungsleiter auf Lebenszeit gibt es nicht mehr.

Boom bei den Volksläufen

Purzelnde Mitglieder: Wer sich beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) die Statistik der Mitgliederentwicklung aufruft, erhält eine Kurve, die seit einem Zwischenhoch im Jahr 2006 stetig fällt. Das deckt sich mit den Zahlen für Bayern und für Unterfranken. Deutschlandweit waren im Jahr des Fußball-Sommermärchens noch 906 541 Athleten in den Vereinen gemeldet, zuletzt stand der Index bei 815 627.

Das Interessante: Die Zahl der nicht zwingend in Vereinen organisierten Teilnehmer an Volks- oder Straßenläufen ist laut DLV-Statistik in diesem Zeit- raum stark gewachsen – nämlich von 1,78 Millionen (2006) auf zuletzt 2,16 Millionen. Am Anfang der Erhebung im Jahr 1964 lag diese Zahl bei nur 18 000.

Für Unterfranken bilanzierte Otwin Hack in den dreizehn Jahren seiner Amtszeit einen Mitgliederschwund von 22 000 im Jahr 2005 auf heute etwa 18 000.

 
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