
Jürgen Walter ist erkältet. Er hustet, der Hals tut ihm weh, und er bittet schon mal um Verständnis, sollte die Stimme plötzlich versagen. Doch dazu wird es nicht kommen. Eine Dreiviertelstunde redet er am Telefon, ab und zu muss er husten, sonst wirkt er so quicklebendig und sprachgewaltig wie seit gut drei Jahrzehnten als Trainer auf dem Fußballplatz.
Wie immer vergeht die Zeit mit ihm wie im Flug. und am Ende hat man den Eindruck, man hätte noch viel länger plaudern können: über Geldpreise im Training und Willensschulung im Würzburger Steinbachtal, über Rückenschmerzen vom Schulterklopfen – und über den Appell an ihn, mal etwas arroganter zu sein.
Jürgen Walter: . . . ach nein, bitte nicht!
Walter: Ach, ich mag dieses Datum nicht.
Walter: Ich fühle mich nicht wie 60. Ich hatte ein Leben lang mit jungen Leuten zu tun.
Walter: Wer mich kennt, weiß, dass Fußball meine Leidenschaft ist, meine Liebe. Ich hatte mit siebzehn meine erste Trainerstelle: in der B-Jugend des ETSV Würzburg, meines Stammvereins. Es macht einfach riesig Spaß, mit jungen Leuten umzugehen – vor allem, wenn man ein entsprechendes Echo findet.
Walter: Die Jungen kommen heute zum Training, wenn sie den Eindruck haben, dass die Zeit nicht vertan ist. Dass etwas geboten ist, auch wenn es mal knüppelhart zugeht. Als Trainer musst du ihnen eine Art Erlebnispark bieten. Das gelingt nicht jede Woche, aber man kann sich immer etwas für sie einfallen lassen. Ich zeichne meine Trainingsfleißigsten zum Beispiel
nach jeder Saison mit einem kleinen Geldpreis aus.
Walter: Der Frust ist eher da, wenn wir vier Spiele hintereinander verlieren. Wenn die Spieler nichts kriegen dafür, dass sie bei einem Verein Fußball spielen, muss man halt auch mal in Kauf nehmen, dass sie es Samstagabend richtig krachen lassen und am Sonntag entsprechend zum Spiel erscheinen. Und wenn die Mutter eines Spielers zu mir kommt und sagt: Herr Walter, mein Junge muss lernen, um im Abitur nicht durchzufallen, sage ich: Sie haben Recht, das hat absolute Priorität.
Walter: Ich glaube, ich habe mir im-mer den Preis des Trainers abgeholt: als Fleißigster. Mein erstes Fleißbildchen war eine Sportuhr, auf die ich mächtig stolz war, als Achtzehnjähriger in meiner ersten Spielzeit bei den Aktiven.
Walter: Sehen Sie: Ich bin noch nie abgestiegen, bin mehrfach aufgestiegen, manchmal gleich zwei-, dreimal mit einem Verein. Und die Jungs verinnerlichen schon, was möglich ist, wenn sie sich anstrengen. Das heißt nicht, dass man zig Runden rennen muss.
Walter: Vieles ist ja gar nicht wahr. Richtig ist das mit dem Steinbachtal. Da geht es um Willensschulung und darum, die eigenen Leistungsgrenzen auszuloten. Aber inzwischen sind die Spieler fast beleidigt, wenn ich nicht mit ihnen ins Steinbachtal gehe. Ich könnte Ihnen Videos zeigen, wie die Spieler auf der Heimfahrt singen und bester Laune sind. Schleifen ist etwas anderes. Ich bin im Training immer um Abwechslung bemüht: Da gibt es Musikzirkel mit Helene Fischer, und wir trainieren auch mal mit den Mädels.
Walter: Ich glaube, jeder weiß, wer da als Trainer zu ihm kommt. Auch in Volkach haben sie schon gemeint: Wir wissen, dass da ein Schleifer auf dem Weg ist.
Walter: Na ja, das war im Spaß dahingesagt. Die Jungs können am Tag nach dem Zirkeltraining kaum laufen vor Muskelkater, aber man muss sich da keine Sorgen machen: Das Smartphone können sie schon noch bedienen.
Walter: Das will ich gar nicht. Wenn die Achtung nur aus dem Amt rührt, das man bekleidet, ist sie nichts wert. Sie muss aus dem Respekt davor kommen, was der Trainer mit uns macht, was er für Charakterzüge hat und daraus, wie sehr er mit dem Herzen dabei ist. Die Jungs haben ein gutes Gespür dafür, was der Jürgen Walter für einer ist.
Walter: Ich stehe dazu: Wenn man immer etwas mehr tut als der andere, wird sich das auswirken. Wenn es auf die wichtigen Spiele einer Saison zugeht und die Spieler sagen: Mensch, Trainer, ich bin total fit, und man gewinnt die Relegation, steigt vielleicht auf, dann kann man es den Jungs vor Augen halten: So kann es sein, wenn man sich im Training entsprechend reinhängt. Ich habe immer versucht, das Limit eines Trainingsabends auszuloten und das Maximale herauszuholen.
Walter: Ich kenne viele Katzen, die Geburtstag hatten – und deretwegen Spieler nicht zum Training kommen konnten.
Walter: Manchmal sage ich zu meinem Spieler: Hatte deine Oma nicht schon einmal Geburtstag in diesem Jahr?
Walter: Ich habe solche Partybilder manchmal ausgedruckt und dazu benutzt, um Donnerstagabend das Training ein bisschen aufzulockern. Aber ich bin denen jetzt nicht im Internet bewusst nachgejagt. Da kann man ja Stunden verbringen bei der Vielzahl von Bildern.
Walter: Mir hat mal ein ganz lieber Spieler geraten: Jürgen, du müsstest mal ein bisschen arroganter sein. Ich habe immer versucht, so authentisch wie möglich zu sein. Das war ehrlich, das war auch mal laut, das war transparent, das war berechenbar. Ich habe den Jungs immer gesagt: Ihr könnt euch qualifizieren für das Team oder disqualifizieren, und wenn einer den Mac gemacht hat, war er eben in der zweiten Mannschaft – oder er hat seinen Pass genommen und ist wieder abgehauen.
Walter: Jeder braucht ein bisschen Selbstdisziplin. Da gehört Pünktlichkeit dazu. Wenn die einen zehn Minuten auf dem Platz stehen und frieren und die anderen kommen später, ist das unkameradschaftlich. So sehe ich das. Das hat auch nichts mit Alter zu tun. Ich versuche zu ändern, und das tut gelegentlich weh, wenn man vor einer Gruppe offen zurechtgewiesen wird. Mir hat mal ein Spieler gesagt: Du darfst das nicht persönlich nehmen, wenn wir verlieren. Aber so bin ich. Das ist meine Arbeit – mein Produkt – mein Herzblut. Und wenn ich bei einem Verein bin, verliebe ich mich in ihn. Manchmal ist das ein Fehler.
Walter: Wenn meine Söhne in jüngeren Jahren mal später nach Hause kamen, war ich schon sehr aufbrausend. Man macht sich ja Sorgen. Ich habe ein sehr emotionales Wesen, wo schon mal der Hut vom Kopf fliegt. Aber ich fahre auch ganz schnell wie-der runter.
Walter: Das würde ich nicht sagen. Als ich damals nach vielen Jahren in der Landesliga nach Untereisenheim in die A-Klasse ging, war ich für fünf, sechs Jahre völlig raus aus dem Fokus der Öffentlichkeit. Aber die Anspannung ist um keinen Deut geringer, als vor 1800 Zuschauern im Bayreuther Stadion zu spielen. Da kann der Puls auch nicht höher sein. Wer den Fußball mag, wer seine Mannschaft mag und Erfolg haben will, möchte auch ernten.
Walter: Mein jüngerer Sohn fragte damals auch: Weshalb gehst du nach Untereisenheim? Aber es war halt ein Versprechen, und das halte ich dann auch. Ich zähle mich zu den Leuten, die sich vorher anschauen, worauf sie sich einlassen. Und dort, wo ich war, hatte ich immer das Gefühl: Da geht was. Vielleicht ist das Glück oder ein Stück Menschenkenntnis. Eines aber würde mich wirklich mal interessieren . . .
Walter: Was denken die Spieler über einen?
Walter: Na ja, vielleicht entwickelt sich das im Lauf der Zeit. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Da ist einer Trainer in einem Verein, leistet Aufbauarbeit, es geht nur nach oben. Der Mann hat Rückenbeschwerden – weil die Leute ihm immerzu die Schultern klopfen. Dann fehlen ihm in seinem dünnen Kader drei Spieler aus der Viererkette, und er verliert vier Spiele nacheinander. Er erlebt die Blicke, sieht die Körpersprache von denen, die ihm zujubelten. Und dann kommt dieser Gedanke, den Sie gerade angesprochen haben.
Walter: Ja, aber es trifft einen schon, wenn die Kritik von Leuten kommt, die es besser wissen müssten. Ich werde nicht vergessen: Saisonstart in der Landesliga mit Sulzfeld, wir verlieren 0:7 in Sand. Mich hat noch eine Biene in den Hals gestochen. Dann versuchen wir im folgenden Heimspiel gegen Aidhausen, die Scharte auszuwetzen. Am Ende steht es 2:2, ich bin zufrieden. Nach dem Spiel gibt es Pizza für Trainer und Spieler. Dann fällt so ein Satz. Da habe ich die Pizza zurück auf den Teller geschmissen und bin gegangen.
Walter: Als Trainer musst du immer die Antennen aufstellen. Ich wurde noch nie rausgeschmissen, habe immer rechtzeitig die Zeichen der Zeit erkannt.
Walter: Ich habe ja noch nie etwas ausgeschlossen, aber ich kenne auch meine Laufzeiten, und ich denke, ich werde es mit 62, 63 mal langsam angehen lassen. Ich weiß, dass es auch mal ein Leben ohne Fußball für mich zu geben hat.
Walter: Wie sagte neulich einer zu mir: Jürgen, du trainierst doch, bis du umfällst.
Walter: Vielleicht haben die Leute nicht Unrecht. Was ich da so erzähle: Im Moment glaube ich ja selbst nicht daran. Die Aufgabe ist erfüllend. Und warum soll man sich den Spaß nicht gönnen?
Nur fünf Vereine in drei Jahrzehnten
Als Rock and Roller sieht er sich nicht. „Dafür habe ich zu wenig Haare“, sagt Jürgen Walter. Und als „Fossil“ mag der 59 Jahre alte Rottendorfer schon gleich gar nicht bezeichnet werden. Das klingt ihm zu sehr nach „rückständig“, und er sei kein rückständiger Trainer, versichert Walter, sondern mit allen Methoden der modernen Lehre vertraut. Mehr als drei Jahrzehnte ist der Polizeibeamte nun als Trainer tätig – und in diesen gut dreißig Jahren hat er sich immer lange in einem Verein gehalten, angefangen bei der SG Randersacker über die TG Höchberg, wo er ein ganzes Jahrzehnt verbrachte, und den TSV Sulzfeld (sechs Jahre). Es folgte der Bruch in seiner Karriere. Statt weiter in der Landesliga zu trainieren, folgte er dem Ruf des ASV Untereisenheim in die A-Klasse (2004-2010). Im Sommer 2010 wechselte er nach Dettelbach. Von dort wird er am Saisonende zum VfL Volkach weiterziehen. Walter ist verheiratet und hat zwei inzwischen erwachsene Söhne (23 und 28); er arbeitet bei der Polizei in Würzburg.