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FUSSBALL
Spielabbruch: Das große Schweigen des Sportgerichts
Das Sportgericht hat getagt und ein Urteil gefällt. Aber sprechen möchte über den delikaten Fall aus Gülchsheim eigentlich keiner. Die Reaktion ist leider exemplarisch.
Am Gülchsheimer Sportgelände (hier auf einem Archivbild vom August 2019) kochte Ende September die Stimmung hoch.
Foto: Hans Will | Am Gülchsheimer Sportgelände (hier auf einem Archivbild vom August 2019) kochte Ende September die Stimmung hoch.
Eike Lenz
 |  aktualisiert: 07.04.2020 13:03 Uhr

Ist dieses Urteil gerecht? Gerecht im Sinn von tat- und schuldangemessen? Vier Monate bleibt der Spieler gesperrt, der Ende September nach Überzeugung des Sportgerichts den Abbruch des Fußball-Kreisklassespiels in Gülchsheim provoziert hat. Außerdem werden der SpVgg Gülchsheim die drei Punkte ab- und dem SV Willanzheim zuerkannt.

„Man kann zufrieden sein“, sagt auf Anfrage der Gülchsheimer Sportleiter Claus Bidner, der am liebsten gar nichts mehr sagen würde, weil nach seiner Auffassung schon viel zu viel gesagt wurde. Und auch der Vorsitzende des Würzburger Kreissportgerichts möchte am Telefon nur das Nötigste, am liebsten gar nichts, sagen, weil sich ein Sportrichter nach eigenem Selbstverständnis grundsätzlich nicht äußert in der Öffentlichkeit; das sehen die Statuten nicht vor.

Ein Fall wie dieser schädigt das Ansehen der Ware Fußball

Ein Spielabbruch erregt immer die Gemüter und hohe Aufmerksamkeit. Man sah das an den Zugriffszahlen, die der erste Artikel dazu im Internet generierte. Aber auf der anderen Seite wird ein solcher Fall auch gerne unter den berühmten Teppich gekehrt. Er kratzt am Image des betroffenen Vereins, und er schädigt das Ansehen der Ware Fußball, die der zuständige Verband immer noch als Hochglanzprodukt verkauft. Bohrende Nachfragen und tiefer gehende Recherchen können da nur stören und sind nicht erwünscht.

„Fragen Sie in Gülchsheim nach!“, heißt es etwa bei Werner Pfeifer, dem Vorsitzenden des Würzburger Kreissportgerichts, bei dem der Fall gelandet ist. Und in Gülchsheim lautet die Ansage von Claus Bidner: „Eigentlich möchte ich dazu gar nichts mehr sagen. Es haben sich schon andere geäußert.“

Diese anderen – das waren Zeugen der Partie, die sich in den Tagen nach dem Spiel in der Redaktion meldeten und ihre Sicht der Dinge schilderten; das war auch der Schiedsrichter Klaus Lahr, der das Spiel gepfiffen hat und der sich – was äußerst ungewöhnlich ist – auf Anfrage zu den Geschehnissen dieses 29. September eingelassen hat. Zu einem damals schwebenden Verfahren.

Der Verein versäumt eine gute Gelegenheit 

Wenn der Sportleiter Bidner heute sagt, „einiges sei nicht so verstanden worden“, kann das nichts anderes bedeuten als: Manches ist aus Sicht des Vereins falsch oder verzerrt wiedergegeben. Manches dessen, was uns Zuschauer und Schiedsrichter berichtet haben.

Auch die SpVgg Gülchsheim hatte die Möglichkeit, ihre Wahrheit zu schildern. Sowohl der Vorsitzende als auch der Spielertrainer waren von dieser Redaktion befragt worden. Die Antworten fielen eher dürftig aus, genau wie bei einer erneuten Nachfrage beim Sportleiter. Sie hätten kommentieren oder widerlegen können, was dem Klub vom Schiedsrichter oder mindestens einer Zeugin vorgeworfen wurde – dass die Stimmung am Platz explosiv war, der Schiedsrichter von außen mit „Kraftausdrücken“ belegt wurde. Und dass es der Heimverein nicht schaffte, für Ruhe unter den Zuschauern und den eigenen Spielern zu sorgen.

Die Lage eskalierte nach etwa siebzig Minuten. Ein Gülchsheimer Spieler, so erzählte es der Schiedsrichter, sei „mit beiden Beinen voraus“ in einen Zweikampf gegangen, der Willanzheimer Spieler sprang hoch und blieb bei der Landung mit einem Fuß im Gesicht des Gülchsheimers hängen, der daraufhin stark blutete und am Platz behandelt wurde. Als er wieder stand, hielt ihm der Schiedsrichter die Gelb-Rote Karte vor. Da packte der Gülchsheimer den Unparteiischen am Kragen. Der riss sich los und brach die Begegnung ab.

Eine Tat im Affekt, aber nicht tolerierbar

Klaus Lahr, der für die Gruppe Bad Mergentheim pfeift und im Fußball-Bezirk Hohenlohe Schiedsrichterobmann war, ist davon überzeugt, korrekt gehandelt zu haben. Eine Tat im Affekt, klar, dennoch nicht tolerierbar. Einen Schiedsrichter anzufassen gehe gar nicht. Das sei auch eine Frage des Respekts, und der sei – wie in der gesamten Gesellschaft – deutlich gesunken.

Die Sache landete, wie in solchen Fällen üblich, vor dem Sportgericht. Zeugen wurden gehört, Stellungnahmen angefordert. Auf dieser Basis hat die mit drei Personen besetzte Kammer unter Vorsitz Werner Pfeifers ihr Urteil gefällt. Kommentieren möchte Pfeifer es nicht. Nur so viel: Der Abbruch sei gerechtfertigt gewesen, weil der Schiedsrichter angefasst worden sei.

Näher lässt er sich nicht ein. Und die Frage bleibt: Wie wenig Vertrauen in die eigene Arbeit und Urteilskraft, wie wenig Zutrauen aber auch in die Öffentlichkeit muss eine Institution wie das Sportgericht haben, um sein Handeln bis zur Unkenntlichkeit zu verdunkeln?

Schiedsrichtergruppen agieren wie Geheimbünde

Wo immer es möglich ist, gibt sich der Fußball-Verband modern bis progressiv. Er hat gerade seine Homepage überarbeitet, lässt Spiele mittels Livestream und Web-Kamera auch von zu Hause erlebbar werden und Spielberichte von Sprachrobotern erstellen – nur wenn es um die eigenen Institutionen geht, herrschen im Verband immer noch Zustände wie im Mittelalter. Schiedsrichtergruppen werden wie Geheimbünde geführt Sportgerichte tagen in Hinterzimmern unter Ausschluss der Öffentlichkeit gefällt.

Das alles ist bizarr genug und war im Übrigen auch schon so, bevor der gerne vorgeschobene Datenschutz immer weiter verschärft wurde. Dass man sich in Zeiten von Transparenz und Offenheit aber nicht einmal auf den kleinsten gemeinsamen Nenner verständigen kann, die Information darüber, wie denn ein Urteil ausgefallen ist, nährt Skepsis und Unbehagen. Nicht zuletzt verpasst man dadurch das von Schiedsrichtern wie Klaus Lahr geforderte Signal für mehr Toleranz und Respekt auf den Sportplätzen.

 
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