Noch wagt sich niemand aus der sicheren Deckung, noch führen die Diplomaten das Wort. Politik ist die Kunst des Machbaren, und da könnte jedes unbedachte Wort bloß Schaden anrichten – also halten sich die Spitzenvertreter aus Sommerhausen und Winterhausen vornehm zurück, wenn die Rede auf eine künftige Fußball-Spielgemeinschaft ihrer beiden Klubs kommt. „Es kann alles sehr schnell passieren, es kann aber auch noch ein paar Jahre dauern“, sagt der Sommerhäuser Sportleiter Bernd Diroll. Und auch Winterhausens Vize-Vorsitzender Kurt Kleinschnitz zitiert aus der Fibel des kleinen Diplomaten: „Ich schließe eine solche Zusammenarbeit keinesfalls aus.“ Fakt ist: Beide Standorte werden – mittelfristig gesehen – keine Zukunft haben, wenn sie nicht Synergien bündeln. Dafür sind die Rahmenbedingungen einfach zu schlecht. Fest steht aber auch: Es gibt derzeit noch allerorten Bedenken, die es mit kluger Sachpolitik zu zerstreuen gilt.
Nirgends lässt sich der Niedergang der einst so stolzen Fußball-Kulturen drastischer ablesen als am Tabellenstand. Zahlen lügen nicht. Für Sommerhausen ist die Lage als Letzter der Kreisklasse Würzburg noch ein wenig deprimierender als für Winterhausen als Vorletzter – aber noch ist die Not offenbar nicht groß genug, um sofort zu handeln und Erste-Hilfe-Maßnahmen einzuleiten, noch gibt es besonders unter den Traditionalisten Skepsis und Vorbehalte. Noch stehen vor allem die alteingesessenen Mitglieder der Idee kritisch gegenüber, plötzlich gemeinsam aufzutreten und die Herausforderungen der Zeit Seit an Seit zu meistern. Über Jahrzehnte haben sie ihre Rivalität auf und neben dem Rasen gepflegt, haben Empathie und Leidenschaft für ihren Klub gezeigt. Die Sache nüchtern zu betrachten, in Pragmatismus umzuschwenken und Rationalität walten zu lassen, fällt da nicht leicht.
„Sommerhausen und Winterhausen waren doch wie Hund und Katz“, sagt Bernd Diroll, 53, in der „heißen Zeit“ zwischen den Nachbarklubs sozialisiert. „Aber heute haben wir eine andere Generation. Das Verhältnis ist entspannter.“ Dass die Spieler heute pfleglicher miteinander umgehen, ist auch dem gesellschaftlichen Wandel der letzten zwei Jahrzehnte geschuldet. Die Globalisierung vollzieht sich auch im Regionalen. Längst ist die Jugend nicht mehr so tief verwurzelt in ihrem Ort wie früher, als der Großteil im Umkreis gearbeitet und gelebt hat. Heute zieht es sie hinaus in die Welt, die Bindungskräfte sind nicht mehr so stark, und natürlich gehen mit dieser Entwicklung auch Heimatgefühl und Identifikation verloren. Das darf man bedauern, weil die Rolle der Vereine dadurch insgesamt geschwächt wird – aufzuhalten aber ist der Trend sicher nicht.
TSG und FC haben vor der Runde einen Versuchsballon steigen lassen, der rasant an Auftrieb gewinnt. Unter der Chiffre „FC Winterhausen II“ gehen die beiden Vereine in der B-Klasse 3 mit ihren Reserven an den Start. Ein „erster Schritt“, wie Bernd Diroll sagt, ein Testlauf sozusagen, um sich der Reaktionen zu vergewissern und ihre Kooperation einer Bewährungs- und Belastungsprobe zu unterziehen. Sportlich betrachtet, könnte es nicht besser laufen: Das gemeinsame Team ist nach sechs Spielen ungeschlagen Erster. Und auch sonst klappt die Sache „sehr gut“, wie Diroll und Kleinschnitz unisono berichten. Schneller als erwartet birgt die bilaterale Annäherung Erfolg, von dem sich die Spitzenvertreter ermutigt fühlen dürfen, am großen Rad zu drehen. Dabei gilt es weiterhin sensibel vorzugehen, um die zart geknüpfte Bande nicht durch unbedachtes Handeln oder Reden zu zerstören.
Kleinschnitz hat für Winterhausen schon klargemacht, dass es nicht um eine Kernschmelze gehe, wie sie etwa der FC und der SV Ochsenfurt vollzogen haben, sondern nur um eine gemeinsame Fußball-Sparte beider Vereine. „Ich glaube, damit würden wir beim Großteil der Mitglieder auf Verständnis stoßen“, sagt der 65-Jährige, der selbst Sympathien für die Idee erkennen lässt. Noch steht ausreichend Personal zur Verfügung, um sonntags sowohl in Winterhausen als auch in Sommerhausen eine Elf auf den Platz zu schicken. Was aber, wenn die Studenten in beiden Mannschaften erst einmal einen Job haben und sich fern der Heimat bewegen? Nicht nur Kurt Kleinschnitz stellt sich besorgt diese Frage. Sportliche Höhenflüge, wie sie beide Klubs in den 1990er-Jahren genossen haben, sind vor diesem personellen Hintergrund ohnehin Utopie. Sommerhausen war damals Stammgast in der Kreisliga, der Nachbar von der anderen Mainseite spielte zumindest für eine Saison (1998/99) in dieser Klasse.
Jetzt droht beiden Klubs der Sturz in die A-Klasse, aus der sich TSG und FC in diesem Jahrtausend schon einmal hochgerappelt haben. Vielleicht beschleunigt ja ein gemeinsamer Abstieg die Dynamik des Vereinigungsprozesses. Diroll kann sich das durchaus vorstellen, Kleinschnitz zweifelt und sagt: „Entscheidend ist, wie sich die personelle Situation entwickelt.“ Als Frühindikator gilt dabei die Lage im Jugendbereich. So zeichnete sich die heutige Misere für Winterhausen bereits 2005 ab, als der Verein sich gezwungen sah, einen Partner für seine Jugend zu suchen. Fündig wurde der FC in Tückelhausen und Goßmannsdorf, Sommerhausen orientierte sich derweil Richtung Eibelstadt und Randersacker. Auch auf dieser Ebene wird man sich demnächst annähern müssen. In den zwei Dörfern entlang des Mains hat die Stunde der Diplomatie begonnen.