Gert Hellmann (71) war zu DDR-Zeiten Bergbauingenieur und nach der Wende Sportjournalist – eine ideale Kombination für das, was er nun im Ruhestand tut. Als Vorsitzender des Triathlonvereins Barchfeld in Thüringen organisiert er seit Jahren den Kristallmarathon. Das Besondere: Der Wettkampf findet mitten in einem stillgelegten Bergwerk statt. Im Gespräch erzählt Hellmann von den Zwängen unter Tage und davon, wie ein kleiner Verein eine Veranstaltung dieser Größe bewältigen kann.
Frage: Wie kommt man auf die Idee, einen Marathon in einem stillgelegten Bergwerkstollen zu veranstalten?
Gert Hellmann: Ganz einfach. Wir wollten zu unserem Triathlon, den wir einmal im Jahr veranstalten und den es schon zu DDR-Zeiten gab, einen zweiten Wettkampf machen. Aber Läufe gibt es ja wie Sand am Meer, und alles, was wir probiert haben, hat nicht richtig eingeschlagen. Also sind wir auf die Idee gekommen, es mit einem Marathon unter Tage zu probieren.
Das passende Bergwerk lag dann zufällig vor der Haustür.
Hellmann: Im Grunde ja. Das Kali-Bergwerk in Merkers, einst das größte auf der Welt, wurde kurz nach der Wende stillgelegt. Nachdem K+S es 1993 übernommen hatte, machten sie daraus ein Besucherbergwerk. Wir haben uns mit dem Betreiber zusammengesetzt und gemeinsam den Versuch gewagt, einen solchen Lauf anzubieten. So etwas gab es zwar schon in Sondershausen, aber das Grubenfeld und der Start-Ziel-Bereich bei uns sind größer. Inzwischen haben wir Sondershausen auch von der Performance und der Teilnehmerzahl her überholt.
Wie waren denn in den ersten Jahren die Reaktionen in der Laufszene?
Hellmann: Zunächst kamen nur Läufer aus unserer Gegend, das waren vielleicht 250 bis 300. Damals war die Teilnehmerzahl auf 500 begrenzt. Mehr gab die Logistik nicht her. Sie müssen ja auch die Sicherheit gewährleisten. Und dann hat sich die Sache von Jahr zu Jahr gesteigert. Bei uns starten 750 Sportler aus 16 Nationen. Der Lauf ist binnen zwei Wochen ausgebucht.
War Ihnen klar, dass das relativ schnell ein Renner sein wird?
Hellmann: Ich dachte schon, dass wir rasch an Grenzen stoßen würden. Dass wir jetzt so überrannt werden, war nicht vorherzusehen.
Vergangenes Jahr haben wir das Limit in enger Abstimmung mit dem Betreiber auf 750 Teilnehmer erhöht. Aber mehr geht wirklich nicht.
Wo liegt das Problem?
Hellmann: Das Problem ist die Logistik. Die Leute müssen ja alle durch ein Nadelöhr: erst
im Aufzug den engen Schacht runter, dann in offenen Transportwagen fünf Kilometer zum Startbereich und nach dem Wettkampf alles wieder retour.
Kennen Sie das Bergewerk noch aus seiner aktiven Zeit?
Hellmann: Ja, ich habe als Bergbauingenieur gelernt und selbst da unten geschuftet. Als es nach der Wende geschlossen wurde, habe ich bis zu meinem Ruhestand als Sportjournalist gearbeitet.
Mit wie vielen Helfern sind Sie am Rennwochenende im Einsatz?
Hellmann: Unser Verein hat ja nur 36 Mitglieder . . .
Wie bitte? Und damit ist so ein Massenauflauf zu bewältigen?
Hellmann: Ja, das klingt verrückt. Normalerweise müssten Sie an solchen Tagen Leute beschäftigen. Aber das würde Geld kosten. Also stemmen wir alles, was unmittelbar mit dem Lauf zu tun hat – Verpflegung, Siegerehrung und so weiter – mit unseren 36 Mitgliedern und deren Frauen. Für den Transport und die Sicherheit unter Tage sind die Bergleute verantwortlich.
Schildern Sie doch mal die Atmosphäre da unten. Was macht den Kick aus?
Hellmann: Die meisten sind das erste Mal in ihrem Leben unter Tage – das allein ist schon ein Erlebnis. Der Lauf findet 500 Meter unter der Erde statt auf einem 3,3 Kilometer langen Rundkurs, der allerdings nicht eben verläuft, sondern Steigungen und Gefälle hat. Die Wege sind etwa fünf Meter breit, die lichte Höhe schwankt zwischen sechs und acht Metern. Ein Helm ist für jeden Läufer Pflicht. Die Strecke ist ausgeleuchtet, man kann sich also da unten trotz des fast endlosen Stollensystems nicht verirren.
Muss man in unserer heutigen Spaß- und Event-Kultur mit so verrückten Ideen kommen, um die Leute zu erreichen?
Hellmann: Die Laufkalender sind heute voll mit Veranstaltungen – und natürlich müssen Sie immer etwas Verrücktes machen, um sich abzuheben. Die einen laufen durch die Arktis, andere durch die Sahara oder das Tal des Todes. Und wir laufen eben unter Tage. Der Termin im Februar ist dafür sehr günstig. Es hat da unten konstant 21 Grad, und es gibt kein schlechtes Wetter.
Aber es gibt durchaus Stimmen, die vor Gefahren warnen.
Hellmann: Gefährlich wird es für Leute, die eine Phobie haben. Die sollten besser nicht einfahren.
Gab es solche Fälle?
Hellmann: Es gab mal einen, der mit seinem Lauf fertig war und angeblich plötzlich Platzangst bekam. Ich glaube aber, der wollte nur schnell rausgebracht werden, weil dort seine Freunde auf ihn warteten und er zur Fahrgemeinschaft gehörte.
Verlangen Sie von den Teilnehmern ein ärztliches Attest?
Hellmann: Nein. Zu DDR-Zeiten gab es das. Wir weisen in der Ausschreibung darauf hin, dass sich jeder ordentlich vorbereiten sollte, wie das bei allen anderen Wettkämpfen auch der Fall ist.
Im Unterschied zu anderen Wettkämpfen gibt es im Bergwerk keinen kühlenden Luftzug, das Salz an den Wänden zieht das Wasser aus dem Körper, der aufgewirbelte Staub wird eingeatmet. In Sondershausen warnte ein Mediziner vor Jahren vor diesen Gefahren und meinte: „Viele riskieren ihr Leben.“
Hellmann: Wo gibt es denn aufgewirbelten Staub? Das Bergwerk ist doch tot. Diese Strecken, früher Hauptfahrwege, werden seit Jahrzehnten nicht mehr genutzt. Und die trockene Luft, ja natürlich, die gibt es. Darauf muss sich eben jeder Läufer einstellen, indem man viel trinkt.