Überall war nach der Rückkehr von Jupp Heynckes zum FC Bayern München die Sorge zu hören: Ist dieser Mann mit 72 Jahren nicht zu alt? Und ich fragte mich schon damals: zu alt? Wofür? Für den Job als Bundesliga-Trainer? Für die Belastung und den Stress im Alltag? Für den FC Bayern, diesen in seiner Chefetage ja als Jungbrunnen bekannten Arbeitgeber? Hoeneß 65, Rummenigge 62 . . . – soll ich weitermachen?
Heute hört man diese Frage kaum noch. Vielleicht weil Heynckes demonstriert hat, was viele nicht für möglich hielten – dass die Evolution den Menschen so weit gebracht hat, dass er mit 72 nicht nur Seerosen im Teich züchten und ein bisschen den Hof kehren kann, wie es der Fußball- Experte die letzten Jahre auf seinem restaurierten Bauernhof getan hat. Ist die Lösung womöglich ganz einfach: Erfolg macht sexy und jung gleichermaßen?
Ein Philosoph des Fußballs – mal eben sieben Jahre älter als Jupp Heynckes – hat sich über die Fragen des Lebens im Allgemeinen und des Alters im Besonderen seinen eigenen Reim gemacht. Man könnte ihm die Fragen stellen, mit denen der Kollege Heynckes vor seiner Rückkehr nach München konfrontiert war – und er würde antworten, wie er es zu seiner aktiven Zeit zu tun pflegte.
Etwa so: Ist einer mit 72 nicht zu alt für einen Job in der Bundesliga? „Es gibt nicht alt und jung, sondern bloß gut und schlecht.“ Okay, aber ist man mit 72 noch nah genug am modernen Fußball? „Modern ist, wer gewinnt.“ Na gut, aber braucht es hier nicht einen der neuen Trainer-Generation? „Wer Erster ist, hat immer Recht. Ich habe also Recht und wenn ich Fünfter bin, können Sie gerne wieder mit mir reden.“ Dies alles sind Original-Zitate Otto Rehhagels, von dem übrigens auch dieser Satz stammt: „Wenn ich ein Angebot Real Madrids oder des FC Barcelona habe, dann komme ich noch mal.“
Für Heynckes reicht in der Regel der FCB. Seine Telefonnummer, so mutmaßten die Kollegen der Süddeutschen, scheint bei Uli Hoeneß direkt hinter dem Notruf zu stehen. Wir wissen nicht mehr weiter? Lasst uns auf dem Bauernhof anrufen!
Es ist Heynckes' vierte Mission in München. Auch Helmut Kohl hatte vier Amtszeiten, und die letzte war seine miserabelste – weil er sich jeglichen Reformprojekten im Land verweigerte. Heynckes aber wurde nicht als Reformer und Erneuerer zum erfolgreichsten deutschen Fußballklub geholt.
Er soll nicht Buddhafiguren am Trainingsgelände aufstellen, sondern einfach nur helfen, die Zeit zu überbrücken – solange, bis ein passender Kandidat für die Post-Guardiola- und Nach-Ancelotti-Ära gefunden ist, vor allem aber, bis der Verein für sich geklärt hat, was er sein will und wohin er sich bewegt. Will er Sicherheit auf dem Festgeldkonto? Oder Risiko auf dem Spielfeld? Will er einen starken Trainer, der dann auch seine eigenen Ideen entwickelt und umsetzt? Oder will er einen, der die Pläne des Klubs verwirklicht?
Die Konkurrenz in Europa ist inzwischen so weit entrückt, dass sie für den FC Bayern kaum noch zu erreichen ist. Die Münchner mögen hierzulande noch immer eine große Nummer sein, weil sich der Rest der Liga vor ihnen klein macht – und im Zweifel immer noch ehrfürchtig auf die Knie geht (die Schiedsrichter eingeschlossen). Doch innerhalb Europas ist der Fußball gerade dabei, eine neue Ordnung zu begründen, deren Mitglieder sich kannibalisieren.
Von der britischen Insel über Frankreich breitet sie sich auf dem Festland aus: Klubs ohne Skrupel und Moral, aber mit um so mehr Investorengeld. Die Bundesliga, obwohl zuletzt zehnmal schneller gewachsen als die deutsche Wirtschaft, hat diese gefährliche Spezies bisher erfolgreich kleingehalten.
Jupp Heynckes wird als der Trainer in die jüngere Geschichte des FC Bayern eingehen, der es 2013 geschafft hat, die Phalanx in Europa zu durchbrechen und die Münchner zum letzten großen Titel zu peitschen. Bald wird er auf seinen Bauernhof zurückkehren. Für diesen Irrsinn ist er einfach zu alt.