Georg Zehnter hat viel zu erzählen, und das ist streng genommen eine Untertreibung. Zehnter redet ohne Atempause, als ob Sätze weder Punkt noch Komma hätten. Er kann einfach nicht aufhören. Zu facettenreich sind seine Erlebnisse, zu lebendig seine Erinnerungen. Georg Zehnter hat sich im Fußball auf lokaler Ebene im Laufe von Jahrzehnten einen Namen gemacht. Als Spieler schaffte er es mit der SpVgg Giebelstadt in die Bezirksliga. Als Spielertrainer führte er Mannschaften von der Bedeutungslosigkeit in die Erfolgsspur und von einem Aufstieg zum nächsten: Innerhalb von fünf Spielzeiten kam der FC Hopferstadt in den neunziger Jahren so von der niedersten Klasse in die Bezirksliga. Später profitierte Zehnters Heimatklub, der SV Sonderhofen, von seinen Qualitäten als Motivator und Impulsgeber im defensiven Mittelfeld. Zwei Aufstiege waren die Folge, am Einzug in die Bezirksliga scheiterte der Klub erst in der Relegation.
Inzwischen ist Zehnter 48 Jahre alt und ein Fußball-Greis. Während Gleichaltrige allenfalls wegen der anschließenden Geselligkeit in der Altherrenliga kicken, mischt Zehnter noch immer in der Punktspielrunde mit. Vorigen Sommer hat er sich dem SV Gelchsheim angeschlossen und schon wieder ist er mit seiner Mannschaft aufgestiegen: Dieser Tage gelang den Gelchsheimern in der Relegation der Sprung von der A-Klasse in die Kreisklasse. Zehnter überragte in der entscheidenden Partie gegen die DJK Effeldorf (Endstand 2:0) auf der Position des Liberos. Er beherrschte die Zweikämpfe und trieb die jungen Mitspieler an. „Er strahlt so viel Ruhe aus“, sagt Gelchsheims Trainer Christian Högler: „Die anderen werden dadurch in allen ihren Aktionen sicherer.“ Zustande gekommen war die Verbindung zwischen Zehnter und dem SV Gelchsheim durch einen Zufall: Im vergangenen Jahr auf einer Hochzeitsfeier, wo Högler und Zehnter zu den Gästen zählten, hatte Gelchsheims Bürgermeister Hermann Geßner den Vereinswechsel ins Gespräch gebracht. „Ich dachte erst, ich höre nicht richtig“, sagt Zehnter heute, der zuletzt nur noch für die Altherren-Mannschaft Sonderhofens spielte und sich in diesem Seniorenzirkel meist nicht ausgelastet fühlte.
Georg Zehnter über die Liebe zum Fußball
Aus der fixen Idee des Bürgermeisters entwickelten sich alsbald konkrete Pläne. Högler und Zehnter kannten sich seit langem: Gelchsheims Trainer spielte einst in Hopferstadt und Sonderhofen – zu jener Zeit, als Zehnter in den Vereinen tätig war. Nun sollten die Rollen umgekehrt vergeben sein. Högler konnte den Routinier in seinem kleinen Mannschaftskader gut gebrauchen, und Zehnter bekam wieder eine Herausforderung. „Auf dem Platz kann ich mich austoben“, sagt der 48-Jährige: „Ich spiele für mein Leben gern und kann es einfach nicht lassen.“ Mit dem Trainer hatte er sich darauf verständigt, als Aushilfe einzutreten, wenn wieder einmal dringende Not am Mann bestünde. War Gelchsheims Aufgebot an einem Sonntag üppig genug, setzte sich Zehnter auf die Reservebank. Ein Jüngerer, der genauso beständig trainiert hatte, sollte seinetwegen nicht den Platz im Team verlieren. In der Summe der abgelaufenen Saison kam Zehnter – manchmal als Libero, meistens als Umschaltspieler vor der Abwehr – bei der Hälfte aller Spiele zum Einsatz. Es wären einige mehr geworden, hätte er sich im Laufe der Runde nicht noch zweimal Blessuren an den Muskeln zugezogen.
Selbst während der Übungsstunden bewirkte Zehnters Anwesenheit eine Leistungssteigerung in der Mannschaft: Trotz seines Alters beanspruchte er keine Pausen, er rannte beständiger als mancher 20-Jährige und wurde grimmig, wenn andere in den Trainingsspielen nicht den vollen Einsatz zeigten. „Einige sind allein dadurch vierzig Prozent besser geworden, wenn ich auf dem Platz aufgetaucht bin“, sagt Zehnter: „Die Jungen wollten sich schließlich keine Blöße geben.“ Als Gelchsheim jüngst den Aufstieg geschafft hatte, bekam Zehnter bei der anschließenden Feier, die er weit früher als die anderen verließ, umgehend die Frage nach seiner persönlichen Zukunft gestellt: Im Herbst, wenn Gelchsheim nach 23 Jahren wieder in die Kreisklasse eingezogen ist, wird Zehnter 49. Nicht wenige im Verein finden, er werde die Mannschaft auch in der neuen Liga weiterbringen.
„Im Moment weiß ich noch nicht, was ich in der kommenden Saison mache“, sagt Zehnter, was bei ihm wie eine Lebenseinstellung klingt: Alles kann, nichts muss passieren. Gut möglich, dass er wieder bei den Alten Herren einsteigt und als Trainer eine Juniorenspielgemeinschaft aus Sonderhofen und Hopferstadt betreut. Genauso könnte er für Gelchsheim am Ball bleiben. „Wenn ich ihn bitte, würde er nicht nein sagen“, ist sich Christian Högler sicher: „Doch ein 48-Jähriger darf nicht unsere Zukunft sein.“ Eine Männermannschaft wird Zehnter dagegen in nächster Zeit nicht mehr trainieren: Als Mitinhaber und Geschäftsführer einer Firma, die im Steinbruch von Sommerhausen Muschelkalk abbaut und für ein gutes Dutzend Mitarbeiter verantwortlich ist, ist seine Freizeit mittlerweile zu knapp bemessen, um am Abend nach einem Vierzehn-Stunden-Tag noch Gedanken über Trainingsprogramme, taktische Schachzüge und die passende Aufstellung zu schmieden. „Mit halbem Einsatz könnte ich mich nicht um eine Mannschaft kümmern“, sagt Zehnter, dessen letzte Trainerstation vor drei Jahren zu Ende ging: Damals hatte er den SV Sonderhofen zum Übergang nochmals für zweieinhalb Monate übernommen.
Christian Högler über seinen sportlichen Ziehvater
Wie es auch kommen mag: Georg Zehnter wird seine Strahlkraft in Gelchsheim weiterhin entfalten, selbst wenn er in Zukunft nicht mehr auf dem Rasen steht. Als Christian Högler im August 2010 von den Verantwortlichen des Klubs überredet wurde, nach dem unvorhersehbaren Rücktritt Michael Härths zwei Tage vor dem Saisonauftakt als Trainer einzuspringen, besann sich der 39-Jährige der Methoden, die sein Trainer damals in Hopferstadt und Sonderhofen angewandt hatte.„Wie hätte ich es auch anders handhaben sollen?“, sagt Högler in der Rückschau, der anfangs keine Erfahrung in dieser leitenden Position besessen hatte und Gelchsheim Jahre zuvor das letzte Mal hatte spielen sehen. „Beinahe alles, was ich heute im Training verlange, habe ich schon als Spieler bei Georg gemacht“, stellt Högler ohne Umschweife fest: „Sonst wüsste ich nicht, was ich meinen Jungs erzählen sollte.“ Also lässt Högler, der aus dem Gelchsheimer Ortsteil Oellingen kommt, vor allem die Dinge einstudieren, die ihm früher selbst die größte Freude bereitet haben: Bei vielen Übungen ist der Ball im Spiel, laufintensive Einheiten reduziert er dagegen auf das notwendige Minimum.
Christian Högler belegt, dass ein guter Trainer nicht unbedingt ein hervorragender Spieler gewesen sein muss: Er gehörte nie zur Stammbesetzung einer Mannschaft – weil er als Stürmer kaum das Tor traf und in der Abwehr Probleme bekam, wenn er den Ball stoppen wollte. Mit Anfang dreißig hörte er auf, nachdem ihm im Knie das Kreuzband gerissen war. Doch als Trainer versteht es Högler ganz offensichtlich, aus den vorhandenen Ressourcen das Optimum zu schöpfen. Seine Art des Umgangs, bisweilen harsch auf die Spieler einzuwirken und anschließend wieder besonnene Ansprachen zu halten, findet ihren Anklang. Bevor Högler die Mannschaft übernahm, war Gelchsheim in der A-Klasse lange Zeit allenfalls Mittelmaß gewesen. Unter seiner Anleitung spielte sie in unveränderter Besetzung zweimal um den Aufstieg und war letztlich erfolgreich – ein Qualitätssprung, der seinem sportlichen Ziehvater Georg Zehnter bei dessen Vereinen auch stets gelungen war. „Christian ist einfach der richtige Trainer für diese Mannschaft“, sagt Zehnter voller Anerkennung für seinen einstigen Schützling, in dem er sich in vielfacher Weise zu entdecken glaubt, aber keine Kopie seiner selbst erkennt. Högler – das ist sicher – hat noch nicht so viel zu erzählen.
Namen, Zahlen, Fakten
Georg Zehnter Als Spieler und Trainer ist der 48 Jahre alte Sonderhöfer sieben Mal aufgestiegen. Die erfolgreichste Zeit erlebte er von 1992 bis 1997 mit dem FC Hopferstadt, als er den Klub von der C-Klasse in die Bezirksliga führte. Georg Zehnter hätte als Aktiver noch Höheres erreichen können: Der SV Heidingsfeld, damals in der drittklassigen Bayernliga, hatte ihm ein Angebot zum Wechsel vorgelegt, doch der verheiratete Familienvater lehnte ab.
Christian Högler Als er mit Anfang dreißig aufhörte, Fußball zu spielen, lag Christian Högler eine Tätigkeit als Trainer vollkommen fern. Über die Jahre hatte er den Bezug zum lokalen Sportgeschehen verloren, ehe ihn 2010 der SV Gelchsheim um Hilfe bat: Der Verein benötigte kurzfristig einen Trainer. Der 39-jährige Großhandelskaufmann aus Oellingen sagte zunächst für sechs Wochen zu und geht im Sommer bereits in seine dritte Saison.
SV Gelchsheim Von 1982 bis 1989 spielte der 300 Mitglieder große Verein schon einmal in der Kreisklasse. Zu jener Zeit hütete der heutige Vorsitzende Roland Schiffert (49) das Tor. Fünf Entscheidungsspiele binnen eines Jahres brachten den erneuten Aufstieg und gutes Geld in die Kasse des Klubs aus der 980-Einwohner-Gemeinde im Ochsenfurter Gau.