Die Wohnung ist karg, aber im Rahmen der begrenzten Möglichkeiten liebevoll eingerichtet und blitzsauber. Ein Plastik-Tannenbaum und selbst gebastelte Papiergierlanden ersetzen die uns geläufige aufwändige Weihnachtsdekoration. Dass hier Menschen leben, die versuchen, das Beste aus der Situation zu machen, das sieht und spürt man sofort. „Wir mussten über Nacht aus Kiew weg“, sagt Almira Loguina. „Wir sind vor dem Krieg in der Ukraine geflohen.“ Das Sprechen über die Ereignisse fällt ihr schwer. Vielleicht auch, weil für sie noch Weihnachtszeit ist – in ihrer Heimat wird in der orthodoxen Kirche am 6. und 7. Januar das Fest der Besinnlichkeit gefeiert.
Zehn Monate sind seit der Flucht vergangen. Die Familie Loguina, Eltern, zwei Töchter und ein Sohn, ist in einer Asylbewerberunterkunft in Hambach gelandet. Ihr Verfahren läuft noch. „Wir wissen nicht was morgen ist“, sagt Almira. „Das ist sehr schwer für uns.“ Die 20-Jährige spricht bereits recht gut deutsch. „Ich habe das in der Ukraine schon ein wenig in der Schule gelernt.“ Auch die 17-jährige Anna kann sich ordentlich verständigen. Mama Raisa versteht vieles, mit dem Sprechen hapert es noch. „Ich muss noch besser Deutsch lernen“, lässt sie Almira übersetzen.
Viele Leute kennen die Loguinas hier noch nicht, aber sie versuchen aus der Isolation, der Asylbewerber ausgesetzt sind, heraus zu kommen. Das Mittel dazu ist der Sport, genauer gesagt: Handball. „Wir haben bei der Diakonie angefragt, was wir machen können, die haben uns an den TSV Pfändhausen vermittelt.“ So kam die Frauenmannschaft des Bezirksligisten zu drei ungewöhnlichen, ja sogar prominenten Neuzugängen. Denn Mutter Raisa ist zweifache U-20-Weltmeisterin. 1989 in Nigeria und 1991 in Straßburg/Frankreich gewann sie mit der damaligen Sowjetunion jeweils gegen Südkorea den Titel. „Ich habe damals für Moskau gespielt“, sagt Raisa. „Acht Jahre lang Training und nochmals Training und Spiele – das war viel Arbeit damals.“ Nach dem Zerfall der UdSSR ging sie nach Kiew zurück und spielte fortan in der Nationalmannschaft der Ukraine. Als die Kinder geboren wurden, hörte Raisa Loguina auf. „18 Jahre habe ich gar nicht mehr gespielt.“ Doch den Töchtern zuliebe hat sie wieder angefangen. Denn die trauten sich nicht allein ohne die Mama in den fremden deutschen Verein. Und für die deutsche Bezirksliga reicht es bei Raisa allemal noch. Anna hatte in Kiew ohnehin schon in einer höheren Jugendliga gespielt, Almira nur in der Schule.
„In Pfändhausen fühlen wir uns sehr wohl. Die Mädchen und der Trainer sind sehr nett, wir haben auch Weihnachten zusammen gefeiert, das war sehr schön.“ Das deutsche Weihnachten kannten die Loguinas nämlich noch nicht. „Die ganze Stadt und alle Häuser sind hier geschmückt“, staunte Almira. „Zu Hause gab es das nicht.“ Zumal in der orthodoxen Kirche das Weihnachtsfest eben erst Anfang Januar begangen wird. „Allerdings wird in der Ukraine mehr Silvester, als Weihnachten gefeiert.“
Trainer Peter Krause freut sich über die unerwartete Verstärkung seiner Mannschaft. Die hat zuletzt dank der ukrainischen Unterstützung auch sportlich deutlich zugelegt. Allerdings sehen die Schiedsrichter den TSV mittlerweile deutlich kritischer, denn die Ukrainerinnen sind eine etwas robustere Spielweise gewöhnt, als in der unterfränkischen Bezirksliga üblich. Und das wird nur allzu oft als unsportlich ausgelegt.
Doch vielleicht wird die zweifache Weltmeisterin Raisa Loguina ja einmal Peter Krause als Trainer beerben. Er selbst fände das jedenfalls gut. „Vielleicht“, sagt Raisa, „ich könnte mir das vorstellen, wenn ich besser Deutsch spreche.“ Und natürlich muss der Asylantrag endlich durchgehen. „Wir hoffen sehr, dass wir hier bleiben dürfen“, sagt Almira. In der Berufsschule kommen die Mädchen gut mit. Fitnesstrainerin möchte die 20-Jährige werden, ihre kleine Schwester Anna Konditorin. Mutter Raisa ist Masseurin, der Papa Physiotherapeut. Noch dürfen die Eltern nicht arbeiten. Das sieht das bayerische Asylgesetz so vor. Doch glücklicherweise verbietet es nicht auch noch das Handballspielen.
Der Weg zum Spielrecht
Die Zeit zwischen Antrag und Auslieferung des Spielerpasses dauert beim Bayerischen Handballverband (BHV) für gewöhnlich etwa fünf Tage. Im Fall der drei Ukrainerinnen jedoch musste der TSV Pfändhausen fünf Wochen auf die Erteilung des Spielrechts warten. Hintergrund: Für die drei Flüchtlinge und Asylbewerberinnen musste sowohl beim Deutschen Handball-Bund (DHB) als auch beim ukrainischen Verband die Bestätigung eingeholt werden, dass keine der drei Spielerinnen in der Heimat bei einem Verein unter Vertrag steht. Zudem musste der TSV Pfändhausen einen internationalen Verbandswechselantrag stellen, dessen Bearbeitungsgebühr mit 75 Euro höher liegt als bei herkömmlichen Passanträgen. Verantwortlich für die Regularien ist jedoch nicht der DHB, sondern die Internationale Handball Federation (IHF). Der DHB habe jedoch einen Antrag beim Weltverband gestellt, das Verfahren für Flüchtlinge künftig zu beschleunigen.