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Fußball
„Es gibt zu wenige, die so sind wie ich“
Markus Hartsch kam von ganz unten. Den Weg in die Mitte der Gesellschaft bahnte er sich mit viel Willen und noch mehr Worten. Ist er ein Spinner? Ein Gespräch mit einem immer wieder gern unterschätzten Menschen
Das Gespräch führte unser Redaktionsmitglied Eike Lenz
 |  aktualisiert: 07.09.2017 22:16 Uhr

Nach achtzig Minuten blickt Markus Hartsch auf seine Armbanduhr. „Ist schon eine halbe Stunde um?“ Sein Parkschein gilt nur für dreißig Minuten – ein viel zu enger Rahmen, um all seine Botschaften hineinzupacken: Er hat mal wieder überzogen. Doch nie ist er in diesen anderthalb Stunden in Gefahr geraten, sein Gegenüber zu langweilen – nie hat man den Eindruck gewonnen, hier inszeniere sich einer. Markus Hartsch ist so, wie er ist: unverstellt, voll mit Adrenalin, manchmal laut und dröhnend.

Sein Selbstvertrauen mag verstörend wirken, aber wenn man seine Lebensgeschichte hört, versteht man ihn ein bisschen besser. Es ist die Geschichte eines Menschen, der mit Vollgas auf die schiefe Bahn zuraste. Und gerade noch die letzte Ausfahrt erwischt hat. Ihm geholfen haben seine Frau, seine inzwischen erwachsene Tochter – und der Fußball. Heute, mit 50, trainiert er nicht nur die Männer des SV Wiesenbronn in der A-Klasse, sondern auch den U17-Jahrgang des SSV Kitzingen in der Landesliga.

Aus fast jedem seiner Sätze ließe sich eine Schlagzeile machen, weil dieser „Mensch mit Ecken und Kanten“, wie er sich selbst beschreibt, zwar tatsächlich viel redet, aber dabei auch immer etwas zu sagen hat: Witziges, Ironisches, Verblüffendes, Nachdenkliches.

Frage: Ihnen haften eine Reihe von Etiketten an: Wandervogel, Tausendsassa, Gaukler, Zauberer. Mit welchem dieser Attribute können Sie sich am ehesten anfreunden?

Markus Hartsch: Mit dem des Tausendsassas. Ich bin als Trainer ja sehr flexibel. Andere richten sich nach den Strukturen, die der Verband vorgibt. Ich halte mich an meine eigene Linie, meine eigenen Systeme – teils veraltet, wenn man so möchte. Gegen den Wandervogel wehre ich mich. Du kannst ja nicht zehn Jahre bei einem Verein sein. Ich bin vielleicht sechs, sieben Mal gewechselt, andere zwanzig Mal.

Sie verkörpern immer auch den Daueroptimisten, der die ganze Welt umarmen könnte. Ist das eine Rolle, die Sie spielen, oder sind Sie tatsächlich der Gute-Laune-Onkel?

Hartsch: Es ist auf der einen Seite sicherlich eine Rolle, um den Jungs zu signalisieren: Da ist einer, der ihnen Hoffnung und Sicherheit gibt. Aber ich bin auch so, ich sehe immer das Positive. Deshalb geht es mir auch im Leben gut. Ich bin ein Mensch, der sagen kann: Ich bin mit mir selbst zufrieden. Ich bin mit meinem Umfeld zufrieden. Ich bin mit dem, was ich geleistet habe, zufrieden. Sogar im Negativen sehe ich noch das Positive. Das hält mich zum Teil jung. Bei Markus Hartsch, sagte mal einer, liegt vor einem das offene Meer. Das ist wie eine Brise.

Wie wird man zu diesem positiv geladenen Menschen, der andere so elektrisiert? Waren Sie schon als Kind so?

Hartsch: Ich war früher ein Chaot, ich war ganz unten. Ich hatte lange zu kämpfen. Und wenn man ganz unten war und so etwas mitgemacht hat, lernt man die Dinge des Lebens zu schätzen. Ich habe lange dafür gebraucht, aber ich habe einen Status erreicht, der nicht nur Mittelklasse ist, sondern schon gehobene Mittelklasse. Damit kriegst du einen ganz anderen Selbstwert. Du denkst ganz anders, du weißt: Du hast schon ganz andere Sachen geschafft.

War dieser Optimismus für Sie früher ein Selbsterhaltungstrieb? Eine Art Selbstschutz, um nicht völlig abzusacken?

Hartsch: Ja. Aber man muss auch den nötigen Willen besitzen. Ich bin ein Mensch, der vieles aus der Emotion heraus schafft. Meine Emotionen haben mir über vieles hinweggeholfen. Manche halten mich ja für völlig beschränkt, für überdreht, aber das hat mir unwahrscheinlich geholfen. Andere hätten sich vielleicht etwas angetan. Ich habe mich mit diesem übertriebenen Selbstbewusstsein herausgezogen.

Schafft man das alleine, aus dem Sumpf zu kommen, oder bedarf es Hilfe?

Hartsch: Allein wäre es schwierig geworden. Aber als ich vor 21 Jahren geheiratet habe, als meine Tochter geboren wurde, hat sich alles geändert. Wenn du intelligent bist, musst du dir bewusst machen: Du hast eine Frau, hast ein Kind, du kannst nicht ewig so weitermachen.

Aus der Verantwortung für andere heraus wuchs bei Ihnen die Kontrolle über sich und das eigene Leben?

Hartsch: Ja, das ist so. Auch meine Aufgaben als Trainer haben dazu beigetragen. Ich habe mich um 180 Grad gedreht. Das ist möglich, und darauf bin ich heute wahnsinnig stolz. Da haut einen so schnell auch nichts um. Ich bin jetzt 50, ich hoffe, dass ich noch 25 Jahre vor mir habe. Ich habe auch gesagt: Wir gönnen uns jetzt was, kaufen uns ein neues Auto. Ob das Geld auf der Straße kaputt geht oder auf dem Sparbuch, ist doch völlig egal. Wenn ich das Schicksal meiner Mutter sehe, die dement ist, oder wenn ich andere Fälle sehe, die nur im Bett liegen und schreien, da härtest du ab. Da denkst du ganz anders über das Leben nach. Ich würde gern einmal junge Leute an so etwas heranführen – damit sie sehen, dass das Leben nicht immer bloß aus Nehmen besteht.

Erzählen Sie Ihren Schützlingen im Training von Ihrer Geschichte, von Ihrem Tief, Ihrem sozialen Aufstieg?

Hartsch: Teilweise. Alles möchte ich ja auch nicht ausbreiten. Über gewisse Dinge spricht man nicht so gerne. Und man weiß ja, wie die Unterfranken sind: Da gibt es immer Neider. Mich hat es nie interessiert, was andere denken oder machen. Ich gönne jedem alles. Ich gönne keinem etwas Schlechtes. Wir sind viel zu kurz auf dieser Welt. Da sollte es jedem gut gehen.

Nur auf dem Fußballplatz, da sind Sie sich selbst der Nächste.

Hartsch: Das ist ja etwas anderes. Das ist ein Wettkampf, da geht es ja nicht um Lebensgeschichten.

Aber ist der Fußball nicht wie das Leben? Es geht nicht immer ums Gewinnen.

Hartsch: Genau das versuche ich den Jungs klarzumachen. Es gibt nicht nur Höhen – es gibt auch Tiefen, und damit muss man umgehen können. Je besser einem das gelingt, um so schneller kommt man wieder nach oben. Man muss Niederlagen annehmen können – im Fußball wie im Leben –, nicht immer darauf vertrauen: Mama oder Papa machen das schon. Wir haben uns in Deutschland durch die antiautoritäre Erziehung eine Generation herangezogen, da wird irgendwann noch die Bombe platzen.

Wie meinen Sie das?

Hartsch: Wenn mein Jahrgang in fünfzehn Jahren in Rente geht, wird es Kopfgelder auf uns geben, weil die Jugend konsumieren und Spaß haben will, sich aber dafür nicht plagen will und nicht hart genug ist gegenüber sich selbst. Ich habe das aus nächster Nähe erlebt: Wenn du manchen bloß antippst, fällt er um in seiner Lebenslage. Das sind Kleinigkeiten. Es gibt neue Freundinnen, neue Jobs. Das Leben geht weiter. Aber für manchen stürzt da die Welt ein.

Woran liegt das?

Hartsch: An der Erziehung. An dem häufig übertriebenen Schutzinstinkt der Eltern. Was haben Eltern bei einem Spiel von 16-Jährigen am Platz verloren? Die Jungs wollen das doch gar nicht.

Sie haben mit den Eltern mehr Probleme als mit den Jungs?

Hartsch: Ja, wenn du mal einen Spieler anschreist, heißt es: Warum brüllst du meinen Bub so an? Ich bin so erzogen worden. Es gehört auch mal eine gewisse Härte, ein gewisser Ton dazu, obwohl ich das eigentlich ganz selten brauche. Ich muss nicht noch mit dem Nudelholz eine draufhauen, wenn es sowieso nicht läuft. Ich nehme die Jungs auch mal in den Arm.

Sie halten also wenig von der Holzhammer-Psychologie.

Hartsch: Generäle sterben aus. Man sieht es in der Politik, man sieht es im Fußball. Wenn du Trainer bist, musst du Diplomat sein, auch wenn es schwer fällt. Du kannst nicht sagen: Was willst du eigentlich hier, in der Landesliga? Das Problem sind auch hier oft die Eltern: Sie halten ihren Sprössling immer für einen Top-Spieler.

Ist das nicht ein natürlicher Reflex, ja ein Instinkt von Eltern?

Hartsch: Dann sollen sie nicht auf den Fußballplatz. Wenn sie nicht differenzieren können und so ehrlich sind, zu sagen: Meiner hat es einfach nicht drauf, ist es besser, sie bleiben zu Hause.

Sie haben eine Mannschaft, haben elf Spieler, elf Charaktere. Wie schnell durchschauen Sie diese Charaktere?

Hartsch: Ich weiß zumindest sehr schnell, wo ich sie auf dem Platz einsetzen kann. Viele Trainer kennen ihre Spieler nicht, stellen sie völlig falsch auf.

Über Felix Magath hieß es einmal, er besitze ein untrügliches Gespür für Arschlöcher. Ist das auch Ihre Gabe?

Hartsch: Nein. Weil ich immer an das Gute im Menschen glaube. Ich bin ehrlich zu ihm, dann erwarte ich auch, dass er ehrlich zu mir ist. Selbst wenn einer gegen mich arbeitet, erkenne ich das oft sehr spät und will es lange nicht wahrhaben.

Wie gehen Sie damit um?

Hartsch: Da gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man schnappt sich den Burschen und redet mit ihm – oder man schmeißt ihn raus. Aber so etwas kann man sich in diesen Ligen nicht erlauben. Je höher es geht, um so einfacher ist das. Ich bin einer der zwischendrin steht, der den Diplomaten gibt, der versucht, Stimmung zu machen, ein gutes Training, der aber, wenn es zu komfortabel wird, auch mal einen Schrei loslässt. In erster Linie ist in diesen Spielklassen – und damit meine ich alles unterhalb der Bezirksliga – unwahrscheinlich viel Diplomatie gefragt. Du musst gerade in diesen Klassen mit jedem einzelnen Spieler sprechen.

Wie sehr sind Sie Diplomat im Umgang mit sich selbst? Sie sind gefühlsbetont, emotional. Versinken Sie nach Niederlagen nicht in einem Tal der Tränen?

Hartsch: Jein. Ich bin ein Typ, der immer zu hundert Prozent motiviert ist, der perfektionistisch veranlagt ist. Ich lebe die Leiden mit, das kostet Substanz, ganz klar. Aber ich weiß realistisch abzuschätzen, was mit dem Potenzial möglich ist, das mir zur Verfügung steht. Man ärgert sich nach einem Spiel, vielleicht noch am nächsten Tag. Danach wartet meist schon die nächste Aufgabe. Nachts arbeite ich bei der Post. Ich trainiere zwei Mannschaften. Ich habe überhaupt keine Zeit, lange nachzugrübeln.

Ist es nicht schwierig für Sie – gerade mit Ihrem perfektionistischen Anspruch – in unteren Ligen zu trainieren?

Hartsch: Nein, denn ich gehe danach, was die Mannschaft kann. Wenn die Mannschaft nicht mehr kann, versuche ich es zu optimieren: mit einfachen Mitteln, nicht mit irgendwelchen Abwehrketten oder Riegelsystemen. Das mag moderner Fußball sein. Aber was ist Fußball? Fußball ist erfolgsorientiert – nichts anderes. So denke ich, und so handle ich. Ich stelle immer die besten Elf auf, immer nach Leistung. Man darf es aber nicht übertreiben. Wenn du ein Team hast, das oben mitspielt, musst du hart sein, aber du musst es auch mal streicheln.

Darf man sich als Trainer in einer Zeit, die nach Härte und Stärke verlangt, auch mal Schwächen erlauben?

Hartsch: Warum denn nicht? Sagen Sie mir einen Grund.

Weil man schnell seine Autorität verliert. Für die Schwachen ist ja in unserer Leistungsgesellschaft kein Platz mehr.

Hartsch: Schwäche ist Angst. Wenn du deine Schwächen offen bekennst, ist die Gefahr groß, dass sie dich zerlegen, wenn der Erfolg ausbleibt. Aber ich stehe zu meinen Fehlern. Ich sage: Das habe ich jetzt verbockt. Und die Offenheit kommt an, gerade unter Jugendlichen. Ich habe im Aufstiegsjahr mit der U17 immer zu meiner Mannschaft gehalten, auch wenn über einige Spieler der Stab gebrochen wurde. Das hat mir die Mannschaft hoch angerechnet.

Sie sind ein aufrichtiger Verfechter von Kameradschaft und Miteinander. Sind das nicht überkommene Werte in unserer Leistungs- und Ellbogengesellschaft?

Hartsch: Gerade diese Werte fügen doch ein Team erst zusammen. Ich sehe es an meiner Arbeitsstelle: Die Leute lieben mich, weil ich ein Teamspieler bin, weil ich versuche, sie zu unterstützen. Uns stehen Zeiten bevor – früher oder später werde ich auswandern. Wenn man nur noch über Leichen geht, geht dieses Land den Bach runter. Wieso ist Deutschland denn ein Wirtschaftswunderland geworden? Weil die Deutschen zusammenhielten. Weil es gar nicht anders ging. Da hat sich der eine auf den anderen verlassen müssen. Und beim Fußball? Womit haben wir denn die Titel geholt? Doch nur mit Leidenschaft. Dieses Land ist leidenschaftsfähig. Das hat man nach dem Krieg gesehen, das hat man beim Aufbau gesehen, das hat man bei Fußball-Weltmeisterschaften gesehen. Da müssen wir wieder hinkommen.

Müssten Sie nicht vielleicht als Mutmacher in die Politik, um diesem Land zu neuem Optimismus zu verhelfen?

Hartsch: Ich halte jedenfalls die alten Werte hoch, und ich weiß: Es gibt zu wenige, die so sind wie ich.

Mit Ihrem Optimismus sind Sie also ein Außenseiter in der Gesellschaft?

Hartsch: Man hört nicht immer nur Gutes. Ich bin sicher, es gibt viele, die sagen: Schau dir den Spinner an, diesen Chaoten. Ich bin einfach anders. Ich will nicht sagen, dass ich der Beste bin, aber ich habe noch keinen Besseren gesehen – das ist über die Jahre zu meinem Motto geworden. Man sagt immer: Der Hartsch macht nur Sprüche. Aber ich kann ja beweisen, dass hinter den Sprüchen auch etwas steckt.

Es gibt wenige, die diese Zuversicht so leben und ausstrahlen wie Sie.

Hartsch: Viele Leute kommen mit dieser Art aber nicht zurecht. Viele Leute überrolle ich: Ich spreche schnell, ich bin sehr mitteilsam. Und damit haben sie ein Problem. Erst wenn sie dich näher kennen oder sich mit dir unterhalten haben, sagen viele: War ein tolles Gespräch mit dir, da geht man gleich mit einem Supergefühl raus. Soll ich Ihnen ein Beispiel nennen?

Bitte!

Hartsch: Als ich vor Jahren Trainer in Sulzheim war, machten wir ein Trainingslager in den Haßbergen. Wir saßen abends am Tisch, auch mit den Frauen dieses Vereins, sprachen über das Training, und ich sagte irgendwann: Mädels, macht das Flutlicht an, sagt mir, was ihr machen wollt. Torschuss, sagten sie. Also haben wir Torschuss geübt – danach wollten sie mich vom Fleck weg verpflichten. Die waren verblüfft, wie variabel ein Torschuss sein kann.

Sie haben sie mit Ihrer Begeisterung angesteckt, ein Feuer entfacht.

Hartsch: Ja, für mich ist das einfach Leidenschaft. Fußball ist für mich ja das Leben überhaupt. Aber diese Leidenschaft kann man in allen Situationen einbringen. Ich bin immer noch hyperaktiv, es ist ein total geiles Gefühl, den Körper bis zum letzten Exzess zu quälen, auch auf der Arbeit.

Fußball ist für Sie ein Ventil, diese Leidenschaft auszuleben?

Hartsch: Manchmal denke ich mir: Mache ich nächstes Jahr überhaupt noch was? Aber ein Markus Hartsch ohne Fußball ist, glaube ich, nicht vorstellbar. So wie ich mich kenne, habe ich demnächst eher wieder drei Mannschaften, die ich trainiere, weil ich auch nicht nein sagen kann. Ich bin halt übertrieben verrückt.

 
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