Wer in den Tagen vor der Handball-Weltmeisterschaft, die das deutsche Team an diesem Freitag mit dem Gruppenspiel gegen Ungarn beginnt (ab 17.45 Uhr online auf dkb.handball.de), Bundestrainer Dagur Sigurdsson darauf angesprochen hat, dass das Turnier in Frankreich sein letztes großes Turnier mit seiner gegenwärtigen Mannschaft sein werde, der erntete einen finsteren Blick. Und bekam eine Antwort, die wie eine Zurechtweisung des Fragestellers daherkommt: „Das ist jetzt nicht unser Thema“, ließ der 43-Jährige wissen. Sigurdsson will augenscheinlich keine verfrühte Rührseligkeit aufkommen lassen und alles vermeiden, was die Konzentration auf die anstehende WM hätte stören können. In den Tagen der Vorbereitung auf das Turnier in der Sportschule Kaiserau lag Sigurdssons Fokus auf Handball, Handball und noch mal Handball.
Zurück in die Weltspitze
Klar ist: Sollten in Frankreich nicht noch irgendwelche außergewöhnlichen Dinge eintreten, wird Sigurdsson, wenn er nach der WM sein Amt abgibt, als großer Bundestrainer gefeiert werden – und das nach einer nur zweieinhalbjährigen Dienstzeit. Denn die sportliche Bilanz des Isländers ist beeindruckend – nicht nur wegen des überraschenden Gewinns der Europameisterschaft und der olympischen Bronzemedaille im Jahr 2016. Zudem hat der 43-Jährige eine zuvor in die Zweitklassigkeit abgerutschte Nationalmannschaft mit zahlreichen jungen Spielern in die Weltspitze zurückgeführt. „Er lässt einfachen, aber enorm effektiven Handball spielen“, erklärt Patrick Winecek. Und der Kreisläufer vom THW Kiel betont auch, dass der Trainer das absolute Vertrauen der Spieler genieße: „Was Dagur sagt, ist Gesetz.“
Dass dies kein leeres Gerede ist, beweisen die Spieler auf dem Feld. Setzen sie doch Sigurdssons Konzepte konsequent um. Und diese Rezepte sind bisweilen sehr innovativ und kreativ. Dazu gehörten sich immer wieder ändernde Abwehrformationen oder das Einwechseln eines siebten Feldspielers, als das noch nicht zum Standardrepertoire von Handball-Trainern gehörte. „Wir können davon ausgehen, dass er sich auch jetzt wieder etwas einfallen lässt“, sagt Wiencek mit Blick auf das Turnier in Frankreich.
Sigurdsson, der in seiner isländischen Heimat Miteigner eines Autoteilegeschäfts, einer Pizzeria und eines Hotels ist, gilt als Ziehkind von Bob Hanning. Der Geschäftsführer des Bundesligisten Füchse Berlin und Vizepräsident Sport des Deutschen Handballbundes (DHB) holte den Isländers einst aus Österreich als Bundesliga-Coach in die Hauptstadt und forcierte später gegen einige Widerstände dessen Ernennung zum Nationaltrainer. Hanning hat sich mit seiner bisweilen nassforschen Art und seiner Bereitschaft, sich alter Strukturen, aber bisweilen auch altgedienter Mitarbeiter im Verband zu entledigen, nicht nur Freunde gemacht. Zahlreiche Vertraute des früheren Bundestrainer Heiner Brand landeten in den letzten Jahren auf dem Abstellgleis. Die sportlichen Erfolge Sigurdssons stärkten letztlich auch Hannings Position.
Nach dem Turnier wird Dagur Sigurdsson mit Frau Ingibjörg sowie seinen Kindern Sunna, Birta und Siggi zurück nach Island ziehen. Und von dort aus häufig nach Japan fliegen, dessen Mannschaft er auf die Olympischen Spiele 2020 vorbereitet. Wer Nachfolger des 43-Jährigen werden wird, ist offen. Eine Entscheidung darüber will der DHB erst nach der Weltmeisterschaft öffentlich machen. Als heiße Kandidaten gelten zwei Bundesliga-Trainer, Christian Prokop aus Leipzig und Markus Baur aus Stuttgart. Wobei Prokop gegenüber dem früher unter Heiner Brand als Nationalmannschaftskapitän aktiven Baur der Favorit des in der Trainersuche federführenden Hanning sein soll.
Zwei Nachfolge-Kandidaten
Sicher ist jedoch, dass sich jeder von ihnen eine Akzeptanz, wie Dagur Sigurdsson sie mittlerweile besitzt, erst einmal erarbeiten müsste. „Wir lassen das auf uns zukommen“, sagt Nationaltorhüter Andreas Wolff über die Nachfolge-Diskussionen. Und über Prokop und Bauer: „Ich kenne beide nur flüchtig.“ Der amtierende Bundestrainer äußert sich indes gar nicht zu seinen möglichen Nachfolgern. Wenn dieses Thema angeschnitten wird, dann blickt der so ganz auf die WM fokussierte Dagur Sigurdsson wieder ziemlich finster drein.