Herr Classen, was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie?
Charly Classen:Nachhaltigkeit ist ein Thema, mit dem ich mich im Laufe meiner Karriere mehr und mehr beschäftigt hatte. Dann aber habe ich bemerkt, dass es zu wichtig ist, um nur oberflächlich damit umzugehen. Ergo habe ich mich dafür am Cambridge Institute for Sustainability eingeschrieben. Um wirklich viel tiefer ins Thema Nachhaltigkeit zu gehen. Um zu verstehen, warum das Thema so relevant geworden ist. Aber auch: Wie man es innerhalb eines Unternehmens nutzen kann, um systematischer damit umzugehen. Um es ernsthaft anzugehen.
Was bedeutet das?
Classen: Glücklicherweise ist die Wahrnehmung für Nachhaltigkeit größer denn je. Dennoch brauchen wir einen größeren Blick auf das Thema und einen systemischen Ansatz. Es ist gut, wenn ich beim Zähneputzen den Wasserhahn zudrehe. Wenn das alle machen hilft das noch mehr. Aber um wirklich die Welt zu retten, müssen wir ein bisschen mehr tun. Das meine ich mit systemisch. Wie kann man ein bisschen größer denken, um tiefgreifende Veränderung zu erreichen?
Aber wie passt das mit der Sportberichterstattung eines Fernsehsenders zusammen?
Classen: Wir haben im Sport ein Riesenprivileg. Zum einen ist Sport pure Emotion. Und mit Emotion erreicht man sehr viele Menschen, Millionen Menschen allein über unser Programm. Zum anderen können wir beispielsweise über die Formel 1 sehr viele Menschen, erreichen, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit vielleicht noch nicht auseinandergesetzt haben. Und: Sport, also vor allem die Sportler und Sportlerinnen, haben eine enorme Glaubwürdigkeit. In den sozialen Medien haben Athleten den zweitgrößten Einfluss nach Hass- und Angst-Messages. Also wenn ein Sportler was sagt, dann ist das authentisch und die Fans orientieren sich daran. Wir als Sky Sport können das in dem Maße nicht liefern, allerdings bieten wir dem Thema eine große und funktionierende Plattform, auf der wir Nachhaltigkeit in unsere Berichterstattung integrieren. Und sind natürlich auch selbst aufgefordert, Nachhaltigkeit vorzuleben.
Wie sieht das dann konkret aus?
Classen: Wir müssen intern weiterhin unsere Hausaufgaben machen. Wie sind wir nachhaltiger in unserer Produktion? Es ist klar: Wenn man produziert, hat man einen CO2-Abdruck. Es geht also ums Reduzieren. Reisen ist dabei fast immer der größte Brocken. Wir haben aber auch kein Einweg-Besteck mehr. Beim DFB-Pokal gab es veganes Essen, und für die Übernachtungen unserer Teams vor Ort bleiben wir nur in Hotels von unserer „grünen Liste“. Dadurch wird unser CO2-Fußabdruck spürbar kleiner. Überdies führt das in manchen Fällen auch zu zusätzlichen Effekten. So gab zum Beispiel ein Hotel, das wir aufgrund mangelnder Nachhaltigkeit nicht mehr auf unserer „grünen Liste“ stand. Daraufhin hat man uns nach den Gründen gefragt – und siehe da, sie haben einige Dinge umgestellt, und jetzt sind wir dort wieder zu Gast. Sie sehen, man kann Dinge verändern. Direkt oder indirekt.
Und wie ist diesbezüglich die Zusammenarbeit mit dem Sport ganz allgemein?
Classen: Seitdem ich meinen Job bei Sky angetreten habe, bin ich in einem sehr konstruktiven Dialog mit der DFL. Am Anfang war das es eher eine schöne Idee ohne konkrete Umsetzung. Unser Ziel war es dann, das Topspiel der Woche der Bundesliga klimaneutral zu produzieren. Zu dem Zeitpunkt wussten wir gar nicht genau, wieviel CO2 bei einem Bundesligaspiel produziert wird. Dann hat man sich intensiv mit dem Thema beschäftigt. Das Ergebnis war die sehr gute Nachricht, dass alle Produktionen der ersten und zweiten Bundesliga klimaneutral gestaltet werden können. Momentan machen wir das hauptsächlich über Offsets (Emissionen werden durch Klimaprojekte ausgeglichen, Anm. d. Red.). Die Kosten teilen wir uns.
Aber wie wird der CO2-Ausstoß tatsächlich reduziert?
Classen: Der Impact sind zu 90 Prozent die Reisen. Grundsätzlich nutzen wir umweltschonende Transportmittel. Nur bei wirklich längeren Reisen, insbesondere international, ist das Fliegen eine Option. Und es geht auch um eine bessere Planung in den Details. Da sind wir noch nicht so weit, wie wir es möchten. Ich sehe aber eine Riesenentwicklung innerhalb der letzten zwei Jahre. So ist die Bereitschaft unserer Mitarbeiter, aber auch die unserer Partner, zu nachhaltigem Verhalten deutlich gestiegen. Andererseits fehlt aber auch oft die Expertise – wie kann ich denn meinen Beitrag leisten? Sky hat auf diesem Terrain mittlerweile schon viele Erfahrungen gesammelt, diese geben wir dann beispielsweise in Workshops mit unseren Partnern weiter - und sagen, was man verändern kann.
Machen das andere TV-Sender, die Sportübertragen, auch?
Classen: Bislang ist es uns noch nicht gelungen, bei den klimaneutralen Bundesliga-Übertragungen andere Medienpartner ins Boot zu holen – weder die Öffentlich-Rechtlichen noch DAZN sind beteiligt.
Warum?
Classen: Da müssten Sie dort mal nachfragen.
Gerade die Öffentlich-Rechtlichen sollten doch ein Interesse an Nachhaltigkeit als gesellschaftlichen Auftrag haben.
Classen: Das sehe ich auch so. Aber ich kann nicht für sie sprechen. Uns geht es auch überhaupt nicht darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Dafür ist das Thema viel zu wichtig. Wir wollen Vorreiter sein, und wir sind auch stolz darauf. Im Endeffekt wollen wir aber das Thema vorantreiben und wenn wir es schaffen, dass möglichst viele mitmachen, haben wir eine Menge erreicht.
Sky überträgt die Formel 1 und damit ein Spektakel, das in der öffentlichen Wahrnehmung alles ist außer nachhaltig. Wie passt das zusammen?
Classen: Für uns ist das kein Widerspruch. Ja, es ist ein fantastisches Spektakel, dass wir aufwändig mit einem großen Team, mit Top-Experten, mit viel Leidenschaft von den Rennstrecken dieser Welt in die Wohnzimmer der Menschen transportieren. Aber es ist gleichermaßen auch die Frage, wie wir unsere Plattform und die Formel 1 nutzen, um Nachhaltigkeit zu thematisieren. Seit wir die Formel 1 exklusiv bei Sky haben, machen wir an jedem Rennwochenende einen Beitrag über gesellschaftlich relevante Themen - und dazu gehört selbstverständlich auch die Nachhaltigkeit. Das ist eine Herausforderung, denn grundsätzlich es ist ja unsere Aufgabe, die Leute mit Sport zu begeistern. Unsere Aufgabe ist es nicht, auf irgendjemand einzupredigen und zu sagen, das ist alles falsch, was Du machst. Vielmehr wollen wir die Leute inspirieren, über Veränderung nachzudenken – und sie bestenfalls auch umzusetzen. Wir wollen die Leute mit einer positiven Einstellung mitnehmen. Wie schaffen wir es also, dass sich Zuschauer und Fans verändern? Wenn uns ein Politiker sagt, wie man etwas machen soll, dann wissen wir, wie die Menschen reagieren. Sie nehmen es zur Kenntnis, aber selten mehr. Aber Sport und seine Protagonisten sind eine enorme Plattform, um Menschen zu erreichen und sie zu Veränderungen zu inspirieren.
Trotzdem sehe ich noch immer den Widerspruch, zwischen den Themen Nachhaltigkeit und Formel 1.
Classen: Der CO2-Fußabdruck der Fußball-EM in Deutschland wird deutlich höher sein, als bei der Formel 1. Aber es geht natürlich auch um das symbolische Bild von Autos, die fossile Brennstoffe verbrauchen. Doch die Formel 1 hat sich massiv verändert, um nachhaltiger zu werden. Wenn man sich zum Beispiel den Technologietransfer aus der Formel 1 in die Motorenwirtschaft anschaut. Katalysatoren, Effizienz von Motoren, Akkuleistung. Es gibt unheimlich viele positive Aspekte, die aber nicht erzählt werden. Und da kommen wir ins Spiel. Und die Rolle der Fahrer.
Inwiefern?
Classen: Ob es nun ein Lewis Hamilton ist. Oder ob es ein Sebastian Vettel und Nico Rosberg waren: Sie alle haben im Laufe ihrer Rennfahrerkarriere eine Transformation gemacht. Und sich mehr und mehr mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt. Man kann die Menschen entweder dafür bestrafen, dass sie nicht immer perfekt waren oder man kann es feiern, dass Leute den Mut haben, sich zu verändern. Erst recht in einer Branche wie der Formel 1, wo man sehr schnell kritisiert wird: Wie kannst du so tun, dass du nachhaltig bist, wenn du im Auto sitzt und um die Welt fliegst? Insofern helfen diese Helden durch ihr eigenes, authentisches Beispiel.
Welche Zukunft hat die Formel 1? Zumal es gerade in Deutschland das Problem gibt, dass nur noch ein deutscher Fahrer dabei ist.
Classen: Natürlich hat das Einfluss. Jede Nation mag ihre Helden. Wenn Hülkenberg jetzt fünfmal hintereinander Weltmeister würde, würde das sicherlich einen anderen Hype auslösen, als wenn er nicht Weltmeister wird. Wenn man einen deutschen Helden hat, hilft das immer. Aber die Rolle, die es mal gespielt hat, spielt es heute nicht mehr. Gerade jüngere Zielgruppen achten weniger auf die Nationalität. Sie wollen Helden, internationale Stars wie Charles Leclerc, Max Verstappen oder George Russell.
Trotzdem: Wie muss sich die Formel 1 verändern, um relevant zu bleiben und vor allem: Welchen Einfluss hat Sky darauf?
Classen: Wir als Sky Gruppe sind weltweit der größte Partner der Formel 1 und infolgedessen selbstverständlich in konstant engem Austausch. Natürlich obliegen die Entscheidungen der Formel 1, aber wir äußern durchaus auch unsere Vorstellungen und versuchen auf diesem Wege, Dinge zu beeinflussen. Und gerade beim Thema Nachhaltigkeit verändert sich die Formel 1 ja. Welche Motoren, wie viel Gewicht, welcher Sprit, Umstellung auf (Teil)Elektroantriebe. Das ist ja auch der Grund, warum mehrere Hersteller wieder in die Formel 1 einsteigen und aus der Formel E wieder aussteigen.
Auf der Straße ist der Trend aber genau andersherum. Dort gibt es immer mehr E-Autos.
Classen: Die Formel 1 wird auch immer elektrischer und fährt bereits mit Hybrid-Motoren. Die nächsten Autos sind mit ca. 500 PS Elektro und 500 PS Verbrenner geplant, denn die FIA erhöht den Elektro-Anteil bei den Formel-1-Hybridantrieben ab 2026 auf bis zu 50 Prozent. Der Trend geht immer weiter. Es kann auch sein, dass die Kraftstoffe bald nicht mehr fossilen Ursprungs sind, sei das dann Wasserstoff oder was auch immer. Da kann die Formel 1 eine wirklich gute Rolle beim Thema Nachhaltigkeit spielen.
Reicht das schon?
Classen: Man kann immer mehr machen. Und es gibt auch Kritikpunkte. Nehmen wir den Rennkalender. Es wäre viel sinnvoller, die USA-Rennen hintereinander zu machen und dadurch den Transportaufwand zu minimieren. Ich akzeptiere absolut, dass der Sport international stattfindet. Das ist ein globales Event. Doch man könnte den Rennkalender anders gestalten. Aber leichter gesagt, als getan. Denn das hängt von vielen Dingen ab, vom Klima, Wetter, Jahreszeit, von den Rennstrecken. Aus unserer Sicht aber kann man das optimieren. Da sind wir im Dialog.
Hat sich die Denkweise auch in den Führungsetagen der Formel 1 geändert beim Thema Nachhaltigkeit?
Classen: Absolut, und das aus verschiedenen Gründen. Bei einigen aus Überzeugung. Bei anderen Teams entsteht es mehr durch externen Druck. Jeder Sponsor fragt heute nach Nachhaltigkeitsstrategien. Das haben sie vor vier Jahren nicht gefragt. Sponsorengelder und auch unser Einfluss sind wichtig. Einige Teams haben da schon sehr gute Pläne. Andere noch nicht. Doch der Wandel kommt.
Am nachhaltigsten wäre es doch aber, aus der Formel 1 auszusteigen und auch als Sender kein Geld mehr dafür auszugeben.
Classen: Dann hätten wir aber auch keine Plattform mehr und würden die Chancen verschenken, sie zu nutzen. Im globalen Kontext ist der CO2-Abdruck der Formel 1 extrem gering. Wenn wir es aber schaffen, Millionen Menschen damit zu erreichen und deren Verhalten zu verändern, dann lohnt es sich hundertprozentig, dieses hochwertige TV-Recht weiterhin im Portfolio zu haben.
Das könnte aber bedeuten, dass man ein teures Produkt wie die Formel 1, dessen Übertragungsrechte man für viel Geld gekauft hat, unter Umständen auch sehr kritisch präsentieren muss. Ein Widerspruch?
Classen: Wir haben drei Aufgaben: Übertragung von Live-Sportereignissen und diese Events erstklassig redaktionell darzustellen. Aber wenn ein Spiel oder Rennen schlecht ist, dann sagen wir das auch. Natürlich ist es aber im Interesse der Zuschauer, die Geld dafür bezahlen, sich im Sport zu verlieren. Wir helfen, das Spektakel zu inszenieren. Wir haben aber auch eine journalistische Aufgabe und investieren viel in den Sportjournalismus. Da ist es uns wichtig, unsere Unabhängigkeit zu haben und gegebenenfalls auch sehr kritisch mit Themen umzugehen. Wenn jemand Mist macht, dann sagen wir das auch – auf einer sachlichen Ebene. Und dann haben wir noch die Rolle, über Themen zu sprechen, die nicht so präsent in der Öffentlichkeit sind. Gerade hier haben wir die enorm wichtige Möglichkeit, Dinge positiv zu verändern. Und das tun wir auch.