zurück
Interview
Handballer Uwe Gensheimer: "Ich war apathisch"
Uwe Gensheimer hat den Handball über ein Jahrzehnt hinweg geprägt. Jetzt tritt er zurück. Ein Gespräch über seine imposante Karriere, den Tod seines Vaters – und Vertragsgespräche in der Sauna.
Uwe Gensheimer.jpeg       -  Uwe Gensheimer war lange Zeit das Gesicht des deutschen Handballs.
Foto: Marco Wolf, dpa | Uwe Gensheimer war lange Zeit das Gesicht des deutschen Handballs.
Marc Stevermüer
 |  aktualisiert: 05.06.2024 02:44 Uhr

Herr Gensheimer, 2016 haben die Löwen Sie schon einmal verabschiedet. Damals in Richtung Paris. Sie wissen also, was am Donnerstag (20.30 Uhr) gegen den SC Magdeburg bei Ihrem letzten Heimspiel auf Sie zukommt, oder?

Uwe Gensheimer: Natürlich habe ich mir Gedanken gemacht, wer über all die Jahre meine Karriere begleitet hat und wer vielleicht kommen wird. Aber im Endeffekt kann man sich auf so etwas nicht vorbereiten. Ich werde also versuchen, den Augenblick so zu genießen, wie er ist.

Warum sind Sie am Anfang ihrer Karriere 13 Jahre bei den Löwen geblieben?

Gensheimer: Ich hätte mit Sicherheit bei anderen Vereinen mehr Titel gewinnen können. Aber tief in meinem Innersten bin ich davon überzeugt, dass ich dann nicht der Spieler geworden wäre, der ich bei den Löwen geworden bin. Diese zentrale Rolle hätte ich in keinem anderen Verein bekommen und wäre entsprechend auch kein Spieler mit dieser Persönlichkeit und dieser Ausstrahlung auf dem Feld geworden. Für meine Entwicklung als Spieler und Mensch war es genau richtig, so lange hierzubleiben.

Warum sind Sie trotzdem zwischendurch für drei Jahre nach Paris gegangen?

Gensheimer: Ich habe viele Menschen kennengelernt, die mal im Ausland gelebt haben. Das waren natürlich Mitspieler von mir, aber auch Bekannte, die im Studium ein Auslandssemester gemacht haben. Irgendwann habe ich gespürt, dass ich diese Erfahrung auch einmal machen möchte, dass mich das reizt, weil mir alle gesagt haben, wie sehr eine solche Erfahrung einen Menschen weiterbringt und den Blickwinkel verändern kann.

Der große Traum vom Champions-League-Titel erfüllte sich in Paris trotz des Starensembles aber nicht.

Gensheimer: Ein großer Antrieb für meinen Wechsel nach Frankreich war – und das sage ich ganz offen und ehrlich – der Sieg in der Champions League. Die Mannschaft war so zusammengestellt, damit dieses Ziel erreicht wird. Der Klub hatte diesen Titel noch nicht gewonnen und ich wollte gerne dabei sein, wenn es das erste Mal passiert. So wie mit der ersten Meisterschaft bei den Löwen. Denn es ist immer etwas ganz Besonderes, wenn etwas zum ersten Mal gelingt.

Kurz vor der WM 2017 in Frankreich starb Ihr Vater überraschend. Sie haben trotzdem die Weltmeisterschaft gespielt. Jeder hätte verstanden, wenn Sie abgesagt hätten.

Gensheimer: Es war ein Sonntag, wir saßen mit der Nationalmannschaft beim Mittagessen. Auf meinem Handy habe ich gesehen, dass meine Frau immer und immer wieder versucht hatte, mich zu erreichen. Aber beim Mittagessen ist Handyverbot. Beim fünften Mal hab ich mir gedacht: Okay, jetzt muss ich mal kurz raus und bin ans Telefon. Und dann hat Sandra mir mitgeteilt, dass … (Gensheimer schluckt und holt tief Luft) … dass mein Papa gestorben ist. Ich bin auf einem Sessel an der Rezeption in der Sportschule Kaiserau zusammengesackt, ich war apathisch. Irgendjemand kam dann und hat mich gefragt, was los sei. Und ich sagte: "Mein Papa ist gestorben. Mein Papa ist gestorben." Danach war die Unruhe natürlich groß.

Sie sind damals direkt nach Hause, standen aber auch vor der Frage: Soll ich diese WM spielen oder nicht?

Gensheimer: Es war eine Entscheidung, die ich unmöglich alleine treffen konnte, unmöglich alleine treffen wollte. Ich saß zu Hause mit meiner Mutter, mit meinem Onkel und mit meiner Frau. Unser Sohn Matti war gerade acht Monate alt und ich habe gesagt: "Ich weiß nicht, was ich machen soll." Als Kapitän habe ich mich verantwortlich für die Nationalmannschaft gefühlt. Aber ich habe natürlich vor allem auch eine Verantwortung meiner Familie gegenüber.

Und dann?

Gensheimer: Habe ich auf meine Familienmitglieder gehört. Sie haben gesagt: "Dein Papa hätte gewollt, dass du spielst." Also bin ich nach Frankreich gefahren, kam zum Abschlusstraining vor dem ersten WM-Spiel in die Trainingshalle und dann … (Gensheimer holt erneut tief Luft) … und dann wurde das Training unterbrochen. 20 Leute haben mich in die Mitte genommen, mich umarmt. Seit diesem Tag hatte ich jedes Mal, wenn die Nationalhymne vor einem Länderspiel gespielt wurde, das Bild von meinem Vater im Kopf

Sie freuen sich auf Ihre neue Aufgabe als Sportchef bei den Löwen, geben dafür aber auch Ihre aktive Karriere auf. Wie schwer fällt Ihnen das?

Gensheimer: Es ist kein abruptes Ende, sondern das Ergebnis eines langen Prozesses, der über Monate, vielleicht sogar über Jahre ging. Wenn man immer wieder mit Verletzungsproblemen zu kämpfen hat, nach einem Spiel drei Tage nicht mehr trainieren kann, nach der Halbzeitpause aufsteht und Schmerzen in der Achillessehne spürt – dann ist man nicht mehr der Spieler, der man einmal war. Dann bin ich nicht mehr der Spieler, der ich einmal war. Ich kann einfach nicht mehr diese Führungsrolle einnehmen, die ich einmal hatte. Und genau das habe ich seit einiger Zeit gespürt.

Stefan Kretzschmar führt als Sportvorstand der Füchse Berlin seine Vertragsgespräche mit Spielern nicht in der Geschäftsstelle, sondern in lockerer Atmosphäre, zum Beispiel in einem Café. Wo werden Sie das machen?

Gensheimer: Gerne in der Sauna.

Wie bitte? In der Sauna?

Gensheimer: Ja, da kann man sich ganz gut unter vier Augen unterhalten und die Gespräche dauern nicht so lange (lacht).

Weil Sie die Sauna auf Temperaturen aufheizen, die nur wenige Menschen aushalten. Zumindest erzählt man sich das.

Gensheimer: Ja, das stimmt. Aber Spaß beiseite: Ich habe wirklich schon in der Sauna mit ein paar Jungs einige Dinge besprochen, die nicht jeder mitbekommen sollte. Der Ort ist also nicht vollkommen ungeeignet

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Champions League
Familienmitglieder
Füchse Berlin
Mütter
SC Magdeburg
Sauna
Stefan Kretzschmar
Söhne
Uwe Gensheimer
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen