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Interview
Griechen-Legende Traianos Dellas: "Der Rest ist Geschichte"
Mit den Griechen sorgte Traianos Dellas 2004 für die große Sensation bei der EM. Der damalige Libero spricht über den danach folgenden Abstieg der Nationalmannschaft – und Otto Rehhagel.
Dimitris Dimoulas
 |  aktualisiert: 12.06.2024 02:46 Uhr

Herr Dellas, Sie brachten letzten Mittwoch, als Uefa-Botschafter, den Conference-League-Pokal in die OPAP-Arena von Athen und haben den Final-Sieg von Olympiakos Piräus live miterlebt. Glauben Sie, dass dieser Erfolg, 20 Jahre nach dem EM-Sieg Griechenlands, eine Initialzündung für den eher darbenden griechischen Fußball signalisieren kann?

Traianos Dellas : Ich kann nur hoffen, dass die erste europäische Trophäe, die ein griechischer Klub ergattert hat, mehr positive Effekte haben wird, als der riesige Erfolg der griechischen Nationalmannschaft in Portugal. Der ist nämlich, im Nachhinein betrachtet, wirkungslos geblieben!

Das griechische Nationalteam wird nach der verpassten EM-Qualifikation interimsweise betreut. Würde Sie die Aufgabe des Nationaltrainers nicht reizen?

Dellas: Zum jetzigen Zeitpunkt bevorzuge ich den täglichen Kontakt mit meiner Mannschaft, was bei einem Nationalteam nicht möglich ist. Ich glaube, das ist auch förderlich für meine Entwicklung als Trainer. Ich habe der griechischen Nationalmannschaft aber sicher viel zu verdanken und hoffe, dass ich irgendwann mal ihr auch vom Trainerposten dienen kann. 

Die griechische Nationalmannschaft ist seit nunmehr zehn Jahren von der großen Bühne, EM und WM-Turnieren, absent. Wie erklären Sie diese negative Entwicklung?

Dellas: In erster Linie hat es mit dem Ranking der Nationalmannschaft zu tun. Das kontinuierliche Abrutschen führte dazu, dass bei den Qualifikationsrunden immer dickere Brocken zugelost wurden, was den Weg zu einer Endrunde natürlich erschwert hat. Das unglückliche Ausscheiden im Elfmeterschießen gegen Georgien (Anm. Play-off Finale der Nations-League) hat einen sehr bitteren Beigeschmack, zumal sich in den letzten Jahren das Betriebsklima in der Auswahl sichtlich verbessert hatte. Ich hoffe, dass dieser Aufwärtstrend fortgesetzt wird und dass die jetzige Spielergeneration weiter daran arbeitet, wieder an einem großen Turnier teilzunehmen.

Als Außenstehender gewinnt man den Eindruck, dass der griechische Verband nicht richtig gewillt ist, ein starkes Nationalteam zu bilden und zu fördern und eher in diverse Grabenkämpfe der einflussreichen Klubs verwickelt ist. Täuscht dieser Eindruck?

Dellas: Das mag und kann ich nicht beurteilen. Rein sportlich betrachtet muss die aktuelle Spielergeneration den Ehrgeiz an den Tag legen, wieder Erfolge zu feiern. Es müssen wieder starke Spielercharaktere heranwachsen, die das Team auch führen können. Es kommt nicht von ungefähr, dass mit dem Abgang der letzten Spieler der glorreichen Generation von Portugal auch der Abwärtstrend begonnen hat. 

Apropos Portugal 2004. Stimmt eigentlich die Legende, dass der gesamte Tross in der K.-o.-Phase des Turniers auf gepackten Koffern saß, weil der Verband es versäumt hatte, sich rechtzeitig um Quartiere zu kümmern?

Dellas : Das habe ich nicht mitbekommen. Fakt ist, dass wir angetreten sind, um uns teuer zu verkaufen und in der Gruppenphase zumindest ein Tor zu erzielen. Man darf nicht vergessen, dass der letzte und gleichzeitig einzige EM-Auftritt Griechenlands bis dato von 1980 datierte. Damals ist die Mannschaft in Italien nach der Gruppenphase, mit nur einem Punkt und einem Treffer, nach Hause gefahren. Insofern ist es nicht abwegig, wenn du im Viertelfinale auf den Titelverteidiger triffst (Anm. d. Red.: Frankreich) und mit dem Ausscheiden rechnest. 

Welches war das Erfolgsrezept oder das Geheimnis von Otto Rehhagel, der Architekt dieses Erfolgs war?

Dellas: In erster Linie seine gigantische Erfahrung und das Vertrauen, das er uns schenkte. Damit meine ich, dass er uns vertraute und auf Kritik der Medien im Vorfeld des Turniers, er hätte nicht die Besten mitgenommen, keinen Wert legte. Wir zahlten dies mit starken Leistungen zurück und waren eine verschworene Einheit, in der jeder Einzelne bereit war, sich dem Kollektiv unterzuordnen. Das war primär sein Verdienst und die Saat hatte er in den Jahren zuvor gelegt. Zudem war seine Herangehensweise von Spiel zu Spiel exzellent und weitsichtig. 

Sie erzielten im Halbfinale gegen Tschechien Ihren einzigen Treffer im Nationaltrikot und ebneten mit dem "Silver Goal" den Einzug ins Finale. War dieser Eckball einstudiert oder hat sich das spontan ergeben?

Dellas: Man darf nicht vergessen, dass wir vor meinem Kopfballtreffer in der Verlängerung noch weitere Torchancen hatten. Was den Eckball anbelangt, hat uns Tsiartas, der den Eckball ausgeführt hat, signalisiert, dass Katsouranis und ich uns am ersten Pfosten platzieren sollten. Der Rest ist Geschichte.

Trauen Sie in der bevorstehenden EM einem Team die Überraschungsrolle zu, oder werden wir es, mehr oder weniger, mit den üblichen Verdächtigen zu tun haben?

Dellas: Es wäre wünschenswert, wenn sich ein Überraschungsteam hervorheben würde. Aber wenn man bedenkt, wie schwierig es geworden ist, sich mal zu qualifizieren, dann rückt so ein Szenario in weite Ferne. Zudem ist das europäische Turnier anspruchsvoller als eine WM. Insofern bleibt der harte Kern übrig: Gastgeber Deutschland, der einen Heimvorteil besitzt und gewillt ist, nach den Misserfolgen bei den letzten Turnieren Wiedergutmachung zu betreiben. Frankreich, England und Spanien komplettieren meines Erachtens die Favoritengruppe.

Wie lief es eigentlich zwischen Ihnen und Pep Guardiola, mit dem Sie 2002 ein halbes Jahr bei der AS Roma zusammengespielt haben? Nörgelte er damals schon mit allen, weil ihm das nicht gut oder schnell genug ging?

Dellas: Er war etwas fordernd und manchmal unzufrieden und überdrüssig mit den ganzen Taktikausführungen von Fabio Capello. Ich konnte das, zu jenem Zeitpunkt, nicht nachvollziehen. Aber es ist was anderes, wenn du aus der griechischen Fußballprovinz kommst oder von Barcelona, wo du Cruyff oder Van Gaal als Trainer hattest. Er war damals schon ein Trainer auf dem Platz und hat mittlerweile den Fußball auf ein anderes Niveau gehievt. Wir verstanden uns blendend und sind weiterhin im regen Austausch, weil er fernab seiner fachlichen Kompetenz ein feiner Kerl ist.

 
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