Natürlich hätte es ganz anders kommen können. Wie eben immer alles hätte anders kommen können. "So wird nichts aus dir. Besser wäre es, wenn du zum Zirkus gehen würdest", riet ihm sein Trainer, nachdem sich Dick Fosbury mal rücklings über die Latte gestürzt hatte. Oder vielleicht auch in die Latte. Fosbury war ja nun kein Sprungwunder. Hatte aber seinen eigenen Kopf und landete dementsprechend nicht im Zirkus, sondern lief immer wieder auf diese Latte zu und versuchte sich, darüber zu winden.
Es wäre anders gekommen, wenn Fosbury auf seinen Trainer gehört hätte. Die Leichtathletik-Welt hätte nicht einmal Notiz davon genommen, dass Dick Fosbury am Dienstag an den Folgen von Lymphrüsenkrebs starb . Wäre Fosbury weiterhin im Stile seiner Konkurrenten gesprungen, hätte er es nicht in die Weltspitze geschafft, zu schwach waren Technik und Sprungkraft ausgeprägt, als dass er mit dem so genannten Straddle die Weltspitze hätte herausfordern können.
Die Sinnhaftigkeit des "Flosbury-Flop" wird von der Wissenschaft belegt
Fosbury profitierte außerdem davon, dass die Landebereiche der Sprunganlagen nach und nach umgerüstet wurden. Wo zuvor eine Schicht Hackschnitzel wenig verheißungsvoll auf den aus zwei Meter Höhe kommenden Athleten warteten, lag nun eine weiche Matte. Fosburyübersprang bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko 2,24 Meter und holte Gold.
Fortan ahmten ihn die meisten Hochspringerinnen- und springer nach. Imitierten den "Fosbury-Flop". Perfektionierten ihn. Weil er auch aus wissenschaftlicher Sicht die vernünftigste Methode ist, möglichst hoch zu springen. "Durch die Krümmung des Rückens liegt der Körperschwerpunkt unter dem Körper. So kann man den Körperschwerpunkt unter der Latte hindurchbringen, während man selbst über die Latte springt", erklärt Professor Ansgar Schwirtz. Er leitet den Bereich für Biomechanik im Sport an der TU München.
Schwerpunkt drunter, Körper drüber. Fosbury erschloss sich dieses Prinzip. Nach seiner Karriere studierte er Bauingenieurswesen, hantierte gerne mit Zahlen, Formeln und Kurven. Dass er den Hochsprung revolutionieren würde, hatte er nicht im Blick, als er zu den Olympischen Spielen aufbrach. Sein Kopf gehörte nicht dem Sport. Als die Eröffnungszeremonie in Mexiko City lief, schaute er sich die Pyramiden der Azteken an. Übernachtete in einem Van, um dort den Sonnenaufgang zu verfolgen. Im Jahr nach den Spielen machte Fosbury Schluss mit dem Leistungssport, gerade mal 22-jährig.
Fosburys revolutionäre Hochsprung-Idee inspirierte auch andere Sportler
Seinem revolutionären Geist folgte unter anderem der Russe Alexandr Baryschnikow, der 1976 die Drehstoßtechnik im Kugelstoßen etablierte. Zehn Jahre später veränderte ein bis dahin kaum bekannter Schwede den Skisprung. Jan Böklov spreizte die Beine zu einem V in der Luft und entschwebte seinen Konkurrenten. Landete zunächst aber trotzdem hinter ihnen, weil Kampfrichter seit jeher wert-konservativ Noten vergeben. "Durch das V vergrößern die Springer ihre Körperfläche und dadurch die Tragfläche, die man im Wind nutzen kann", so der Biomechaniker Schwirtz.
Immer wieder kamen findige Sportlerinnen und Sportler in der Vergangenheit auf Ideen, wie sie die Konkurrenz überflügeln können. Dabei waren es nur selten die vormaligen Sieger, die sich an revolutionären Ideen versuchten. Der größte Erfolg des Fortschritts ist der Erfolg. Natürlich führt nicht jeder progressive Ansatz zu Erfolg - was mitunter auch mit den Funktionären zu tun hat. Auf Antrag des Deutschen Leichtathletiv-Verbandes wurde 1974 der Salto-Weitsprung verboten. Dabei wären Weiten über neun Meter möglichgewesen. Aber: zu gefährlich. Bei missglückter Landung hätte eine Querschnittslähmung erfolgen können.
Speerwerfer experimentierten kurzzeitig mit einer Drehwurftechnik. Aber auch das: zu gefährlich. Vor allem für die Zuschauer, wenn ein Speer im falschen Winkel entglitten wäre. Zudem konnte aus wissenschaftlicher Sicht nicht der Beweis erbrecht werden, dass diese Technik einen Vorteil gebracht hätte, so Schwirtz. Er glaubt auch nicht daran, dass Athleten durch Trainingstüftelei nochmals eine große Technik-Revolution anstoßen können: "Das läuft heute über Computer-Simulationen." Fosbury simulierte nicht. Er probierte, scheiterte und probierte weiter. Am Ende stand ein Jahrhundertereignis der Sportgeschichte. Am Sonntag starb Fosbury im Alter von 76 Jahren.