
Vor knapp 30 Jahren ist Tray Tuomie von seiner Heimat Minnesota in den USA in Richtung Deutschland aufgebrochen, um hier Eishockey zu spielen - erst beim ERC Haßfurt, dann für den ERV Schweinfurt und zahlreiche weitere Vereine. Zurückgegangen ist er nie. Inzwischen trainiert der 52-Jährige die Augsburger Panther in der DEL - die höchste deutsche Spielklasse startet heute in ihre neue Saison, in den zurückliegenden Tagen hat das Team nach der im März abgebrochenen Runde einige Testspiele absolviert. Tuomie ist bester Laune und freut sich hörbar, über Eishockey in den Neunzigern, seine Heimat im Norden der USA und die Sinnlosigkeit von Grenzen zu plaudern.
Ich habe es richtig genossen. Nach acht, neun Monaten die Jungs wieder auf dem Eis zu sehen, den Wettkampf zu erleben. Klar, vor Zuschauern wäre es noch schöner. Aber viele Branchen haben aktuell überhaupt keine Möglichkeit, zu arbeiten. Wir dürfen wieder Eishockey spielen - das ist großartig.
Der hätte wahrscheinlich gelacht. Der wollte einfach seine erste Station im Ausland genießen und hatte keine Ahnung, wohin die Reise gehen würde. 30 Jahre später bin ich immer noch hier.
Das könnte man so sagen. Mein Bruder Tadd ist vier Jahre älter als ich und wir haben deshalb nie zusammen in einer Mannschaft gespielt. Das wollte ich unbedingt einmal machen, er war da bereits beim ERC Haßfurt. Also bin ich nachgekommen.
Genau, sie ist Haßfurterin. Wir sind bis heute zusammen und haben drei Kinder.
Das war einfach genial. Und emotional! Bevor ich nach Haßfurt gekommen bin, habe ich als Jugendlicher in meiner Heimat schon vor 20 000 Fans gespielt. Ausverkaufte Halle, Fernsehteams vor Ort. Aber mein erstes Spiel in Haßfurt, das werde ich nie vergessen. Da waren wahrscheinlich um die 2000 Zuschauer, aber die Stimmung war unglaublich. Vor dem Spiel hatten alle auf den Rängen Wunderkerzen angezündet. Und wie die gesungen haben! Das ganze Spiel über! Das war Nervenkitzel pur, ganz anders als in den USA.
Natürlich. Damals waren zwei Ausländer pro Team erlaubt, da beobachten dich alle. Zu Hause warst du einfach einer von vielen. Dieser Druck war neu für mich: Du musst liefern.
Nein, ich habe gleich gemerkt, dass die Jungs hier auch spielen können. Aber das Collegeniveau in den USA ist einfach richtig hoch, da kann eine vierte, fünfte Liga in Deutschland nicht mithalten. Für einen Ausländer war es aber trotzdem schwierig, immer zu liefern. Du musst dein Spiel total umstellen. Du weißt ja nie, ob du deinen Pass rechtzeitig zurück bekommst.

Das ist eine gute Entwicklung, hängt aber von vielen Faktoren ab. Einerseits von Toptalenten wie Leon Draisaitl, zu dem die jungen Spieler aufschauen. Natürlich auch von der Nationalmannschaft, die überragend die Silbermedaille bei Olympia geholt hat. Außerdem ist das gesamte Niveau in Deutschland gestiegen, auch bei uns in der DEL.
Das stimmt. Hier ist Fußball riesig, dort Football. Vielleicht ist Eishockey einfach zu schnell für manche Leute.
Stören ist das falsche Wort. Aber ich denke schon, dass Spieler, Trainer und auch die Liga mehr Anerkennung verdienen.
Meine Familie wohnt immer noch dort, ich bin dort geboren und deswegen ist Minnesota immer in meinem Herzen. Wer sich überlegt, Minnesota einmal zu besuchen: Geht im Winter! Sonst versteht ihr es nicht.
Genau. Im Winter spielen alle verrückt. State of Hockey, that's what it's called. Es gibt Tage, da finden zigtausende Spiele statt. "Pond Hockey", wenn auf einem gefrorenen See zwanzig Eisflächen präpariert werden. Es gibt Eishallen mit acht Eisflächen. Stell dir das mal vor! Dann fährst du fünf Kilometer weiter, dann steht da die nächste Arena mit drei, vier Eisflächen. Und überall spielen alle: Männer, Frauen, Kinder. Es gibt Turniere mit Leuten, die sind über 80 Jahre alt.
Das kommt wahrscheinlich darauf an, wen du fragst. Die Profiteams sind riesig, aber weil Minnesota der Hockey State ist, ist Profisport nicht unbedingt das größte Ding. Ich war Gophers-Fan, das waren meine Heroes (Tuomie meint die Minnesota Golden Gophers, das Team der Universität von Minnesota, Anm. d. Redaktion). College-Hockey, Highschool-Hockey. Da gibt es ein riesiges Turnier mit 160 Highschool-Mannschaften, zum Schluss spielen die acht besten in einem dreitägigen Turnier gegeneinander. Ausverkauftes Haus, vier Spiele am Tag, 20 000 Zuschauer, Millionen vor dem Fernseher. Wahnsinn.
Ja, mit Sicherheit. Ich wohne hier, deswegen bin ich da nicht so stark involviert. Aber der Polizeiskandal in meiner Heimatstadt war natürlich hässlich. (Der Afroamerikaner George Floyd wurde in Minneapolis, Tuomies Geburtsort, von Polizisten getötet. Daraufhin folgten gewaltsame Proteste sowie die "Black Lives Matter"-Bewegung, Anm. d. Redaktion) Es ist einfach traurig, weil ich stolz auf meine Heimat bin. Das passt nicht zu Minnesota.
Ja, er wurde für neun Spiele gesperrt. Ich finde so etwas einfach nur schlimm, das gehört nicht in unseren Sport. Jedes Leben zählt. Es geht um Eishockey, es geht um die Mannschaft. Die Hautfarbe ist vollkommen egal.
Ja, das ist aber eher Zufall gewesen. Ich wäre eigentlich lieber hier im Süden geblieben. Bayern ist die Eishockey-Hochburg Deutschlands. Aber Bremerhaven ist meine Heimat geworden, oder zumindest der Ort, an den ich jetzt immer zurückgehe, wenn ich frei habe. Der Ort, wo auch meine jüngste Tochter geboren ist.
Ich kam hierher, um mit meinem Bruder zu spielen, bin wegen der Liebe geblieben. Ich habe viele Erfahrungen gesammelt. Dann bin ich Trainer geworden, 30 Jahre später bin ich plötzlich DEL-Cheftrainer hier in Augsburg. Treiben, ja vielleicht. Es ist einfach so passiert.
Wieso denn nicht? Ich würde heute nicht sagen, dass das mein unbedingtes Ziel ist. Aber warum denn nicht, wenn es sich ergibt. Ich bin eher der "read and react"-Typ: Situationen erkennen, und dann reagieren.
Ja, das hoffe ich. Wir müssen flexibel sein, wir wissen nicht, was auf uns zukommt. Aber man darf keine Angst haben, die Kontrolle zu verlieren. Alles kontrollieren zu wollen, kann gefährlich werden.
Der Mensch braucht Freiheit. Deshalb ist zu viel Kontrolle sinnlos. Genau, wie sich Grenzen zu setzen. Wenn ein Spieler zu mir sagt: "Ich will nächste Saison 20 Tore schießen!" Dann sage ich: "Warum nur 20? Warum versuchst du nicht, bei jedem Wechsel ein Tor zu schießen?" Grenzen sind uninteressant. Mit solchen Sätzen legst du dir nur selbst Handschellen an.
Genau, warum denn nicht? Irgendeine Mannschaft muss ja gewinnen, wieso nicht wir? Jetzt muss ich natürlich aufpassen, was ich hier sage. Aber eigentlich meine ich genau das. Warum denn nicht?