
Im rosa Tutu (ausgesprochen: Tütü) wird man Yannick und Josef wohl eher nicht sehen. Aber auch damit hätten die beiden Jugendlichen wohl kein Problem. Genauso wenig wie mit den "blöden Sprüchen", die sie sich in der Schule und im Freundeskreis immer wieder mal anhören müssen. Yannick Reuß (17) und Josef Weber (10) sind zwei von fünf Jungs, die in der Haßfurter Ballettschule "On Point" Ballett tanzen. Ihr Sport ist ziemlich Klischee behaftet – und genau mit diesen bekommen es die Beiden immer wieder zu tun.
Yannick ist – was Ballett betrifft – familiär vorbelastet. Seine Mutter Uta leitet die Ballettschule, die Schwester tanzt in der gleichen Gruppe und auch die Großeltern sind so gut wie immer dabei. Der Realschüler hat insofern seit frühester Kindheit Kontakt mit dem Ballett, war eigentlich immer dabei, wenn seine Mutter zum Sport fuhr. "Aber das war kein Zwang ", dementiert der Jugendliche eventuelle Gedanken in diese Richtung, noch bevor sie ausgesprochen sind. "Seit ich Laufen kann, habe ich da mit ,rum gehampelt', mir hat halt die Musik schon immer gefallen. Also hab' ich da mit getanzt." Und das dann immer regelmäßiger. Mittlerweile ist Yannick sechs Mal pro Woche in den Übungsräumen am Haßfurter Hafen und fühlt sich hier ebenso geborgen wie zuhause. Die Ballettschule ist seine zweite Familie geworden.

Auch dem sieben Jahre jüngeren Josef scheint das Tanzen in die Wiege gelegt worden zu sein. "Ich wollte schon immer auf die Bühne, hatte schon früher Bilder von meinen Auftritten im Kopf. Das war mein Traum." Seine Eltern schickten ihren tanzbegeisterten Sprössling dann zum Ballett. Das war vor fünf Jahren. Seitdem feilt der Zehnjährige an seinem tänzerischen Talent. Und hat dabei sein großes Vorbild Fred Astaire immer vor Augen.
Tanzen ist kein "Mädchensport"
Ganz schnell räumen beide Jungs mit dem Vorurteil auf, Tanzen im Allgemeinen und Ballett im Speziellen sei etwas für Mädchen. "Wir tragen kein Tutu, tanzen nicht auf Zehenspitzen und sind auch nicht schwul", nimmt Yannick "dummen Bemerkungen" den Wind aus den Segeln. Auch Josef hat ständig damit zu kämpfen, dass ihn Schulkameraden wegen seiner Ballett-Leidenschaft hänseln wollen. Doch der Zehnjährige hält mit einer nahezu perfekten Argumentation dagegen: "Den Mädchen gefällt's, und beim Tanzen habe ich die große Auswahl an Mädchen", schmunzelt der junge Sylbacher und rät seinen Freunden: "Kommt mit und probiert es selbst."
Beide sprechen allerdings auch bewusst vom Tanzen, nicht nur vom Ballett. "Wie haben eine große Auswahl an Tänzen im Repertoire", weiß Yannick. Jazztanz, internationale Folklore, modern dance - "damit kommt man auch ein bisschen raus aus dem Ballett. Aber Ballett ist eine hervorragende Grundlage für das Tanzen. Beim Ballett beansprucht man alle Muskeln, trainiert vor allem auch die Sprungkraft. Es ist wirklich ein Leistungssport, aber trotzdem immer noch eine Kunst. Als Grundlage für andere Sportarten oder Tänze einfach ideal. Wenn ich jetzt zum Beispiel mit Hiphop beginnen wollte, wäre das ein Klacks."
Das klassische Ballett, wie man es gemeinhin kennt, wird aber auch in Haßfurt nach wie vor trainiert. Romantische Elemente der französischen Ballettschule werden hierbei mit der Athletik des italienischen und Elementen des russischen Balletts vereint. Dennoch: "Wir sind eine ziemlich moderne Schule, in der auch Jazz, modernere Musik oder Nationaltänze im Programm stehen," betonen beide.
Die Zeit sinnvoll nutzen
Yannick liebt das Tanzen, das vermittelt der Jugendliche im Gespräch mit jedem Satz. Doch ist er ein ganz normaler 17-jähriger Junge, der natürlich auch andere Hobbies hat. Früher versuchte er es mit Judo, inzwischen sitzt er gerne am Klavier und ist sehr viel ehrenamtlich unterwegs - neben sechs Trainingseinheiten pro Woche. "Wenn man den entsprechenden Ehrgeiz hat, dann schafft man das auch", glaubt er nicht, sich zuviel zuzumuten. "Man muss ja nicht jeden Tag den kompletten Nachmittag zuhause chillen und Videospiele spielen. Man kann seine Zeit auch sinnvoller nutzen und sich ehrenamtlich, sportlich oder künstlerisch engagieren. Und trotzdem kann man auch einiges mit Freunden unternehmen."
Noch nicht ganz so voll ist der "Terminkalender" des zehnjährigen Josef. Er trainiert "nur" zweimal pro Woche. Ihm bleibt schon wesentlich mehr Zeit für all die Freizeitaktivitäten, die mit zehn Jahren üblicherweise so anfallen. Seine Begeisterung für das Tanzen ist allerdings ebenso groß wie die von Yannick.
Applaus ist das, wofür Künstler leben
Während für Yannick nach eigener Aussage der Zug in Sachen "Profikarriere" schon abgefahren ist ("Dafür bin ich schon zu alt"), könnte sich Josef den Besuch einer professionellen Ballettschule zumindest vorstellen. Mit zehn Jahren weiß er aber freilich noch nicht, "wo der Wind mich hinweht". Für Yannik ist und bleibt Ballett ein Hobby. "Ich finde es schön, wie es ist. Ich muss damit kein Geld verdienen. Ich lerne hier wunderschöne Tänze, bei denen ich meinem Können und der Kunst viel Ausdruck verleihen kann. Auf den Bühnen stehen, in einem großen Theater tanzen, am Ende dafür dann Applaus erhalten, das ist das, wofür wir leben".
Beide, Yannick und Josef, genießen jeden Auftritt, jeden Augenblick auf einer großen Bühne. Ehrgeiz und Nervenkitzel gehören dazu. Yannick war erst am Wochenende beim Deutschen Ballettwettbewerb in München aktiv und qualifizierte sich für das deutsche Team, dass demnächst beim Dance-World-Cup antritt. Mit der "Nationalmannschaft" geht der Haßfurter dann international auf Tour, heuer führt der Weg nach Portugal.

Aber auch zuhause in Haßfurt gibt es weiterhin eine Menge zu tanzen. Und da ist ja auch noch Josef. Ihn unterstützt Yannick mit seiner Erfahrung auch schon mal, wenn der Zehnjährige Fragen hat oder Tipps braucht. Man hilft sich gegenseitig bei "On Point". Wie es eben so ist in einer Familie.