
Berti Vogts, seines Zeichens 1,68 Meter großer ehemaliger Nationaltrainer Deutschlands und Schottlands, hat es schon vor Jahrzehnten gewusst: Es gibt keine Kleinen mehr. Also rein sportlich gesehen. Wiederholt wird dieser Satz mantraartig von all jenen Trainern, deren Mannschaften sich gegen die Kleinen (die es ja nicht mehr gibt) ein bisschen schwerer als gedacht tun und nach einer Erklärung suchen. Und das gilt längst nicht nur für das Spiel mit dem Fußball. Die derzeit in Deutschland stattfindende Handball–EM zeigt: Berti könnte recht haben.
Aktuelles Beispiel: Die Färöer. Auf der Inselgruppe im Nordatlantik gibt es mehr Schafe (70.000) als Menschen (50.000). Deswegen auch der Name, der übersetzt „Schafsinseln“ heißt. Der Nationalsport ist Rudern. Fußball ist auch noch ganz präsent, aber wie alle Aktivitäten an der frischen Luft was für Hartgesottene: Selbst im Sommer steigen die Temperaturen selten auf mehr als 14 Grad. Und dann gibt es eben Handball. 1500 Menschen gehen auf den Färöern dem Sport nach. Zum Vergleich: In Deutschland sind eine dreiviertel Million Menschen in Handball-Vereinen gemeldet.
Auf den Färöern wird es selten wärmer als 14 Grad
Und dennoch reichte das für die Färöer, um am Wochenende in Berlin eine große Party steigen zu lassen. Beim EM-Spiel gegen Norwegen waren 5000 Fans vor Ort, um ihr Team anzufeuern – also jeder zehnte Bewohner der Färöer. Am Ende durften alle zusammen ein 26:26-Unentschieden gegen Norwegen bejubeln. Es war der erste Punktgewinn des EM-Debütanten im zweiten Spiel. Dass es auf den Färöern einen Handball-Boom gibt, hat eine recht pragmatische Erklärung. Topspieler Elias Ellefsen á Skipagøtu sagte, dass es ihm schlichtweg zu kalt war, um Fußball zu spielen und er deswegen lieber in die Handball-Halle ging. Dass auch kleinere Länder wie das nur 300.000 Einwohner fassende Island das Zeug dazu haben, beim Handball in der Riege der Großen mitzuspielen, ist spätestens seit der Olympia-Silbermedaille für die Wikinger im Jahr 2008 bekannt.
Außergewöhnlich, aber immerhin noch irgendwie erklärbar. Der Punktgewinn, den ein völlig exotisches Land wie Österreich am Sonntag gegen Kroatien eingeheimst hat, ist hingegen völlig unerklärlich. Beim 28:28 gegen den dreimaligen Vize-Europameister holte die Skifahrer-Nation sogar einen Drei-Tore-Rückstand in der Schlussphase auf. Das ist so leiwand, dass die Nachbarn nun auf die Zwischenrunde hoffen dürfen. Auf den Färöern wird hingegen an einer neuen Halle gebaut, die 4500 Zuschauer fassen soll. Also Platz für jeden zehnten Einwohner und Raum für den künftigen Handball-Riesen Färöer.