Am 14. August beginnt mit dem Eröffnungsspiel zwischen Bayern München und dem Hamburger SV die 53. Saison der Fußball-Bundesliga. Wie gewohnt stellen wir in einer Serie alle 18 Klubs des Oberhauses mit ihren Veränderungen, Zielen und Besonderheiten vor. Heute beschäftigen wir uns mit dem Hamburger SV. Der Bundesliga–Dinosaurier – der HSV ist der einzige Klub, der seit der Gründung immer im deutschen Fußball-Oberhaus spielte – schaffte in der vergangenen Saison zum zweiten Mal in Folge den Klassenerhalt erst in der Relegation.
Ganz klar, die 92. Minute im Relegationsspiel der Hamburger in Karlsruhe. Eigentlich waren sie bereits abgestiegen, dann gab es den zweifelhaften Freistoß von der Strafraumkante. Eigentlich ein Fall für Rafael van der Vaart, der wusste, dass dies seine letzte gute Aktion im Trikot des HSV sein dürfte. Van der Vaart stand bereit, daneben Marcelo Diaz. Jeder im Stadion rechnete mit einem Schuss des Holländers. Doch der Chilene war schneller. Nach der Hamburger Legende soll er seinem Kapitän zugerufen haben: „Tomorrow, my friend, tomorrow!“, dann lief er an und drosch das Spielgerät über die Mauer in den linken Winkel – mitten ins Karlsruher Herz.
Der HSV schaffte in der Nachspielzeit ein 2:1 und entging erneut dem Abstieg in letzter Minute. Marcelo Diaz krönte seine Halbserie – er war im Winter aus Basel gekommen – Anfang Juni mit dem Gewinn der Copa Amerika, wo er ins All-Star-Team gewählt wurde.
Nur Bruno Labbadia. In nur sechs Wochen hat der noch vor fünf Jahren vom Hof gejagte Trainer alle Macht und Verantwortung auf seine Schultern verlagert und teilweise eine neue Philosophie ins Team implantiert: Weg von den Egoismen, hin zum Kollektiv. Im Abstiegskampf war das hilfreich, jetzt muss der 49-Jährige beweisen, dass er seine Ideen auch langfristig in Erfolge umsetzen kann. In Leverkusen, Hamburg und Stuttgart war ihm das zuvor nur bedingt gelungen. Der Schwede Albin Ekdal könnte der Königstransfer sein. Der Konjunktiv ist wichtig bei dieser Betrachtung. Labbadia geht ohnehin ein hohes Risiko, wie die Verpflichtung von Emir Spahic zeigt.
Aus reiner Not. Bruno Labbadia weiß, dass er nach den Abgängen von Heiko Westermann, Marcell Jansen und Slobodan Rajkovic Stabilisatoren braucht, erfahrene Spieler, die der verunsicherten Mannschaft eine sichere Statik verleihen. Doch weil die Kassen Anfang Juli noch ohne weiteres Geld von Gönner Klaus-Michael Kühne leer waren, scheiterten einige angedachte Transfers an der fehlenden Kohle. „Erfinderisch“ wollten sie im Volkspark sein und so erfanden sie die Idee mit dem ablösefreien Bosnier, der den Hamburgern mit seiner Erfahrung zweifelsfrei helfen kann. Allerdings birgt der Transfer auch ein enormes Risiko, denn Spahic ist in den vergangenen Jahren mehr als einmal unangenehm aufgefallen, weil er sein Temperament nicht im Griff hatte. Mit Valon Behrami haben die Hamburger in letzter Minute eine weitere Tretmine im Kader abgeben können. Vielleicht helfen in Hamburg im Fall Spahic die Erfahrungen mit Paolo Guerrero.
Eindeutig die Selbstüberschätzung auf allen Ebenen, vom Vorstandschef bis zur Boulevard-Presse, die den Spielern tagtäglich den Glauben vermitteln, bei einem besonderen Verein zu spielen. Was angesichts der Historie stimmt, aber angesichts der Realität ein Trugschluss ist. Alleine die kurzzeitige Inthronisierung von Sportdirektor Peter Knäbel acht Spieltage vor Schluss als Trainer belegt die fatale Fehleinschätzung: Ein unerfahrener Übungsleiter sollte das verunsicherte Team irgendwie vom Abstieg bewahren, damit der Retter Thomas Tuchel kommen kann. Mit beiden Ideen ist Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer krachend gescheitert und in seiner Reputation beschädigt.
Nur bedingt. Dass Bruno Labbadia Demut predigt, ist ein ganz neuer Zug beim HSV. Dem Trainer ist zuzutrauen, dass er mit dieser Einstellung die Mannschaft vor der üblichen Hamburger Arroganz bewahrt. Für das Umfeld gilt dies nicht. Wer kurz nach dieser Zittersaison und der glücklichen Rettung die Stadion-Eintrittspreise für Behinderte und Kinder erhöht, hat immer noch nicht kapiert, was das größte Potenzial dieses Vereins ist: Die treuen Fans.
Der Dauerkartenverkauf hatte wieder Champions-League-Format, die Mannschaft dagegen muss froh sein, wenn ein einstelliger Tabellenplatz erreicht wird. Wenn sie Bruno Labbadia als Trainer bis zum Ende der Saison halten, kann dies gelingen. Aber Zweifel sind angesagt.
Zu- und Abgänge
Zugänge: Sven Schipplock (1899 Hoffenheim), Emir Spahic (Leverkusen), Gotoku Sakai (VfB), Batuhan Altintas (vereinslos), Albin Ekdal (Cagliari Calcio), Andreas Hirzel (FC Vaduz),
Abgänge: Jonathan Tah (Leverkusen), Valon Behrami (FC Watford), Maxi Beister (Mainz), Rafael van der Vaart (Betis Sevilla), Marcell Jansen (Karriereende), Heiko Westermann (unbekannt), Slobodan Rajkovic (unbekannt).
Lesen Sie am Montag: Der Hauptstadtklub kam in der vergangenen Saison gerade noch mit einem blauen Auge davon. Wirklich rosig sind die Aussichten auch für die kommende Bundesligasaison nicht.
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