Phil Bauhaus drehte nach dem Hochgeschwindigkeitsfinale in aller Ruhe noch eine Runde auf seiner Rennmaschine, dann schöpfte er nach dem vierten Platz in Dijon neue Hoffnung bei der Tour de France. „Ich habe das Beste herausgeholt. Meine Beine waren nicht so gut, von daher bin ich sehr zufrieden”, sagte der deutsche Radsprinter, der sich allmählich den Podestplätzen beim größten Radrennen der Welt annähert.
Nach ganz vorne reicht es (noch) nicht. Eine gute Radlänge fehlte zum einstigen Bad Boy Dylan Groenewegen, der im Foto-Finish jubeln durfte. Der Niederländer, der vor vier Jahren wegen seiner rüpelhaften Fahrweise gesperrt worden war, raste nach 163,5 Kilometern von Macon nach Dijon zum Sieg vor Jasper Philipsen, der aber nachträglich wegen gefährlicher Fahrweise auf Platz 107 zurückversetzt wurde. Dadurch rückten Biniam Girmay aus Eritrea und der Kolumbianer Fernando Gaviria auf die Plätze zwei und drei vor. Nicht vertreten war im Finale Sprinterkönig Mark Cavendish, der sich nach seinem Rekord-Coup eine kleine Auszeit gönnte.
Die Sprints bei der Tour sind aber offener als in den vergangenen Jahren. Alles scheint möglich. Auch für Bauhaus, der schon im vergangenen Jahr mit drei Podestplätzen überrascht hatte. Zum ganz großen Coup reichte es für den 29 Jahre alten Bocholter aber bislang nicht. Sein deutscher Kollege Pascal Ackermann wurde Neunter.
Cavendish verpasst das Momentum
Cavendish spielte dieses Mal auf Platz 19 keine Rolle. „Ich habe im Finale das Momentum verloren”, sagte der Rekordmann, der am Teambus von seiner Frau und den Kindern empfangen worden war. Am Vortag hatte er mit seinem 35. Tour-Etappensieg Historisches geschafft und Legende Eddy Merckx (34) endgültig hinter sich gelassen. „Die letzte Nacht war etwas sonderbar. Ich war ein bisschen geschockt, aber auch glücklich”, berichtete Cavendish.
Aus der Ferne ließ es sich Merckx nicht nehmen, seinem Nachfolger in den Rekordlisten zu gratulieren. „So ein guter Kerl, der meinen Rekord geschlagen hat”, schrieb der 79-Jährige bei Instagram.
Großer Sieger war in Dijon aber Groenewegen, der seinen sechsten Tour-Etappensieg holte. „Das fühlt sich so gut an und das im niederländischen Meistertrikot. Ich hatte den richtigen Moment. Ich wusste nicht, ob es gereicht hat”, sagte Groenewegen, der einst für neun Monate gesperrt worden war, nachdem er seinen Landsmann Fabio Jakobsen bei der Polen-Rundfahrt in die Barrieren abgedrängt hatte.
Pogacar weiter in Gelb nach Schrecksekunde
Radstar Tadej Pogacar trägt das Gelbe Trikot weiter auf seinen Schultern. Der zweimalige Champion erreichte einen Tag vor dem ersten Zeitfahren mit dem Hauptfeld das Ziel und liegt weiterhin 45 Sekunden vor dem belgischen Zeitfahr-Weltmeister Remco Evenepoel. Titelverteidiger Jonas Vingegaard aus Dänemark weist als Dritter weiter einen Rückstand von 50 Sekunden auf.
Gesprächsthema Nummer eins war aber auch am Donnerstag der Rekordsieg des britischen Sprinters. „Mark Cavendish - der Kannibale”, titelte das Tour-Organ „L'Equipe” in Anlehnung an den Spitznamen von Merckx und schrieb weiter: „Die Verbeugung eines Königs.” Der Brite habe eine Wandlung „vom Hooligan zum Mönch”, vom verhassten Fahrer zum friedlichen Familienvater vollzogen.
Kollegen gratulieren Cavendish
Entsprechend groß war auch die Anerkennung der Fahrerkollegen, die zu Cavendishs Tour-Premiere 2007 noch größtenteils Kinder waren. „Er sagte mir, ich solle ihm den Rekord nicht so schnell wegnehmen. Aber ich glaube nicht, dass ich das schaffe. Das ist ein unglaublicher Sieg”, sagte Pogacar, der am Dienstag auf der schweren Berg-Etappe über den Col de Galibier seinen zwölften Etappensieg gefeiert hatte.
„Wenn es einen gibt, der diesen Rekord verdient, dann ist er es”, sagte Evenepoel, immerhin belgischer Landsmann von Merckx. Auch Wout van Aert war fasziniert. „Ich habe Mark noch am Fernseher verfolgt, als ich noch nicht Profi war. Ich respektiere ihn sehr. Er ist ein großer Champion”, meinte der neunmalige Tour-Etappensieger aus Belgien.
Am Freitag muss Cavendish den Stars der Branche wieder die Bühne überlassen, wenn es im ersten Einzelzeitfahren zum nächsten Kräftemessen kommt. 25,3 Kilometer sind zwischen Nuits-Saint-Georges, wo Marcel Kittel 2017 im Sprint triumphierte, und Gevrey-Chambertin zu bewältigen. Bis auf eine kleine Steigung zur Hälfte der Strecke ist der Kurs komplett flach.