Frau Schüller, in der Vorbereitung auf das zweite WM-Gruppenspiel gegen Kolumbien (Sonntag 11.30 Uhr/ARD) gab es noch mal einen freien Tag. Wo sind Sie am Mittwoch gewesen?
Lea Schüller: Ich war mit einigen unserer Mädels im Reptilien-Park in Gosford, ungefähr die Hälfte der Mannschaft war mit. Ich habe dort ein Krokodil gefüttert – es war ungefähr fünf Meter lang. Er hieß Elvis.
Hatten Sie gar keine Angst?
Schüller: Doch, das war mit viel Adrenalin verbunden. Ich war wirklich so nahe dran, dass einem ganz schön die Pumpe ging. Aber es war ein cooles Erlebnis.
Haben Sie sich freiwillig gemeldet?
Schüller: Tatsächlich hat "Poppi" (Kapitänin Alexandra Popp, die ausgebildete Tierpflegerin ist, Anm. d. Red.) mich gefragt, ob ich das nicht machen möchte.
Sie bekommen ja einiges zu sehen: Gleich am Anfang gab es ein Whale Watching, bei dem Sie auch dabei waren.
Schüller: Das sind ja friedliche Tiere. Wir standen die ganze Zeit auf dem Boot und haben gehofft, dass wir etwas zu sehen bekommen. Wir hatten das Glück, dass wir direkt nach dem Rausfahren einen Wal gesehen haben.
Ist Ihre Partnerin, die österreichische Seglerin Lara Vadlau, eigentlich ein bisschen neidisch, wenn sie hört, was Sie am Rande einer Fußball-Weltmeisterschaft noch erleben?
Schüller: Wir wissen das zu schätzen, was der Deutsche Fußball-Bund (DFB) uns neben dem Training und den Spielen noch ermöglicht. Das ist eigentlich generell im Fußball mit den vielen Auslandsreisen zu internationalen Spielen und Turnieren ein Privileg. Lara war schon mal in Australien: Ich glaube, sie hat 2016 in Melbourne mal den Weltcup gewonnen. Jetzt ist sie gerade in Holland, wo das Wetter auch nicht so gut ist…
Für Lara Vadlau steht jetzt bald auch eine Weltmeisterschaft an. Wie läuft es da?
Schüller: Ihre Weltmeisterschaft dauert nur sechs Tage, die Wettkämpfe gehen vom 12. bis 17. August, jetzt läuft die Vorbereitung. Wenn es gut läuft, kommt sie als Weltmeisterin zum Finale nach Australien – und vielleicht sind wir ja beide danach Weltmeisterinnen! (lacht).
Sie haben mal gesagt, wenn Lara nach zwei Wochen Segeln heimkomme, würde man merken, dass sie auf dem Boot immer den Ton angegeben hat. Dann wird der gemeinsame Urlaub nach der WM aber anstrengend, oder?
Schüller: Sie hat dann erst einmal die Hosen an, um es mal flapsig auszudrücken, aber wir bekommen das schnell wieder hin, dass ich auch wieder was bestimmen darf (lacht erneut).
Sie sind in völlig unterschiedlichen Sportarten in der Weltspitze aktiv. Was kann eigentlich die eine von der anderen lernen?
Schüller: Darüber tauschen wir uns oft aus, und das geht natürlich dann nicht über die sportlichen Fähigkeiten, weil unsere Sportarten zu unterschiedlich sind. Aber ich habe viel von Lara gelernt, noch ehrgeiziger zu sein und einen Willen zu entwickeln, gewinnen zu wollen. Das zeichnet sie als Sportlerin extrem aus. Lara hat von mir gelernt, dass Regeneration auch sehr wichtig ist, gerade bei den vielen Reisen muss man immer auch mal runterfahren.
Wie viele Tage im Jahr sehen Sie beide sich denn, wenn ihr so viel unterwegs seid?
Schüller: Dieses Jahr ist es wirklich extrem. Lara ist locker 200 Tage im Jahr unterwegs, und bei mir sind es grob geschätzt auch 100 Tage. Überschlagen kommen dann 250 Tage zusammen, an denen wir uns nicht sehen. Das ist wirklich viel.
War es eigentlich ein bewusster Schritt, über den FC Bayern im Vereinsmagazin "51" Ihre Beziehung öffentlich zu machen?
Schüller: Nein, gar nicht. Vorher hatte ich bei Instagram ja immer schon Bilder eingestellt. Es war gar kein Thema, das irgendwie bewusst zu steuern. Beim Interview mit Lara wurde ich vom Verein gefragt, und dann haben wir das gemeinsam gemacht.
Warum ist der Frauenfußball beim Thema Homosexualität so viel offener als der Männerfußball?
Schüller: Weil es bei uns innerhalb einer Mannschaft schon mal ganz normal ist! Dass Frauen Frauen lieben, ist in der Bundesliga und im Nationalteam völlig natürlich. Da bringt jeder seinen Partner oder seine Partnerin auch zum Mannschaftsabend mit, und alle verstehen sich untereinander. So wächst man bereits aus der Jugend heraus auf. Bei den Männern mag das ein Taubthema sein, weil sie so sehr in der Öffentlichkeit stehen.
Ist das nicht traurig in der heutigen Zeit?
Schüller: Ich finde es traurig für die Männer, die sich vielleicht sonst anders ausleben würden.
Die Offenheit und die Bodenständigkeit der deutschen Fußballerinnen sind Hauptgründe für die Beliebtheit: Sie spielen beim FC Bayern und machen ein Studium im Wirtschaftsingenieurwesen.
Schüller: Ich weiß noch nicht, was ich nach der Karriere mache; erst einmal ist für mich wichtig, für später ein zweites Standbein zu haben. Mein Studium ist sicherlich anspruchsvoll, deshalb dauert es auch länger (lacht).
Also haben Sie auch Bücher nach Australien mitgenommen?
Schüller: Brauche ich ja zum Glück nicht, weil es ein Fernstudium ist. Da ist alles online, also digital.
Die hohe Affinität zum Sport wird in Australien an den vielen Stadien und Sportstätten in Melbourne und Sydney sichtbar. Sie spielen am Sonntag in einem ziemlich neuen Stadion, das gegen Kolumbien ausverkauft sein wird. Was gibt Ihnen das?
Schüller: Ich finde das überragend. Bei der EM in England hat es ja angefangen, dass die Stadien ausverkauft waren. Es macht einfach mehr Spaß, wie jetzt dann wohl auch in Sydney, vor vollen Rängen zu spielen. Und dass zu Hause noch so viele am Morgen zugeschaut haben, gibt uns ein schönes Gefühl.
Nach dem Auftaktsieg gegen Marokko (6:0) hat Fußball-Deutschland mal wieder von Alexandra Popp geschwärmt. Viel hat aber nicht gefehlt und Sie hätten auch zweimal getroffen.
Schüller: Das stimmt, aber es ist trotzdem etwas anderes: "Poppi‘"hat von Anfang an gespielt und hatte die ersten Tore geschossen, die der Dosenöffner waren. Ich bin dann reingekommen und hätte auch fast zweimal getroffen. Darüber habe ich mich sehr gefreut.
Sie haben kein Problem damit, in der zweiten Reihe zu warten? Sie wurden ja immerhin zur Fußballerin des Jahres 2022 gewählt.
Schüller: Ich finde es sehr wichtig, dass wir als starke Einheit auftreten und uns selbst hintanstellen können, weil das für ein Turnier extrem wichtig ist. Wenn es eine ganze Saison so laufen würde, nur auf der Bank zu sitzen, wäre es natürlich frustrierend, aber hier haben wir das Ziel, sieben Spiele bei einer WM zu absolvieren. Dafür darf kein Neid aufkommen. Wenn "Poppi‘" bei vollen Kräften ist, ist es in Ordnung, wenn ich mich hintanstelle.
Ist es nicht kurios, dass Sie erst durch ihre Corona-Infektion einer Alexandra Popp den Weg in die Startelf der EM geebnet haben? Sie waren gut drauf, hatten im ersten Spiel gegen Dänemark getroffen – und dann kam der positive Test…
Schüller: …ich sehe das ganz anders. Ich bin doch vor der EM erst ins Team gerückt, weil sie lange verletzt war. Ich habe den Job sicher auch gut gemacht, sodass ich bei der EM auch im ersten Spiel den Vorzug bekommen habe. Da wurde "Poppi" in der 60. Minute eingewechselt. Natürlich war es super ärgerlich, dass ich ausgerechnet in England Corona bekommen habe.
Viele sagen, dass Sie bei der WM noch gebraucht werden, weil der Doppelsturm mit Popp und Ihnen bei Rückstand wichtig werden kann. Wie gut gefällt Ihnen diese Variante?
Schüller: Meines Erachtens würde "Poppi" dann ein bisschen zurückhängender spielen, wie es auch schon gegen Sambia und Marokko war. Mir würde das natürlich gefallen, weil ich gerne mit ihr zusammenspiele, weil sie als Stürmerin auch weiß, was ich als Nächstes mache.
Sind Sie eigentlich ähnliche Typen als Stürmerinnen?
Schüller: Ich würde mal sagen, dass wir beide generell sehr sportlich sind, die auch andere Sportarten gut und gerne machen. Ansonsten glaube ich, dass wir uns neben dem Platz eher ähneln als auf dem Platz. Ich kann das so ganz genau nicht beschreiben, aber die Sache mit dem Krokodil: Das hätten nicht so viele gemacht. Aber "Poppi" und ich schon!