Haben wir was verpasst? Wir dachten, dass die Oscars für die weltbesten schauspielerischen Leistungen im Dolby Theatre zu Los Angeles vergeben werden. Es gibt jedoch eine Konkurrenzveranstaltung. Am Donnerstagabend war in der BayArena von Leverkusen mehr als ein Dutzend Spitzen-Schauspieler versammelt, die allesamt einen Oscar verdient hätten. Kate Blanchett, Jodie Foster oder Tom Hanks sind im Vergleich zu den darstellerischen Fähigkeiten der Kicker von AS Roma blutige Laiendarsteller.
Nach der Halbzeit im Halbfinale der Europa League gegen Bayer Leverkusen verzauberten die Fußball-Profis vielleicht nicht das Publikum, aber zumindest ihren Trainer José Mourinho. Nach jeder auch nur angedeuteten Berührung sanken die Römer wie von der Axt gefällt zu Boden, um sich minutenlang in ihrem Schmerz zu winden. Wenige Minuten später liefen sie quietschfidel dem Ball hinterher. Die Wiederauferstehung des Lazarus 4.0. Bis zum nächsten Windstoß. Schiedsrichter Slavko Vincic aus Slowenien sah dem Treiben gebannt und tatenlos zu.
Neymar ist dagegen ein Anfänger
Der brasilianische Superstar Neymar, selbst ein Freund der achtfachen Rolle nach Feindberührung, ist, verglichen mit den Darstellern aus Rom, ein fairer Sportsmann. Wenig Gefallen an den Darbietungen fanden seltsamerweise die Spieler und Fans von Leverkusen. Es war gar nicht mal die destruktive Spielweise der AS Roma beim 0:0 im Halbfinal-Rückspiel der Europa League, die bei Bayer alle verärgerte. Sondern die aufreizende und provokante Art, über Schauspiel-Einlagen bei vermeintlichen Verletzungen Zeit zu schinden. Einmal robbte gar ein Römer zurück ins Spielfeld, damit das Match nur ja nicht weiterlaufen musste. Bravissimo!
Wer dachte, dass der argentinische Trainer Diego Simeone, Weltmeister mit Atlético Madrid im Mauern, Verzögern und Zerstören, der Beste seines Fachs ist, wurde am Donnerstag eines Besseren belehrt. Den Oscar für die weltbeste Regie verdiente sich José Mourinho– der Martin Scorsese des Profi-Fußballs.
Leverkusen schäumt vor Wut
Während der sonst eher ruhige Bayer-Manager Simon Rolfes vor Wut schäumte und die Bayer-Verantwortlichen von "Frechheit" und "Schande" sprachen, stolzierte der Portugiese seelenruhig mit den Händen in den Taschen an der Seitenlinie auf und ab. Dem "Special One" bereitete das vergebliche Anrennen der Leverkusener, die trotz 23:1 Torschüssen das 0:1 aus dem Hinspiel nicht wettmachen konnten, eine diebische Freude.
Sein komplettes schauspielerisches Repertoire offenbarte Mourinho schließlich in der Pressekonferenz. Den tatenlos zuschauenden Schiedsrichter lobte der Portugiese über den Schellenkönig. "Das war ein fast schon episches Spiel gegen einen guten Gegner mit einem tollen Schiedsrichter. Ohne solch einen Schiedsrichter hätte das Spiel chaotisch werden können." Wie wahr. Gott sei Dank verlief im Halbfinale der Europa League alles in geordneten Bahnen. Und obendrein erlebten die Freunde der hohen Schauspielkunst einen unvergesslichen Abend.