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Bielefeld
Tobias Rau und sein Karriereende: "Am Ende habe ich den Fußball nicht mehr geliebt"
Mit 20 Jahren Bundesligaspieler, mit 21 beim FC Bayern, mit 27 Karriereende: Tobias Rau hat einen ungewöhnlichen Weg genommen. Die Liebe zum Fußball ist erkaltet.
Dpa story - Soccer players after the end of their carreers.jpeg       -  Früher Nationalspieler, heute Lehrer für Biologie und Sport: Tobias Rau hat mit nur 27 Jahren seine Karriere beendet, um ein Lehramtsstudium zu beginnen.
Foto: Friso Gentsch, dpa | Früher Nationalspieler, heute Lehrer für Biologie und Sport: Tobias Rau hat mit nur 27 Jahren seine Karriere beendet, um ein Lehramtsstudium zu beginnen.
Florian Eisele
 |  aktualisiert: 11.03.2024 09:21 Uhr

Im Juni 2003 scheint es keine Grenzen zu geben für Tobias Rau. Der 21-Jährige ist Stammspieler – beim VfL Wolfsburg und in der deutschen Nationalmannschaft. Beim Länderspiel gegen Kanada, das passenderweise auch noch in Wolfsburg stattfindet, spielt der Linksverteidiger über 90 Minuten durch, in der Schlussminute trifft er zum 4:1-Endstand. Es ist der perfekte Abschied von seinem alten Verein. Überhaupt wirkt alles perfekt bei Rau. Wenige Wochen später wird er zum großen FC Bayern wechseln. Alles scheint wie am Schnürchen zu laufen, eine große und lange Karriere scheint vorgezeichnet. Es kommt anders: Nur sechs Jahre später wird Rau seine aktive Laufbahn als Profifußballer beenden, mit gerade mal 27 Jahren. Nur Wochen später schreibt sich der ehemalige Fußballprofi für ein Lehramtsstudium an der Uni Bielefeld ein. Wer sich im Januar 2024 mit Rau unterhält, hat den Eindruck: Es scheint die richtige Entscheidung gewesen zu sein.

Beim FC Bayern wurde aus dem Traum von der Bundesliga ein Geschäft

Rau, der heute Biologie und natürlich Sport an der Peter-August-Böckstiegel-Gesamtschule in Werther bei Bielefeld unterrichtet, wirkt in sich ruhend, zufrieden. "Hinter der Entscheidung stehe ich auch heute noch zu 100 Prozent", sagt der heute 42-jährige Studienrat. Damals als Rau der Öffentlichkeit mitgeteilt hat, dass für ihn Schluss sei mit dem Profifußball, "da hat das schon Wellen geschlagen. Es haben nicht alle verstanden, warum ich das nicht mehr wollte." Rau wusste es sehr genau: Einerseits gab es in ihm immer den Traum, Lehrer zu werden. "Und ich wusste: Wenn ich später angefangen hätte, hätte ich mich unwohl gefühlt. Der Altersunterschied zu den anderen Studenten wäre so groß gewesen."

Zudem ist eine andere Liebe in Rau erloschen: die zum Profifußball. Von Kindesbeinen an gab es für ihn nichts Größeres als Fußball. "Profifußballer, das war mein Traumberuf. Ich habe als Kind immer alles gegeben, ich musste mich zu nichts zwingen." Sehr schnell bemerkt Rau aber: Das Kicken mit Freunden hat wenig mit dem zu tun, was in der 1. Bundesliga gefordert ist. Warum ihn die Freude verlassen hat? "Je länger ich in der Branche gearbeitet habe, desto schwieriger wurde es für mich." Rau sagt "Branche" statt "Verein", sagt "arbeiten" statt "spielen". Mit dem Wechsel zum Rekordmeister wurde aus dem Traum von der Bundesliga für ihn ein Beruf. Speziell das Haifischbecken beim FC Bayern scheint nichts zu sein für ihn sein. Seine Mitspieler in dieser Zeit heißen Oliver Kahn, Michael Ballack, Roy Makaay. Internationale Stars. Die wissen nicht nur, wie sie ihre Füße, sondern auch ihre Ellbogen benutzen müssen.

Und Rau? "In dieser Zeit wurde mir immer wieder gesagt, dass ich mal meine Ellbogen benutzen soll. Aber das bin ich nicht, so will ich nicht sein." Der Hoffnungsträger kommt in seinem ersten Jahr nur auf acht Ligaspiele für den FC Bayern. In der Nationalmannschaft spielt er im September 2003 das letzte Mal, danach wird er nie wieder eingeladen. "Wenn man im Profifußball einen gewissen Charakter hat, hat man Vorteile. Aber diesen Charakter wollte ich mir nicht aneignen." 

Seine Mitspieler in München scheinen von schlechter Kritik unbeeindruckt zu sein, vom Druck der Öffentlichkeit, von Schlagzeilen. Rau sagt über diese Zeit: "Ich habe Berichte über mich gelesen, von denen ich sagte: Das bin doch nicht ich." Richtig Fuß fasste er in München nicht, auch wegen vieler Verletzungen. Nach einem weiteren Jahr mit fünf Ligaeinsätzen für die Bayern ist klar: Das war's. Arminia Bielefeld machte ihm ein Angebot, Rau willigt ein. Über die Zeit in München spricht er dennoch nicht mit Ärger: "Letztlich waren die Verletzungen ein großes Problem. Aber ich habe unglaublich tolle Erfahrungen gemacht in dieser Zeit, habe in der Champions League gespielt, bin Meister und Pokalsieger geworden."

Bei der Arminia unterzeichnet Rau einen Vierjahresvertrag, aber auch in Ostwestfalen begleiten ihn seine Verletzungen: Immer wieder reißt ein Muskel, wegen Adduktorenproblemen verpasst er mal eine Vorbereitung. Letztlich werden es nur 37 Spiele in vier Jahren sein. Einen Vertrag hätte er auch nach dem Ende in Bielefeld irgendwo bekommen, vielleicht nicht mehr in der ersten Liga. Sehr gut verdienen kann man aber auch in der zweiten Liga oder im Ausland, aber Rau will im Sommer 2009 nicht mehr. Innerhalb von zwei Wochen fiel die Entscheidung: Lehrsaal statt Fußballplatz. Was für Außenstehende überraschend kam, war es für Rau eben nicht. Rudi Völler, Raus ehemaliger Nationaltrainer, sagte über den mit 29 Jahren zurückgetretenen Marcell Jansen: "Wer so etwas macht, hat den Fußball nie geliebt." Rau stimmt Völler, mit dem er sich über das Thema bereits mehrfach austauschte, in Teilen zu: "Am Ende habe ich den Fußball nicht mehr geliebt."

Tobias Rau über die Zeit beim FC Bayern: "Das bin doch nicht ich"

Was für Rau bleibt, ist die Gewissheit, die richtige Entscheidung getroffen zu haben – eine gewisse Distanz zum Fußballgeschäft besteht auch heute noch. Einige Jahre saß Rau im Aufsichtsrat seines Heimatvereins Eintracht Braunschweig. "Das habe ich aber unterschätzt, auch hier spielt Politik eine zu große Rolle." Aber auch wenn er heute ins Stadion geht, ist die Liebe zum Spiel nicht mehr so da wie früher: "Als Zuschauer bin ich nicht mehr so begeistert, wie es ich mal war. In den letzten Jahren ist immer noch mehr Geld in das System gekommen, der meines Erachtens auch zu mehr Druck geführt hat. Den Spielern wird kaum noch etwas verziehen, früher war mehr Unterstützung da."

Die ultimative Bestätigung für Rau, seine Karriere zum richtigen Zeitpunkt gewählt zu haben, wartet ohnehin bei ihm zu Hause: Mit seiner Frau hat er zwei kleine Söhne. Kennengelernt hat er sie während seines Studiums, sie kennt ihn also nur als Ex-Fußballer. Rau sagt mit einem Lächeln: "Aber ich wäre ohnehin nie an eine typische Spielerfrau geraten." 

 
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