Wenn am Donnerstagabend das Transferfenster schließt, darf Marinko Jurendic erst einmal durchatmen. Tägliche Gespräche fallen weg, Entscheidungen sind getroffen, Verein und Spieler haben bezüglich des Kaders Klarheit. Der Sportdirektor eines Fußball-Bundesligisten hat ganz grundsätzlich selten Phasen der Untätigkeit, der Arbeitsaufwand steigert sich allerdings nochmals gegen Ende einer Wechselfrist. "Es ist einiges los", sagt Jurendic, der Sportdirektor des FC Augsburg. Sieben Profis hat der Erstligist abgegeben, einen Spieler verpflichtet. Der Fokus lag folglich darauf, den Kader zu verkleinern und anzupassen. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass nicht jeder Spieler die Erwartungen erfüllte. Dass Geld für Profis ausgegeben wurde, sich die Investition bislang allerdings weder finanziell noch sportlich gelohnt hat.
Um die Trefferzahl bei den Transfers zu erhöhen, greifen die Klubs auf riesige Datensätze zurück. Vor allem beim Kauf von Spielern sollen Zahlen finanzielle Verluste verhindern und hochpreisige Weiterverkäufe garantieren. "Daten können extrem helfen, um den Wert eines Spielers genauer zu bestimmen", sagte Pascal Bauer, Mathematiker und Fußball-Datenanalyst für die deutsche Nationalmannschaft, bereits vor Jahren. Nicht nur Entscheidungen über Spieler werden von Daten beeinflusst, auch Trainer werden danach beurteilt. So soll der FC Liverpool einst auf einen Spezialisten vertraut haben, um Jürgen Klopp zu verpflichten. Ian Graham, der Datenexperte der Reds, hatte bescheinigt, dass die Dortmunder auch in der letzten, schwächeren Saison unter Klopp viele Torchancen verbuchten. Diese aber nicht nutzten. Wenn man es so bezeichnen möchte, log die Tabelle aus Grahams Sicht.
Videoanalysten eilen in der Halbzeit in die Kabine und zeigen Videos
Ein Befürworter von Zahlen und Fakten ist auch der ehemalige FCA-Trainer Manuel Baum. Diese erhöhten die Wahrscheinlichkeit, effektiver zu trainieren, Spiele zu gewinnen, Spieler besser zu scouten und zu entwickeln. Big-Data-Studien zeigen, dass bestimmte Räume den Ausgang eines Spiels stark beeinflussen. Wer die dreißig Meter vor dem Tor – Trainer sprechen gerne vom "letzten Drittel" – und die Strafräume kontrolliert, erhöht seine Siegchancen.
Generell stehen den Bundesligisten eine Flut an Daten zur Verfügung. Die Profis tragen Tops mit GPS-Sendern und Mikrochips, alle ihre Bewegungen werden aufgezeichnet und ausgewertet. Auf den Tribünen sitzen Videoanalysten, die mit dem Co-Trainer auf der Bank via Mikro verbunden sind, in der Halbzeit eilen sie in die Kabine, um den Kickern Szenen zu zeigen. Den Trainern helfen die Bilder, um ihre Spieler anzuweisen. Den Sportdirektoren und Managern, um die Qualität eines Spielers zu beurteilen. Seit Jurendic, 46, beim FCA für die sportlichen Belange verantwortlich ist, wird bedeutend analytischer gearbeitet. Auch in der Transferpolitik. Daten seien ganz unterschiedlich zu verwenden, meint Jurendic, seit einigen Monaten würden sie aber verstärkt ins Scouting einfließen. "Für uns sind Daten ein Element bei der Spielerverpflichtung, weil sie einiges im Voraus erleichtern."
Wie viele Tore ein Stürmer erzielt, wie viele Pässe ein Mittelfeldspieler zum Kollegen bringt und wie viele Zweikämpfe ein Abwehrspieler gewinnt – einfache Parameter. Daten verraten aber auch, wie sich ein Spieler auf dem Platz verhält: Ob er einen Mitspieler unterstützt, Vorgaben erfüllt oder Positionen hält. Pro Sekunde können bis zu 1000 Datenpunkte erfasst werden. Verstärkt wird in diese Vorgänge auch künstliche Intelligenz eingebunden.
Warum Baseball nicht vollumfänglich auf den Fußball übertragen werden kann
Vorreiter war einst die US-amerikanische Major League Baseball, in der extrem viele Klubs nur auf Grundlage von Daten Spieler verpflichten. Im auf wahren Begebenheiten beruhenden Film "Moneyball" ändert ein Baseball-Manager, gespielt von Brad Pitt, wegen zu geringen Budgets seine Transferpolitik. Er verpflichtete auf der Basis von Computerdaten unbekannte oder ausgemusterte Spieler – und hatte riesigen Erfolg. Auf den Fußball lässt sich diese Herangehensweise allerdings nicht vollumfänglich projizieren. Die Sportart ist wesentlich komplexer als die stetige Wiederholung von Werfen, Schlagen und Fangen. Studien belegen: Rund 40 Prozent der Tore entstehen zufällig.
Vorteil der Daten ist die messbare Objektivität, die der emotional beeinflussten Wahrnehmung gegenübersteht. Andererseits arbeiten die Trainer weiterhin mit Menschen, nicht mit Maschinen. Entscheidend sind also auch weiche Faktoren. Fühlt sich der Spieler im Klub wohl? Kommt er mit seinen Mitspielern klar? Wie ist sein mentaler Zustand? Wie läuft es privat oder familiär? Ein Kriterium ist auch, welchen Spielertypen ein Klub sucht. Ob ein Profi ein Führungsspieler oder eher ein Mitläufer ist, verraten die Daten nicht.
Jurendic betont, er würde nie einen Spieler allein wegen seiner herausragenden Statistik nach Augsburg lotsen. Neben Objektivität entscheide Subjektivität. "Ich will beides integrieren", sagt er. Der FCA stehe für bestimmte Werte, für Mentalität und eine DNA. Entsprechende Eigenschaften müssten die Spieler mitbringen. "Am Ende geht es bei einem Transfer auch um Gefühl und Charakter", so Jurendic.