
Wer es gemütlich haben will, reist gerade nicht nach Reykjavik. Und wer keine Kleidung gegen Regen, Wind und Kälte im Gepäck hat, ist ohnehin nicht gewappnet. Glücklicherweise hat die deutsche Frauen-Nationalelf vorübergehend Horst Hrubesch als sturmerprobten Steuermann an der Trainerbank gewonnen, der sich schon mal knietief ins eiskalte Wasser eines Fjordes stellt, um seiner Leidenschaft beim Fliegenfischen zu frönen.
Die Aufgabe im dritten Nations-League-Gruppenspiel gegen Island (Dienstag 20 Uhr/zdfsport.de) auf der aktuell recht frostigen Nordmeerinsel verlangt von seinen Fußballerinnen einiges an Widerstandskraft ab. Der Interimscoach erwartet dennoch nicht weniger als einen deutlichen Sieg: Das Hinspiel in Bochum (4:0) gilt für den 72-Jährigen als Gradmesser, der im zugigen Stadion Laugardalsvöllur „Tore, Tore, Tore“ fordert, um sich den Traum von der Olympia-Teilnahme nächsten Sommer zu erhalten.
Die Tipps des Retters haben sich kaum verändert
Eine Torjägerin wie Lea Schüller kommt da wie gerufen, die sich gegen Wales (5:1) für die verletzte Alexandra Popp zur auffälligsten Figur aufschwang. Es schien, als habe da jemand sehr von den Tipps des nach fünf Jahren zurückgekehrten Retters profitiert, wobei die Doppeltorschützin von Sinsheim verriet, dass sich die Ansagen seit 2018 gar nicht groß verändert hätten. „Es ist vieles gleich. Aber es nervt nicht, es tut gut.“
Die mit vielseitigen Anlagen gesegnete Angreiferin befolgte bloß den Hrubesch-Rat, bei Flanken auf der ballfernen Seite zu bleiben, um dann mit Anlauf einzunicken. War das nicht die Masche, mit der sich Hrubesch einst als „Kopfball-Ungeheuer“ verdingte? Solche Quervergleiche will das HSV-Idol gar nicht ziehen: Er sieht schlicht noch zu viel Potenzial bei der 25-Jährigen. „Bei Lea wissen wir, dass sie es kann. Da geht eigentlich noch viel, viel mehr.“ Deshalb gibt er ihr mit: „Sie weiß, dass ich kritisch bin.“
Mittelstürmerin des FC Bayern genießt in der Öffentlichkeit (zu) wenig Wertschätzung
Die mit der österreichischen Weltklasseseglerin Lara Vadlau liierte Fußballerin sagte erst kürzlich, dass ihre Lebensgefährten für sie ein Beispiel sei: „Ich habe viel von Lara gelernt, noch ehrgeiziger zu sein und einen Willen zu entwickeln, gewinnen zu wollen.“ Trotzdem merkwürdig, warum die Mittelstürmerin vom FC Bayern nicht mehr Wertschätzung genießt, wo sie in 53 Länderspielen doch immerhin 35 Treffer erzielte.
Als sie zur EM 2022 in England in Topform antrat, im ersten Gruppenspiel gegen Dänemark (4:0) gleich ein (Kopfball-)Tor erzielte, stürzte sich die Öffentlichkeit dennoch gleich wieder auf Konkurrentin Popp, weil die Kapitänin nach langer Verletzungspause als Einwechselspielerin traf. Wie es das Schicksal wollte, erkrankte Schüller danach an Corona und spielte im weiteren Turnierlauf bis zum Finale sportlich keine Rolle mehr.
Bei der WM in Australien war Popp gesetzt, Schüller nur Backup – erst im letzten Gruppenspiel gegen Südkorea (1:1) stellte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg beide in die Startelf. Eine Variante, die auch Hrubesch ohne den Ausfall von Deutschlands Fußballerin des Jahres kopiert hätte. Er möchte die Qualitäten Schüllers auf keinen Fall missen.
Hrubesch brachte Schüller und wurde dafür vierfach belohnt
Als der Mann am 7. April 2018 erstmals ein Frauen-Länderspiel verantwortete, war es eben das hoffnungsvolle Sturmtalent von der SGS Essen, das gleich mal einen Viererpack gegen Tschechien (4:0) schnürte. Schüller schien damals in Halle von sich selbst verblüfft: „Ich weiß nicht, was ich sagen soll und was mit mir los war.“
In München heißt es inzwischen, dass es „schüllert“, wenn ihr Tore glücken. Seit dieser Saison zählt auf dem Bayern-Campus die aktuell verletzte dänische Topstürmerin Pernille Harder zu ihren Konkurrentinnen, die vielleicht zum entscheidenden Spiel gegen Deutschland am 1. Dezember in Rostock fit werden könnte. Vorerst aber muss Schüller an einer anderen Vereinskollegin vorbei: Die isländische Abwehrchefin Glodis Viggosdottir trägt sogar die Kapitänsbinde, die die deutsche Nationalspielerin Lina Magull nicht mehr wollte.