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Fußball
Ein launiger Beginn zum Start der Exzesse: Wie die Werbung aufs Trikot kam
Vor 50 Jahren lief erstmals ein Bundesliga-Klub mit Brustwerbung auf. Heute ist der Markt komplett entfesselt – die Braunschweiger Jägermeister-Episode eben nur eine Episode.
Tilmann Mehl
 |  aktualisiert: 11.03.2024 12:43 Uhr

Es gibt ein beruhigendes Gefühl, Entwicklungen mit einem bestimmten Datum verbinden zu können. Weil der strukturierte Mensch gerne das Leben in Episoden einteilt. Netflix profitiert davon ungemein. Unzählige Serien mit noch unzähligeren Staffeln stehen zur Verfügung, um ereignisarmen Abenden Struktur zu verleihen. Selbst das Leben an sich ist markiert durch einen klar zu benennenden Anfang und das durch die Geburt schon feststehende Ende. Dazwischen Episoden. Das Davor und danach bleibt im Vagen, die Weltreligionen machen sich um Deutungsvarianten verdient. Selbstverständlich aber hat der Ursprung des menschlichen Lebens seinen Beginn schon weit vor der Geburt. Meistens rund 40 Wochen. An den genauen Ablauf der Zeugung aber erinnern sich weit weniger als an die Stunden im Kreißsaal.

Im Fußball werden Anfang und Beginn des Spiels durch einen Pfiff markiert. Die Saison ist eine Staffel, die Spieltage einzelne Folgen. Für einige Fans ist der Verein Lebensinhalt. Die Klubs allerdings tragen die Erbsünde in sich. Sie haben die Unschuld aus Sicht zahlreicher Anhängerinnen und Anhänger mit der Kommerzialisierung des Sports verloren. Demarkationspunkt: der 24. März 1973. An jenem Tag vor 50 Jahren lief erstmals ein Bundesligist mit einem Trikotsponsor auf. Wenngleich der findige Geschäftsmann Günter Mast einige Umwege dafür gehen musste. Damit die von ihm finanziell geförderten Braunschweiger das Jägermeister-Logo auf der Brust tragen durften, war erst ein Mitglieder-Beschluss notwendig. 

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Dabei ging es allerdings nicht darum, ob man den Verein der um sich greifenden Marktwirtschaft öffnen sollte. Das wollten fast alle. Die Mitglieder stimmten darüber ab, ob man dem Braunschweiger Vereinslogo auf die Schnelle eine nicht unmaßgebliche Transformation zuteilwerden lassen könnte. Jägermeister-Hirsch statt Löwen. Weil Trikotwerbung verboten war, nicht aber das Abbilden des Vereinswappens. 145 Mitglieder stimmten zu. Sieben lehnten ab. In Zeiten als der Fußball noch rein zu sein schien – wenngleich der Bundesliga-Skandal zwei Jahre zuvor auch schon ein anderes Bild gezeichnet hatte. Ein Startdatum zu haben, aber bringt eben Sicherheit.

Wo sich heute Fans als Bewahrer der Fußballkultur sehen und Vereine wie das reine Marketing-Instrument RB Leipzig ablehnen, war man zumindest in Braunschweig vor 50 Jahren liberaler. Also zierte über 14 Jahre hinweg ein Hirsch die Braunschweiger Brust. Dem DFB fehlte es an der Handhabe. Jägermeister-Boss Mastüberwies anfangs 100.000 Mark pro Saison an den Klub, später spendierte er dem Verein Paul Breitner, verpflichtete den Weltstar von Real Madrid. Den Deutschen Fußball-Bund aber ärgerte am meisten, dass nun der reine Sport durch wirtschaftliche Interessen beschmutzt wurde. Dabei war Bandenwerbung schon viel früher erlaubt. Der DFB und die Moral. Später störte sich der Verband an der Kondom-Werbung, mit der die Spieler des FC Homburg 1988 aufliefen. Ehe das Landgericht den DFB in die Schranken wies, mussten die Homburger den Schriftzug zeitweise mit einem schwarzen Balken bedecken. Dabei lief die "Gib Aids keine Chance"-Kampagne bereits seit 1986.

An Hochprozentigem wie Jägermeister oder Jahrzehnte später einem Whiskey auf dem Trikot des FC St. Pauli störten sich die Funktionäre nicht. Saufen gehört zum Kulturgut. Mittlerweile darf nur noch für Getränke geworben werden, die weniger als 15 Prozent Alkohol enthalten. Außerdem darf die Werbung "nicht gegen die allgemein im Sport gültigen Grundsätze von Ethik und Moral, die gesetzlichen Bestimmungen oder die guten Sitten verstoßen". Was Ethik und Moral ist, definiert der DFB. Selbstverständlich aber ist nicht nur in Deutschland die zu bewerbende Brust ein Thema. In Spanien beispielsweise hielt der FC Barcelonaüber Jahrzehnte hinweg sein Trikot rein von der Kommerzialisierung. Dann warb man kostenlos für das Kinderhilfswerk Unicef. Anschließend sahen sich auch die stolzen Katalanen gezwungen, sich den Regeln des Marktes anzupassen – und ließen die Qatar Foundation auf der Brust werben. Ein Tabubruch für einen Verein, der für sich in Anspruch nimmt, mehr als ein Klub zu sein. Die Fans haben sich daran gewöhnt.

Sie haben es auch hingenommen, dass das Waldstadion mittlerweile Deutsche Bank Park heißt und dass Neymar für 222 Millionen Euro von Barcelona nach Paris wechselte. Dass die englischen Klubs den deutschen einteilt sind, weil die TV-Anstalten Milliarden-Beträge überweisen. Achselzuckend wird hingenommen, dass ein – wieder mal – katarisches Konsortium einen Weltrekordbetrag für einen Fußball-Verein geboten haben soll. Die Glazer-Familie plant Manchester United zu verkaufen und würde gerne 5,6 Milliarden Euro damit erlösen. Es wäre das teuerste Geschäft der Sportgeschichte. Die Empörung ist kaum zu hören. Anders als damals, als ein Kräuterlikör-Mann 100.000 Mark für Trikotwerbung ausgab. Die Geburtsstunde der Kommerzialisierung. Möglicherweise ist ihr eine Besonderheit beschieden: Es gibt kein Ende.

 
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