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Köln
Die Lehre aus der Pleite gegen Belgien: Ein Hoch auf die Spezialisten
Das deutsche Spiel gegen Belgien bekam mit der Einwechslung von Emre Can eine neue Richtung. Der Dortmunder zeigte, dass Fußball manchmal einfacher ist als gedacht.
Deutschland - Belgien.jpeg       -  Energisch und zweikampfstark: Mit der Einwechslung von Emre Can änderte sich die Spielweise der deutschen Mannschaft schlagartig.
Foto: Rolf Vennenbernd, dpa | Energisch und zweikampfstark: Mit der Einwechslung von Emre Can änderte sich die Spielweise der deutschen Mannschaft schlagartig.
Tilmann Mehl
 |  aktualisiert: 11.03.2024 12:38 Uhr

Natürlich ließen sich die Gegentore auch der recht eigenwilligen Einladungspolitik von Hansi Flick zuschreiben. Schließlich spielten drei Viertel der Abwehrkette in der Vergangenheit keine oder nur eine untergeordnete Rolle in den Planungen des Bundestrainers. Es war also kaum zu erwarten, dass Marius Wolf, Thilo Kehrer und Matthias Ginter sich der famosen belgischen Offensive gänzlich fehlerfrei entgegenstemmen würden. Auf der anderen Seite patzte aber in David Raum auch Nummer vier der Kette und die Vorgänger-Versionen der deutschen Defensive hatten nicht den Eindruck hinterlassen, unersetzlich zu sein.

Zu einem nicht ganz unmaßgeblichen Teil waren es ja die kindischen Stellungsfehler von Niklas Süle und Nico Schlotterbeck während der Weltmeisterschaft, die für den frühzeitigen Abflug aus Katar verantwortlich waren. Schlotterbeck fehlte nun verletzt gegen Belgien und auf Süle sowie Abwehrchef Antonio Rüdiger verzichtete Hansi Flick aus Gründen, die eher im Vagen zu verorten sind. Man wolle anderen, jüngeren, Spielern die Möglichkeiten geben, sich zu entfalten. Kehrer ist 26 Jahre alt, Ginter ein 29-jähriger dreimaliger WM-Teilnehmer. Als jugendliche Talente sind sie trotz einer immer älter werdenden Gesellschaft nicht mehr zu zählen.

Deutschland gegen Belgien: Kimmich und Goretzka enttäuschten in der Zentrale

Flick verzichtete in den ersten beiden Spielen nach der Weltmeisterschaft darauf, eine zukunftsfähige Abwehr zu konzipieren. Das allerdings war nur einer der Gründe für die desaströse erste Hälfte der deutschen Mannschaft. Dass sie lediglich mit 0:2 zurücklagen, lag an der laxen Chancenverwertung der Belgier. Gleichwohl ist es nicht ausschließlich der letzten Reihe anzulasten, dass die Belgier immer und immer wieder schleunig auf sie zugerannt kamen. Leon Goretzka und Joshua Kimmich vermochten es nicht einmal im Ansatz, den zentralen Teil des Spielfeldes abzudichten. Als "viel zu passiv" bezeichnete Flick die Leistung seiner gesamten Mannschaft. Es müsse "einmalig bleiben, dass wir solche 25 Minuten gesehen haben".

Überraschender- und auch erfreulicherweise änderte sich das Spielgeschehen durch eine simple Umstellung. Flick brachte nach einer halben Stunde Emre Can für den angeschlagenen Leon Goretzka. Angenehm zu sehen, dass auch in Zeiten von abkippenden Deckungsschatten in den überlagerten Schnittstellen Einsatzwille und robuste Zweikampfführung maßgeblichen Anteil auf den Spielverlauf haben. Interessant auch, dass es dem deutschen Team bis zur Einwechslung Cans genau daran gefehlt hatte, schließlich hatte man doch nach der WM eine neue Lust an energischer Defensivarbeit ausgerufen.

Can nun kann sich als großer Gewinner der Partien gegen Peru und Belgien fühlen. In beiden Spielen agierten die Deutschen besser, wenn er auf dem Platz stand. Flick lobte dementsprechend den 29-Jährigen, auf den er bei der Weltmeisterschaft noch aus guten Gründen verzichtet hatte. Im vergangenen Jahr hing Can erheblich durch, der Dortmunder Aufschwung nach der Winterpause hängt maßgeblich mit der Leistungssteigerung des Mittelfeldspielers zusammen. Seine nun nicht gerade auf Mehrdimensionalität beruhende Spielweise erinnert an Gennaro Gattuso oder Mark van Bommel. Flick nannte ihn nach dem Spiel "aggressiven Leader". 

Möglicherweise ist das auch eine der "vielen Erkenntnisse", die Flick aus den beiden Spielen gezogen haben wird. Dass diese mit derart vielen Offensivbegabten ausgestattete Mannschaft eine natürliche Rücktrittbremse benötigt. Bisher beruhte die Hoffnung Flicks darauf, dass ein zentrales Mittelfeld, das sich – in welcher Konstellation auch immer – aus Kimmich, Goretzka und Ilkay Gündogan bildet, mit Spielintelligenz und Geschick die defensiven Aufgaben löst. Das 2:3 gegen Belgien dient als Gegenargument dafür. In der Offensive wird es der Mannschaft nur in den seltensten Fällen an Einfällen, Geschwindigkeit oder Torgefahr fehlen. Jamal Musiala, der diesmal enttäuschende Florian Wirtz, Leroy Sané, Serge Gnabry, Niclas Füllkrug, möglicherweise auch noch Thomas Müller, Timo Werner, Karim Adeyemi oder Marco Reus– es herrscht kein Mangel im Angriff. 

Nicht überall werden Generalisten benötigt – das gilt auch für den Fußball

Hansi Flick und auch der in Köln wegen einer Nierenkolik fehlende Rudi Völler hatten zum Neustart auf die alten Briegelschwarzenbeckbuchwald-Tugenden verwiesen, die es nun wieder vermehrt in den Vordergrund zu stellen gelte. Das ließe sich durch Taten unterstützen. Als die Deutschen letztmalig Weltmeister wurden, bildeten während des Turniers mindestens drei Innenverteidiger einen Großteil der Viererkette. Abwehrspieler in der Abwehr, Offensivspieler in der Offensive. Die Zeit der Generalisten brach erst hernach an. Der Fußball aber ist wie die Mode. Alles kommt immer wieder. So wie Emre Can.

 
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