Es gibt Menschen, die stehen lange im Schatten anderer. Und dann schlägt, unter ganz anderen Umständen, ihre Stunde. Der Fußballtrainer Daniele De Rossi ist so ein Fall. Als Spieler beim italienischen Erstligisten AS Rom stand De Rossi lange im Schatten des Superstars Francesco Totti, Beiname il capitano. De Rossi, sieben Jahre Jünger als das Idol der Stadt, hieß bei den Tifosi capitan futuro, also zukünftiger Kapitän. Später emanzipierte sich der in Ostia vor den Toren der Ewigen Stadt geborene Fußballer von Totti, der Überfigur des AS Rom als grandioser, charismatischer Abräumer vor der Abwehr und Mannschaftskapitän.
Dass Totti, mit Italien Weltmeister von 2006, nach seiner aktiven Karriere einmal Trainer werden würde, glaubte nicht einmal er selbst. Totti war ein Genie am Ball, ein sympathisches Schlitzohr im wirklichen Leben, aber zu schmiegsam, um eine Gruppe von Profifußballern zu führen. In dieser Hinsicht ist De Rossi, ebenfalls 2006 Weltmeister, nun ganz aus dem Schatten Tottis getreten. Seit Januar ist er der überaus erfolgreiche Trainer seiner Herzensmannschaft, des AS Rom, der an diesem Donnerstag den deutschen Meister Bayer Leverkusen im Halbfinal-Hinspiel der Europa League empfängt (21 Uhr, RTL).
Im Januar übernahm Daniele De Rossi das Traineramt beim AS Rom
Bandiera (Fahne, Symbol) nennt man auf Italienisch Spieler, die ihre gesamte Karriere lang einem Verein treu bleiben. Totti und De Rossi waren ihr Spielerleben lang dem AS Rom treu ergeben. De Rossi schlug am Ende Angebote anderer Serie-A-Vereine aus und wechselte, als halber Sportinvalide, noch kurz zu den Boca Juniors in Buenos Aires. Als Co-Trainer begleitete er dann die italienische Nationalelf bei ihrem Triumph bei der EM 2021 und coachte anschließend als Chef 17 Spiele lang den Zweitligisten Spal Ferrara. Das ist kein atemberaubender Trainer-Lebenslauf. Aber als bei der Roma im Januar Not am Mann war, fiel die Wahl auf De Rossi.
Der von den heißblütigen Tifosi geliebte José Mourinho war nach zweieinhalb Jahren wegen Erfolglosigkeit entlassen worden. Wie aber einen Mann ersetzen, für den die Fans mehr übrig hatten als für ihre Spieler? Mit einer bandiera, dem Leitwolf De Rossi und nicht Totti. De Rossi führte das Team aus dem Mittelfeld der Tabelle bis auf Platz fünf und ins Halbfinale der Europa League. Selbst wenn die Roma nun gegen den Deutschen Meister ausscheiden sollte: Die halbe Stadt liegt dem capitan futuro derzeit zu Füßen.