
Gefühlt zwei Jahre Depression in Mönchengladbach, was ist da eigentlich passiert?
Während der Trainer Marco Rose anfangs noch so etwas wie Hoffnung und Aufbruch initiiert hatte, bevor das stark nachließ, kennzeichnete Gladbach unter den Trainern Adi Hütter und Daniel Farke vor allem dies: Orientierungslosigkeit, keine abgestimmte Trainer-Spieleridee und auch viel Freudlosigkeit. Mit dem Abgang des einstigen Erfolgsgaranten Max Eberl als Sportmanager schien Gladbach seine Identität verloren zu haben. Und niemand war stark genug, dem gewachsenen Gesamtapparat Halt zu geben. Farke redete zuletzt alle schwindelig, ohne etwas zu sagen. Sport-Geschäftsführer Roland Virkus kämpft fortwährend um sein wackliges Standing als Taktgeber eines Erstliga-Traditionsclubs. Und Präsident Rolf Königs ist als inzwischen 81-Jähriger allenfalls damit beschäftigt, das Ganze als Repräsentant guter Zeit irgendwie zusammenzuhalten.
Wie hat Sport-Geschäftsführer Roland Virkus den Kader verändert?
Marcus Thuram (zu Inter Mailand), Jonas Hofmann (Bayer Leverkusen), Lars Stindl (Karlsruher SC) und Ramy Bensebaini (Borussia Dortmund) hatten von den 52 Gladbacher Toren 39 erzielt. Das sind 75 Prozent des Bestands, die gegangen sind. Und der fünftbeste Torschütze der Vorsaison, Nico Elvedi als Innenverteidiger wohlgemerkt, soll auch noch gehen. Viele in Mönchengladbach forderten einen Umbruch im festgefahrenen Kader, der ist jetzt aber mal so richtig da, halb geplant, halb erzwungen. Zuletzt: Das Umfeld um die Mannschaft ist runderneuert, mit Nils Schmadtke ist auch ein neuer Sportdirektor gekommen, der Virkus entlasten soll. Jetzt gibt’s den Umbruch.
Also alles richtiggemacht?
Nein. Denn die vielen ablösefreien Abgänge der vergangenen zwei Jahre – unter anderem Ginter, Thuram und Bensebaini– weisen kein Management mit Weitblick nach. Irgendetwas zwischen schlecht verhandelt und schlecht geplant. Und manches schien auch eher zufällig: Jonas Hofmann etwa war für die kommende Saison als Kapitän und Fixpunkt geplant, zog aber mit gezogener Klausel aus dem Vertrag ausgerechnet gen Leverkusen weiter. Beim rheinischen Nachbarn arbeiten mit ihm und Xhaka jetzt zwei Gladbacher Sehnsuchtsspieler – das tut der Fanseele weh. Aber: Nichts heilt so schnell wie neue Erfolge. Schwierig wird es auf der defensiven Außenposition, weil der österreichische Nationalspieler Stefan Lainer gerade an Krebs erkrankt ist und nicht ersetzt werden soll.
Was macht Hoffnung?
Den Turnaround von Depression auf Hoffnung haben sie am Niederrhein ganz aktuell gut geschafft. Weil Team und Trainer jetzt offenbar eine neue Struktur erarbeiten, die erste Früchte trägt. Freilich mit vielen Spielern, die noch immer eine Wundertüte sind: Das kann gut funktionieren, genauso aber auch in die Hose gehen. Der Franzose Franck Honorat als Hofmann-Nachfolger ist für acht Millionen Euro aus Brest gekommen und spielt eine wirklich starke Vorbereitung, wollte zudem immer nach Gladbach. Mit dem Tschechen Tomas Cvancara kam ein echter Stoßstürmer, der Kultpotenzial hat und zuletzt beim klaren Sieg gegen Stuttgart begeisterte. Dazu kommen einige junge Spieler, die viel Potenzial mitbringen. Klar ist aber auch: Sollte es schlechter laufen, muss die neue Struktur auch eine Krise tragen können, das steht auf dem Prüfstand. Zumal das Auftaktprogramm extrem schwierig ist, da drohen wenig Punkte und eine Geduldsprobe zu Beginn.
Wie kommt der neue Trainer Gerardo Seoane an?
Mit Gerardo Seoane ist ein Schweizer Trainer da, der bislang alle beeindruckt. Kommt als Erster, geht als Letzter, stellt die Fähnchen selbst auf den Trainingsplatz, das hat es lange nicht mehr gegeben. Ohne einen starken und fordernden Trainer wird in Gladbach gerade niemand mehr glücklich. Leverkusen war unter Seoane einmal Bundesliga-Dritter und hat den Trainer in der nachfolgenden Saison etwas verheizt, als der Kader ohne jede personelle Auffrischung auskommen sollte. Dann musste der Coach gehen. Seoane setzt auf eine Mischung aus hohem Pressing und längeren Ballbesitzphasen, der Rhythmus soll variieren. Aber: Nach Ballgewinn soll der erste Blick nach vorne gehen. "Wir müssen viel schneller in die Offensive kommen und die Tiefe suchen, das Umschalten ist ein sehr wichtiger Teil in unserer Vorbereitung." Tatsächlich lag hier Gladbachs größte Schwäche: Das Team spielte viel zu langsam und zu wenig laufintensiv, war so trotz aller individueller Klasse nur noch bedingt konkurrenzfähig auf höchstem Niveau.