Hallo Herr Zimmermann, am 29. Juni startet die Tour in Florenz. Wie fühlen Sie sich kurz vor der ersten Etappe?
Georg Zimmermann: Ich fühle mich sehr gut. Ich denke, ich bin bisher eine gute Saison gefahren, bin sehr zufrieden damit und freue mich jetzt auf die Tour.
Sie sagen, es war bisher eine gute Saison. Bisher konnten Sie aber kein Ausrufezeichen wie 2023 setzen, als sie beim Criterium Dauphine ihre erste WorldTour-Etappe gewinnen konnten.
Zimmermann: Das sehe ich ein bisschen anders. Ich bin beim Cadel Evans Great Ocean Road Race in Australien Dritter geworden.
Das war aber Ende Januar ...
Zimmermann: Das stimmt, aber das ist trotzdem in diesem Jahr.
Wie definieren Sie eine gute Saison?
Zimmermann: Schon über diesen dritten Platz, aber auch über die Dauphine. Sie ist der letzte harte Wettkampf, bei dem man sich die Rennhärte für die Tour holt. Das haben wir gut gemacht. Wir haben als Team gut zusammengearbeitet, hatten auch Erfolge. Hugo Page wurde auf der ersten Etappe Dritter, Louis Meintjes war am Ende als 14. unter den Top-15 der Gesamtwertung. Es war ein echt guter Spirit in der Mannschaft. Das war eine erfolgreiche Woche.
Warum konnten Sie sich dieses Mal nicht so ins Rampenlicht setzen?
Zimmermann: Da muss einfach alles zusammenpassen, was heuer nicht so der Fall war. Aber trotzdem bin ich sehr zufrieden mit meiner Leistung.
Was erwarten Sie von der Tour de France 2024?
Zimmermann: Es ist jetzt meine vierte Tour in Folge, aber es wird nie Business as usual für mich. Ich freue mich darauf, aber jedes Jahr werden die Anforderungen noch höher. Letztes Jahr war sie schon fordernd und diesmal hat man noch ne Schippe draufgelegt. Es sind 53.000 Höhenmeter zu bewältigen. Das wird eine knallharte Tour.
Intermarche-Sportdirektor Aike Visbeek hat erklärt, dass Ihr Team auf Etappenjagd gehen will. Darum sind unter anderem mit Biniam Girmay und Gerben Thijssen zwei Sprinter aufgeboten. Sie und der südafrikanische Kletterspezialist Meintjes sind für die schwereren Tage vorgesehen. Was bedeutet das für Sie?
Zimmermann: Dass wir als Team unseren Sprintern zuarbeiten müssen, aber uns auch nicht zu sehr auf die Sprintetappen versteifen sollten. Für mich werden vor allem die Bergetappen relevant sein, wenn wir ins Hochgebirge fahren, in die Pyrenäen und in die Alpen. Da werde ich gefordert sein, meine Leistung abzurufen.
Im vergangenen Jahr fuhren sie auf der zehnten Etappe auf Platz zwei. Geht es vielleicht noch einen Platz besser?
Zimmermann: Das ist der Plan. (lacht)
Wann fällt bei Ihnen auf einer Etappe die Entscheidung, heute versuche ich es?
Zimmermann: Man kann sich schon im Vorfeld die Etappenprofile anschauen, welche Topografie passt zu mir. Aber am Ende kommt es meist anders, als man denkt, und jeder Plan wird siebenmal über den Haufen geworfen. Da muss man einfach flexibel bleiben.
Man hat den Eindruck, dass es bei der Tour langsam eine Zwei-Klassen-Gesellschaft gibt. Da die großen Teams wie UAE, Visma-Lease a Bike und jetzt noch Redbull-Bora-hansgrohe. Dahinter dürfen sich dann die anderen die Brotkrumen teilen?
Zimmermann: Das ist doch nichts Neues. Aber ich sehe es etwas anders. Zu Zeiten, als Chris Froome gewonnen hat (2015 bis 2017), war es deutlich langweiliger. Letztes Jahr war es ja ein wirklich offener Schlagabtausch zwischen Sieger Jonas Vingegaard (Visma) und Tadej Pogacar (UAE). Bis in die letzte Woche wusste man nicht, wer die Oberhand behält. Für mich ist die Tour attraktiver geworden.
Titelverteidiger Jonas Vingegaard wird nach seinem brutalen Sturz bei der Baskenrundfahrt im April trotzdem bei der Tour an den Start gehen. Hat Sie das überrascht?
Zimmermann: Nicht wirklich. Er war ja schon länger mit der Mannschaft im Trainingslager. In welcher Form er aber ist, das muss man abwarten.
Wer sind ihre Favoriten auf den Tour-Sieg?
Zimmermann: Mein Favorit ist Tadej Pogacar. Sein Giro-Sieg war eine richtige Machtdemonstration. Natürlich ist die Tour noch einmal ein anderes Level. Aber mein Bauchgefühl sagt mir, er macht es.
Und was halten Sie von Primoz Roglic, der nach seinem Wechsel zu Bora-hansgrohe gleich die Dauphine gewonnen hat?
Zimmermann: Mittelfristig traue ich ihm das schon zu, aber im ersten Jahr nach einem Teamwechsel bin ich mir nicht sicher, ob die Abläufe so reibungslos klappen.
Fahren diese drei, vier Athleten, Remco Evenepoel zählt sicher noch dazu, auch für Sie in einer anderen Liga?
Zimmermann: Ja, schon. Ich würde sagen, dass zehn bis 15 Fahrer extrem schnell in den Bergen unterwegs sind. Ein Beispiel: ich kann an einem Berg so 20 Minuten sechs Watt pro Kilo ganz gut fahren. Das ist schon am oberen Limit für mich. Mein absoluter Bestwert liegt bei 6,2. Die fahren regelmäßig sieben Watt pro Kilo. Ich sehe mich selbst als guten Profi, aber ich bin trotzdem ein Watt pro Kilo davon entfernt, die Tour zu gewinnen. Das ist schon eine Hausnummer.
Woher kommt dieser Abstand?
Zimmermann: Das ist ein Mosaik aus 1000 kleinen Steinen. Ich glaube nicht, dass es da den einen maßgeblichen Faktor gibt. Das ist Talent, harte Arbeit, ganz wichtig Ernährung, gutes Training.
Kritiker sagen auch durch unerlaubte Mittel.
Zimmermann: Das kann ich nicht beurteilen.
Sind die Doping-Kontrollen ausreichend?
Zimmermann: Ich denke schon. Mich klingelt einmal im Monat der Doping-Kontrolleur um sieben Uhr aus dem Bett. Das erinnert mich immer daran, dass viel kontrolliert wird. Ich muss jeden Tag meinen Aufenthaltsort angeben. Das ist auch mit einem Riesenaufwand verbunden. Außerdem muss ich extrem vorsichtig sein, welche Nahrungsergänzungsmittel ich zu mir nehme. Damit beschäftige ich mich jeden Tag.
Fühlen Sie sich gut geschützt gegen die Doping-Sünder, die es sicherlich noch gibt?
Zimmermann: Ja. Ich kann nur sagen, dass ich im fünften Jahr Radprofi bin und mir noch nie Doping angeboten wurde oder ich etwas irgendwie Suspektes mitbekommen habe. Daher denke ich, dass es nicht so schlecht um den Radsport bestellt sein kann.
Sie gehen jetzt in ihre vierte Tour? Wie hat sich ihre Herangehensweise geändert?
Zimmermann: Man muss einfach den Fokus behalten. Man kann sehr übermotiviert in die erste Woche gehen, dann kommt der erhoffte Erfolg nicht, dann lässt man den Kopf hängen und ist müde und kaputt und fährt die nächsten zwei Wochen nur hinterher. Man muss ausgeglichen und entspannt zur Tour anreisen. Das Rennen ist 21 Etappen lang, da passiert immer etwas Unvorhergesehenes und darauf muss man sich einlassen. Das tue ich.
Haben Sie ihre Trainingsumfänge verändert?
Zimmermann: Die habe ich enorm gesteigert. Früher habe ich auch viel trainiert, war aber schnell müde. Jetzt halte ich viel höhere Trainingsumfänge aus. Vergangenes Jahr bin ich deutlich über 30.000 Kilometer auf dem Rad gesessen. Es waren am Ende 33.000 oder 34.000 Kilometer. Das ist schon enorm.
Simon Geschke hat sich unter anderem in einem Höhensimulations-Hotel im Breisgau auf die Tour vorbereitet.
Zimmermann: Kann man machen. Ich kann aber auch im Kühtai auf 2200 Höhenmeter das Bergpanorama genießen und habe keinen Kompressor, der im Hintergrund Lärm macht. Da war absoluter Hochsommer. Mein Tacho hat 34 Grad angezeigt, ich war nach den Trainingseinheiten im Stausee schwimmen. Und ich gestehe es, ich habe mir auch ein Eis gegönnt.
Nach der Tour de France warten ja noch die Olympischen Spiele in Frankreich. Zwei deutsche Fahrer dürfen starten. Wie sind ihre Chancen?
Zimmermann: Die Entscheidung ist noch nicht gefallen. Es ist ein großer Traum von mir. Nur zwei deutsche Radprofis dürfen zu den Olympischen Spielen. Es ist eine richtig harte Selektion.
Es heißt ja: aus fünf mach zwei. Bundestrainer André Greipel hat für sein Kandidaten-Quintett mit John Degenkolb, Nils Politt, Maximilian Schachmann, Max Walscheid und Ihnen das Rennen um die deutsche Meisterschaft als wichtige Nominierungsetappe ausgerufen. Aber keiner konnte+ sich im Vorderfeld platzieren.
Zimmermann: Das hat auf jeden Fall nicht geholfen. Wir haben uns untereinander das Leben schwer gemacht und auch die anderen Teams hatten uns dann noch mehr auf dem Zettel. Für mich persönlich war das Rennen dann schon ein wenig frustrierend, weil ich richtig gut drauf war, aber ein Großteil des Rennens von vielen anderen Fahrern gedeckt wurde und nie freie Fahrt hatte. Erst als ich übers Zielband gefahren bin und gehört habe, dass Marco (Brenner) gewonnen hatte, war alles wieder gut. Das freut mich, er hat es sich wirklich verdient.
Wie muss man sich das vorstellen: Sie werden gedeckt?
Zimmermann: Ich war ja als Einzelkämpfer dort unterwegs. Trotzdem habe ich mehrfach probiert zu attackieren, meine Beine waren richtig gut. Aber immer, wenn ich es versucht habe, waren sofort viele Fahrer am Hinterrad. Da gibt man irgendwann auf. Das ist, wie wenn Jamal Musiala Richtung Strafraum läuft, oder der junge Maximilian Beier. Der muss sich mit einem Verteidiger rumschlagen, Musiala mit vier. So habe ich mich auch gefühlt.
Die Deadline für die Nominierung ist der 5. Juli. Da läuft die Tour schon. Eine starke Etappe und Sie könnten dabei sein.
Zimmermann: Das ganze Auswahlverfahren ist ein bisschen kurios. Seit Sonntag mache ich mich bei diesem Spielchen nicht mehr verrückt. Mein Ziel ist es, eine gute Tour de France zu fahren. Ob es mir vor oder nach dem Stichtag gelingt, eine gute Etappe zu fahren, ist für mich zweitrangig. Ich konzentriere mich auf mich.