
Gewinnen? Wie geht das eigentlich noch? 20 Bundesliga-Spiele und 182 Tage hat der 1. FC Nürnberg gebraucht, um diese Erfahrung wieder zu machen. „Es freut uns, dass wir nun nicht mehr über irgendwelche Serien reden müssen“, sagte Trainer Boris Schommers nach dem 3:0 (0:0) gegen den FC Augsburg mit einer Prise Ironie. Für den erstaunlich wenig beschäftigten Torwart Christian Mathenia war es, die letzte Saison beim Hamburger SV mitgerechnet, sogar der erste Dreier nach 25 Spielen und deshalb „ein brutales Gefühl“.
„Dieses Spiel brauchte einen Türöffner“, sagte Schommers zum Nürnberger Führungstreffer nach 52 Spielminuten, weil ihm eine Standardsituation vorausging. Stürmer Mikael Ishak, dem das Prädikat Torjäger abhanden gekommen ist, spitzelte eine Freistoßflanke von Sebastian Kerk unbedrängt ins Netz. Die Augsburger Abwehr hatte ihn schlicht vergessen. Für das klare Endergebnis sorgten erst zwei gute Konter in den Schlussminuten. Der von Tim Leibold auf die Reise geschickte Matheus Pereira, der in der 70. Minute eingewechselt worden war, sorgte mit seinem 2:0 für die Entscheidung (88.). Eduard Löwen setzte gegen in Auflösung begriffene Augsburger dann noch das 3:0 obendrauf (90.+1).
Die Geschichte des Spiels war natürlich nicht der erste Kurzeinsatz von Winterneuzugang Ivo Ilicevic oder die Nichtberücksichtung von Virgil Misidjan, sondern der Treffer von Pereira. Der 22-Jährige hatte dem Club mit einer frühen Tätlichkeit beim 1:2 in Düsseldorf das Leben schwer gemacht und stand nach abgelaufener Sperre erstmals wieder zur Verfügung. Von Anfang an wollte ihn Schommers nicht bringen, blickte ihm aber vor dessen Kurzeinsatz noch einmal tief in die Augen. Und der Brasilianer wies nach, dass er der feinste Fußballer im Kader ist. Düsseldorf ist seit Samstag vergeben und vergessen.
Mühl und Leibold haben Glück
Aus Nürnberger Sicht interessierte es hinterher nur noch am Rande, dass das Niveau des Spiels in Teilen der ersten Halbzeit deutlich die Schmerzgrenze überschritten hatte. Zum Nürnberger Glück blieb ein Ellbogencheck von Lukas Mühl ins Gesicht von Alfred Finnbogason ungeahndet – genauso wie der Trikotzupfer von Leibold am im Strafraum zum Kopfball hochsteigenden Michael Gregoritsch (86.).
Augsburg durfte sich in Summe aber nicht beschweren. Gelegentliche Beobachter des FCA fragten sich angesichts des bis auf eine Drangphase vor dem 0:2 unterirdischen Auftritts der Schwaben, wie sie es eigentlich Jahr für Jahr schaffen, sich in der Bundesliga zu behaupten. Trainer Manuel Baum hielt sich, wohl auch angesichts des DFB-Pokalspiels am Dienstag gegen RB Leipzig, zurück mit seiner Kritik. Der Abstiegskampf ist für den FCA in dieser Verfassung aber noch längst nicht vorbei.
Was kann er bewirken, was setzt er frei, dieser dritte Saisonsieg? Die Antwort wird die Nürnberger Mannschaft am nächsten Samstag geben. Im Spiel beim direkten Konkurrenten VfB Stuttgart, der auf dem Relegationsplatz steht und vor seinem Gastspiel am Sonntagabend in Frankfurt vier Punkte Vorsprung auf den Club hatte. Ewerton, der vor seiner Auswechslung nur eine Rippenprellung erlitt, kann dabei sein. Ein weiterer Sieg – und das Wunder Klassenerhalt wäre doch noch möglich. Ganz ausschließen mag man das nicht, denn in Nürnberg herrscht eine ganz spezielle Situation.
Schommers feiert Sieg auf seine Weise
Mit einer Mannschaft, die sich trotz beschränkter Mittel einfach weigert, den Glauben an sich zu verlieren, dazugelernt und im Training „immer sehr gute Stimmung“ (Mathenia) hat. Mit einem Interimstrainer Schommers, dessen Prophezeiung eintraf, nach den Topteams als Gegner werde es gegen Augsburg endlich einmal ein Spiel auf Augenhöhe geben – mit einer größeren Chance zu punkten. „Im Kreis nach dem Abpfiff habe ich in erhobene Gesichter geschaut“, freute sich der 40-Jährige. Den ersten Sieg im sechsten Spiel unter seiner Regie feierte er auf seine Art. Er fuhr noch zum Valznerweiher, Videos sichten, um den Profis beim Sonntagstraining seine Analyse zu präsentieren.
Und dann sind da noch die Club-Anhänger, die ergebnisunabhängig jede Woche der Mannschaft enormen Rückhalt verschaffen. Das gibt es so bei nicht vielen Vereinen in Deutschland. Satte 42 658 Besucher begrüßte das Kellerkind am Samstag. „Grandios, was schon bei jeder Ecke abgeht“, sagte Mathenia. Nach dem Abpfiff wurde die Mannschaft minutenlang gefeiert, kaum einer ging gleich, Leibold war es fast zu viel: „Wir sind nicht deutscher Meister geworden.“ Kerk, der nicht nur wegen seiner Freistöße zurück zu alter Stärke gefunden hat, stellte fest: „Die Zuschauer haben uns getragen, als uns Augsburg in der zweiten Halbzeit kurze Zeit eingeschnürt hat.“
Für Schommers war es „die noch größere Leistung, wie wir in den letzten beiden Auswärtsspielen unterstützt worden sind. Die Fans honorieren es, wie die Mannschaft arbeitet.“