Am Anfang stand noch ein Zurechtrücken des Mikros, ein Blick auf die imposante digitale Sponsoren-Wand. Fast wirkte es, als ob Thomas Tuchel sich vor seiner ersten Spieltags-Pressekonferenz noch selbst an die Gegebenheiten gewöhnen müsste. Ist ja auch immer noch ungewohnt, Tuchel in der Arbeitskleidung des FC Bayern zu sehen. Der 49-Jährige selbst bezeichnet seine erste Woche an der Säbener Straße wie folgt: "Work, eat, sleep, repeat – so war meine Woche. Ich war am Abend gut müde und habe tief und fest geschlafen und war am nächsten Morgen wieder bereit."
Was das Training anging, das wegen der Absenz seiner Nationalspieler recht behelfsmäßig vonstattengehen habe müssen, habe es sich angefühlt, "als ob wir nur einen Tag gehabt hätten". Beim ganzen anderen – der Trainingsplanung, dem Kennenlernen, dem Strukturieren der Arbeit – habe die erste Woche jedoch gewirkt wie ein Monat Arbeit. Gut geschlafen habe er am Abend, erzählt Tuchel, angetrieben habe ihn ein Ziel: "Es muss klappen, egal, wie viel Zeit ist." Mit diesem "es" ist das gemeint, was am Samstagabend auf dem Programm steht: Im Heimspiel gegen Borussia Dortmund (18.30 Uhr, Sky) steht der maximal mögliche Ernstfall im Ligaalltag an.
Das Spiel FC Bayern gegen Borussia Dortmund wird in über 200 Länder übertragen
Nicht nur Deutschland wird das deutsche Gipfeltreffen verfolgen: Laut Auskunft der Deutschen Fußball Liga (DFL) wird die Partie in mehr als 200 der 211 in der Fifa organisierten Länder zu sehen sein. Edin Terzic, der Coach der Dortmunder, will sich von der niederschmetternden Statistik – zuletzt gewann der BVB vor neun Jahren in München– nicht entmutigen lassen: "Wir wollen zeigen, dass wir anders sind als in den letzten Jahren." Die Zielsetzung aus Tuchels Sicht wiederum ist auch klar: Von dem Spiel soll das Zeichen ausgehen, dass die Zeit des Schluderns beim FC Bayern vorbei ist. "Das wird eine enorme Signalwirkung haben. Es ist ein großes Match, wir wollen die Tabellenführung zurück." Dass das alleine beim FC Bayern ja noch längst nicht reicht, weiß Tuchel auch. "Wenn du im April deine Arbeit beim FC Bayern startest und alle drei Titel holen kannst, dann willst du auch alle holen." Die Gelegenheit dazu wird sich in den kommenden Tagen Schlag auf Schlag ergeben: Am Dienstag steht das Pokalspiel gegen Freiburg an, eine Woche später die Nagelprobe in der Champions League gegen Manchester City.
Nun aber erst mal Dortmund. Selten war das Spiel so aufgeladen wie diesmal. Wortpaare hierzu: Dortmund und Tabellenführung, Bayern und Platz zwei, BVB-Siegesserie und Bayern-Krise, Watzke und Tuchel. Mit dem Geschäftsführer des BVB war der heutige Bayern-Coach in seiner Zeit in Dortmund nicht gerade freundschaftlich verbunden gewesen. Die Kontroverse um den Anschlag auf den Mannschaftsbus hatte das ohnehin schwierige Verhältnis zum Kippen gebracht. Mittlerweile sei alles wieder stabil, betonte Tuchel: "Das Verhältnis hat geruht, und mit Ruhe glätten sich die Wogen." In einer Dokumentation auf Sky zu dem Anschlag gibt Watzke zu: "Da ist zwischen mir und dem Trainer einiges kaputtgegangen." Tuchel, der sich in der Doku nicht äußern wollte, sieht das offenbar ähnlich, sagte auf Nachfrage dazu: "Der Hauptunterschied war, dass ich diesen Tag im Bus erlebt habe, manche Entscheidungsträger hingegen nicht."
Bayern gegen Dortmund - das ist jetzt auch Tuchel gegen Watzke
Das Verhältnis zu Watzke sei wieder stabil. Was an Tuchel aus der sportlich erfolgreichen, aber nur kurzen BVB-Zeit haften blieb, war das Prädikat "schwierig". Tuchel scheint sich in seiner ersten Woche alle Mühe zu geben, dieses Urteil zu widerlegen. Der 49-Jährige gibt sich sympathisch, schüttelt Hände und hat alleine durch sein Auftreten schon Pluspunkte gesammelt. Ohnehin treffe diese Sichtweise nicht zu: "Das ist zu lange her, um eine Schublade aufzumachen und mich auf diese eindimensionale Weise zu beschreiben."
Kontakte sucht Tuchel auch innerhalb der Mannschaft, die erst seit Freitag wieder komplett, weil mit allen Nationalspielern vertreten ist. Dass Joshua Kimmich und Leon Goretzka ihren Unmut über das Aus seines Vorgängers Julian Nagelsmannäußerten, sei kein Problem. Vielmehr sei es "verständlich, dass erwachsene Männer ihre eigene Meinung haben" – zumal dann, wenn es sich um Führungsspieler handle. Mit den drei Kapitänen Kimmich, Manuel Neuer und Thomas Müller habe der neue Coach den Austausch gesucht.
Tuchel hatte bereits Kontakt mit Uli Hoeneß
"Für mich verkörpern sie alles, wofür Bayern München steht. Es ist für mich ein Geschenk, mit ihnen zu arbeiten." Die Mannschaft der Bayern sei gespickt mit Spielern, die Tuchel selbst schon in seinen früheren Klubs habe verpflichten wollen. Wer am Samstagabend auflaufen wird? Dazu wird es eine große Auswahl geben, nachdem sich Jamal Musiala wieder fit gemeldet hat. "Es wird eine sehr unfaire Aufstellung werden, weil mir die Trainingseindrücke fehlen."
Ein großes Versprechen hat Tuchel in seiner ersten Woche an einen abgegeben, der mit dem FC Bayern verschmolzen zu sein scheint wie kaum ein anderer: Uli Hoeneß. Mit dem Ehrenpräsidenten habe es ebenfalls bereits persönlichen Kontakt – und ein großes Versprechen – gegeben: "Ich wollte ihm sagen und ihn wissen lassen, dass ich mein Bestes gebe, um gut auf seinen Klub aufzupassen." Ein Sieg gegen Dortmund wäre ein erstes Einlösen.