Thomas Müller kritzelte seine Unterschrift auf Trikots, Leon Goretzka posierte für Selfies. Alles wie immer also, wenn der FC Bayern München seine Türen öffnet, der bajuwarische Anhang in Scharen anreist und den Trainingsplatz umsiedelt. Rund 2400 Fans suchten am Sonntag das Gelände des Serienmeisters auf. Auf den ersten Blick deutete an der Säbener Straße nichts auf die ausgewachsene Krise hin, in der sich das titelverwöhnte Fußballunternehmen dieser Tage befindet. Das schnöde Zahlenwerk der vergangenen Tage und Wochen verdeutlicht hingegen das Ausmaß.
Im DFB-Pokal erneut vorzeitig am SC Freiburg gescheitert; in der Meisterschaft zwar Tabellenführer, aber von Borussia Dortmund energisch bedrängt; und in der Champions League mit äußerst mäßigen Erfolgsaussichten, nachdem Manchester Cityim Viertelfinal-Hinspiel über die Bayern rollte. Die Resultate allein genügen für Alarmstimmung, hinzu kommt die katastrophale Außendarstellung, die in einem handfesten Schlagabtausch zwischen Sadio Mané und Leroy Sané gipfelte.
Pep Guardiola, der ewig Getriebene, der einst die Münchner zu Erfolgen anleitete und jetzt das übermächtige Manchester befehligt, macht, was er in solchen Situationen reflexartig immer macht: Er warnt. In den Konflikten innerhalb der Bayern-Mannschaft sieht der spanische Stardirigent an der Seitenlinie keine Schwäche, vielmehr hätten sie einen reinigenden Prozess in Gang gebracht. Guardiola erwartet also eine Trotzreaktion, ein „Jetzt erst recht“ der Münchner, eine Partie im Alles-oder-nichts-Modus. Was der City-Coach bereitwillig ausklammert, ist die beängstigende Form, in der sich seine eigene Mannschaft und Starstürmer Erling Haaland befinden.
Dem gegenüber steht ein FC Bayern, dem in der entscheidenden Phase der Saison vor Augen geführt wird, dass Schlüsselpositionen im Kader nicht höchsten Ansprüchen genügen. Vor allem, weil in einem entscheidenden Mannschaftsteil Stabilität fehlt. Fakt ist: Die Bayern kassieren in bedeutsamen Partien, die den Saisonverlauf entscheidend beeinflussen, zu viele Gegentreffer.
FC Bayern hat unter Salihamidzic knapp 240 Millionen Euro in die Abwehr gesteckt
Unter Sportvorstand Hasan Salihamidzic investierten die Münchner knapp 240 Millionen Euro in verteidigendes Personal, mit Matthijs de Ligt (67 Millionen) und Benjamin Pavard (30 Millionen) überzeugten zuletzt lediglich zwei der Verpflichtungen. David Alaba, der das Defensivspiel jahrelang geprägt und zugleich in der Kabine Wort geführt hatte, wechselte hingegen des Gehalts wegen zu Real Madrid. Und dass Sommer im Tor keinen Neuer ersetzt, ist eine weitere Erkenntnis der jüngsten Bayern-Auftritte.
Zur Defensivschwäche gesellt sich offensives Brachland. Im Sommer noch wurde Salihamidzic für den Abschied des aalglatten Abkassierers Lewandowski gelobt, inzwischen wächst die Kritik, weil es keinen Ersatz für den Torgaranten gab. Ob Sané, Mané, Gnabry oder Müller– als Vollstrecker und Wandspieler in Tornähe dient keiner von ihnen. Auch Choupo-Moting kann das Problem fehlender Durchschlagskraft nicht beheben. Weil: verletzt. Der Franzose Tel gilt als hochveranlagt und Versprechen für die Zukunft. Aber beordert Trainer ThomasTuchel tatsächlich einen 17-Jährigen in dieser Partie in die Startelf? Kaum vorstellbar.
Längst kursieren die Namen Kane (Tottenham), Muani (Frankfurt) oder Osimhen (Neapel), doch kurzfristig hilft keiner der Genannten weiter. Treffer beim anvisierten Wunder gegen Manchester City obliegen dem vorhandenen Personal (Mittwoch, 21 Uhr/DAZN). Dass nun ausgerechnet der mit sich selbst beschäftigte Senegalese Mané, der mit dem „Mia san mia“-Klub, Umfeld und Mitspielern fremdelt, den Unterschied gegen das schier unbezwingbare Manchester ausmachen könnte, dafür fehlt indes Fantasie.
Sadio Mané wirkte mit dem FC Liverpool beim Wunder gegen den FC Barcelona mit
Andererseits: Wie scheinbar Unmögliches bewerkstelligt werden könnte, weiß ausgerechnet der gegen die TSG Hoffenheim noch suspendierte Mané. Vor vier Jahren war er Protagonist eines denkwürdigen Halbfinales in der Champions League. Gegen den FC Barcelona hatte der FC Liverpool im Hinspiel ein 0:3 kassiert. Im Rückspiel holten die Engländer diesen Rückstand auf, siegten 4:0 und zogen ins Endspiel ein. Mané erzielte keinen Treffer, stürmte jedoch im Angriffszentrum und half maßgeblich beim Weiterkommen mit.
Drei Tore in der Königsklasse aufzuholen, das war zuvor schon einmal dem AS Rom (Viertelfinale 2017/18) und Deportivo La Coruna (Viertelfinale 2003/04) geglückt. Der FC Barcelona war Leidtragender, im Achtelfinale der Saison 2016/17 schaffte er zugleich aber auch Einmaliges. Gegen Paris St.- Germain holten die Katalanen in der Königsklasse ein 0:4 aus dem Hinspiel auf und siegten 6:1.