Herr Reuter, vor zehn Jahren gab der FC Augsburg bekannt, dass Sie die Nachfolge von Jürgen Rollmann als Manager des Bundesligisten antreten würden. Hätten Sie damals gedacht, dass es zehn Jahre beim FCA werden?
Stefan Reuter: Darüber habe ich mir gar keine Gedanken gemacht. Vor dem Rückrundenstart war der BR damals bei uns und hat Filmaufnahmen gemacht. Sie haben in meinem Büro den Drehstuhl am Schreibtisch schnell gedreht und gesagt: "Der Schleudersitz der Liga". So wurde mir überhaupt erst klar, dass ich nach Andreas Rettig, Manfred Paula und Jürgen Rollmann der vierte Manager in kürzester Zeit war. Ich habe den FCA als große Chance und spannende Aufgabe gesehen. Daran hat sich nichts geändert. Es ist glücklicherweise sehr gut gelaufen.
Für Sie war es nach dem Ende beim TSV 1860 München die große Chance, wieder im Profifußball Fuß zu fassen.
Reuter: Ich hatte viele Möglichkeiten im Profifußball was zu machen, aber die Aufgabe sollte 100 Prozent passen. Mir war wichtig, dass unter allen sportlichen Entscheidungen auch meine Unterschrift stehen muss. Nicht, dass ich alleine entscheiden wollte, aber ich wollte bei allen Entscheidungen rund um die Mannschaft mitsprechen können. Das betrifft die Mannschaft, aber auch das Trainer- und Funktionsteam, weil es ohne das Team und ohne die Geschlossenheit nicht funktioniert. Es ist wichtig, dicht dran zu sein. Es funktioniert nur, wenn man in der Kabine mit dabei ist, bei den Ansprachen des Trainers, damit man weiß, was er einfordert und dann beurteilen kann, wie setzen es die Spieler um. Darum sitze ich auch bei den Spielen unten auf der Bank.
Das war aber kein Lernprozess jetzt über die Jahre.
Reuter: Nein, das war schon immer so. Ich werde auf der Tribüne vom Spiel, vom Wesentlichen, zu sehr abgelenkt.
Unten können Sie auch ein bisschen Einfluss nehmen.
Reuter: Ja, natürlich.
Sind die Aktionen auch mal kalkuliert oder immer aus der Emotion heraus?
Reuter: Natürlich spielen Emotionen eine große Rolle. In den ersten Jahren haben wir sicher auch mal eine Spitze bewusst gesetzt, aber wir haben uns da schon zurückgenommen.
Was war Ihr persönliches Highlight in diesen zehn Jahren?
Reuter: Das war das letzte Spiel in der ersten Saison zu Hause gegen Greuther Fürth. Vor dem Spieltag war unser Traum, die Relegation zu erreichen. Letztlich haben wir es mit diesem Sieg und einem von Alex Manninger gehaltenen Elfmeter in der Anfangsphase geschafft, sogar noch 15. zu werden und direkt in der Liga zu bleiben. Das Spiel war die Krönung, nachdem wir mit neun Punkten nach der Winterpause gestartet sind.
Also nicht die Europa-League-Nächte?
Reuter: Das waren natürlich auch sensationelle Erlebnisse. Gerade an den 3:1-Sieg in Belgrad, mit dem wir nach der Gruppenphase weitergekommen sind, obwohl wir die ersten zwei Spiele verloren hatten, erinnere ich mich auch sehr gerne. Raul Bobadilla erzielt in letzter Minute das 3:1. Das waren ebenfalls unglaubliche Emotionen. Aber schon das letzte Spiel in Gladbach in der Saison davor, in dem wir uns mit einem Sieg direkt als Fünfter für die Europa League qualifiziert hatten, war ein Highlight.
Da erzielte Sascha Mölders das Tor zum 3:1-Endstand. In den Europa-League-Kader schaffte er es aber nicht. Warum?
Reuter: Der Trainer hat sich damals für andere und nicht gegen Sascha entschieden.
Was hat für die anderen gesprochen?
Reuter: Ganz ehrlich: Das liegt so lange zurück. Sascha hat viel für den FCA geleistet. In meiner ersten Saison als Verantwortlicher hat er in 24 Spielen zehn Treffer erzielt. Aber in der Saison 14/15, in der wir uns qualifiziert haben, war er lange verletzt, hatte nur ein Tor erzielt und gerade mal 347 Minuten gespielt.
Was waren die Tiefpunkte in Ihrer Amtszeit?
Reuter: Das waren die Spiele ohne Zuschauer in der Corona-Zeit. Alle Spiele hatten eine Art Freundschaftsspielcharakter, weil keine Stimmung aufkommen konnte. Trotzdem sollte sich die Mannschaft pushen. Das war extrem schwer. Aber auch im Pokal gab es einige bittere Niederlagen. Es wäre schön, im Pokal mal weiterzukommen.
Gab es in diesen zehn Jahren auch menschliche Enttäuschungen?
Reuter: Natürlich ist man ab und zu enttäuscht. Aber ein gewisser Egoismus gehört bei Spielern sicher dazu. Jeder sieht die Situation durch seine Brille. Wenn man Cheftrainer oder Sport-Geschäftsführer ist, musst du Entscheidungen treffen, die eng sind, die man auch nicht immer zu 100 Prozent begründen kann. Man kann nur versuchen, ehrlich zu sein. Wenn dann andere enttäuscht sind und sich vielleicht nicht so verhalten, wie man sich es wünscht, darf man aber auch nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen.
Aber manchmal geht das nicht mehr. Wie im Januar 2019.
Reuter: Es gab in der Zeit schon ein paar kuriose Geschichten: Wir wussten damals wochenlang nicht, wo sich Caiuby aufhält. Wir hatten schon ein paar Spieler, die uns sportlich enorm geholfen haben, die auch liebe nette Jungs sind, aber auch brutale Aussetzer hatten. Wir hätten das ein oder andere Mal auch populistische Zeichen setzen und Spieler einfach auf die Tribüne setzen können. Aber das hätte dem FCA geschadet, weil wir damit auch sehr viel Geld des FCA verbrannt und die Gesamtentwicklung gefährdet hätten. Ich sage immer, solange Spieler einer Mannschaft helfen, schauen die Mitspieler über manche Fehler hinweg. Wenn das Mannschaftsgefüge aber bedroht ist, wird es eng.
Haben Sie deswegen am Ende auch Raul Bobadilla 2017 nach Gladbach verkauft?
Reuter: Ich weiß nicht, ob wir so einen guten Fußballer schon mal hier in Augsburg hatten. Raul erinnert mich immer an seinen Landsmann Aguero. Wenn Raul in jungen Jahren bessere Entscheidungen getroffen hätte, wäre er vielleicht ein Weltklassespieler geworden. Boba hat einen guten Kern. Das ist ein Lieber, aber zu diesem Zeitpunkt war er für die Mannschaft zu anstrengend geworden.
Wie war es mit Hinteregger?
Reuter: Martin war auf dem Platz unbestritten. Aber wir mussten ihn dann nach Frankfurt verleihen und später auch verkaufen. Es ging einfach nicht mehr zusammen.
War das auch immer ein Spagat zwischen den wirtschaftlichen Zwängen und den sportlich notwendigen Entscheidungen?
Reuter: Ja, klar. So konnten wir den Klub kontinuierlich nach vorne bringen und die Infrastruktur schaffen, die heute oft als selbstverständlich angesehen wird. Als ich hier nach Augsburg kam, hätte man Fotos von den Maschinen im Kraftraum machen sollen. Der TÜV hätte sie allerdings nicht sehen dürfen.
Ein prägender Trainer in diesen zehn Jahren war Markus Weinzierl. Aber zweimal war die Trennung alles andere als harmonisch. War es ein Fehler, ihn ein zweites Mal nach Augsburg zu holen?
Reuter: Nein, denn wir hatten alles ausgeräumt und eine gute Basis für seine zweite Amtszeit. Letztlich haben wir mit ihm die Klasse ja auch gehalten.
Markus Weinzierl hat unmittelbar nach dem letzten Spiel angekündigt, seinen Vertrag nicht zu verlängern, nachdem Klaus Hofmann schon zurückgetreten war.
Reuter: Das war ein sehr überraschendes Saisonende und eine schwierige Zeit für den FCA. Vielleicht war es die intensivste Zeit in den zehn Jahren, weil die Geschlossenheit, die den FCA immer ausgezeichnet hatte, in dieser Phase nicht zu spüren war. Aber wir haben dies auch als Chance gesehen und nach einer Analyse vieles hinterfragt und die Weichen dafür gestellt, dass wir wieder den intensiven Fußball spielen, für der FCA immer stand.
Unter Walther Seinsch und Klaus Hofmann wurden alle Entscheidungen zusammen mit Ihnen und Ihrem kaufmännischen Kollegen Michael Ströll getroffen. Sie mussten einstimmig sein. Wird das unter dem neuen Präsidenten Markus Krapf auch so sein?
Reuter: Markus Krapf hat es sehr schnell geschafft, den Schulterschluss mit allen Interessensgruppen wieder herzustellen, vor allem mit unseren Fans. Man spürt, wie sehr er diesen Klub mit lebt und liebt. Wir marschieren wieder alle in die gleiche Richtung. Wir nehmen ihn bei wichtigen Themen mit, denn es ist eine Chance für den FCA, dass es nun die Ämtertrennung zwischen Präsident und Investoren gibt. Da Markus Krapf selbst schon als Geschäftsführer für den FCA gearbeitet hat, kennt er auch das operative Geschäft und kann unsere Entscheidungen auch sehr gut einordnen. Er steht uns ebenfalls mit Rat und Tat zur Seite und wendet viel Zeit für den Klub auf.
Sie haben als Manager und dann Sport-Geschäftsführer immer auch das Wirtschaftliche im Blick gehabt. Hätten Sie auch einmal gerne mehr Geld ausgegeben?
Reuter: Michael Ströll und ich sind unter der Marschroute angetreten, dass wir wirtschaftlich vernünftig agieren und dies die Prämisse ist. Dass wir nur das ausgeben, was da ist. Wir werden in dieser Saison erstmals ein größeres Minus machen. Wir haben jedoch bewusst gesagt: Wir verkaufen keine Leistungsträger. Es ist für mich selbstverständlich, dass ich auch immer die Finanzen des Vereins im Blick habe. Ich glaube, das ist auch ein Grund dafür, dass wir so lange im Amt sind. Uns ist nicht egal, was in ein paar Jahren mit dem Verein ist.
Ärgert es einen, wenn in der Bundesliga Konkurrenten vorbeiziehen, die nicht so arbeiten?
Reuter: Es ist immer die Frage, wie nachhaltig das ist. Es gibt genügend Beispiele, die zeigen, wohin es führen kann, wenn man nur kurzfristig denkt. Viele Vereine wären gerne in unserer Situation.
Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Transferbilanz in den vergangenen zehn Jahren?
Reuter: Sehr zufrieden, denn wir hatten und haben sehr spannende Spieler hier. Und wir haben immer unser übergeordnetes Ziel erreicht, die Klasse zu halten. Durch unsere positive Transferbilanz in den letzten zehn Jahren konnten wir die Entwicklung des Klubs Schritt für Schritt nach vorne treiben. Darüber hinaus sind uns sportliche Ausreißer nach oben gelungen. Wir arbeiten daran, dass wir uns auch sportlich weiter nach vorne entwickeln.
Jetzt kommt ja wieder ein Transferfenster. Was macht zum Beispiel Florian Niederlechner?
Reuter: Flo hat noch einen gültigen Vertrag bis zum Ende dieser Saison und wir haben gesagt, dass wir die Entwicklung in der Rückrunde abwarten möchten. Fakt ist aber auch, dass er ab Januar berechtigt wäre, bei einem anderen Verein einen Vertrag ab Juli zu unterschreiben.
Wie sieht es mit Neuzugängen aus?
Reuter: Wenn sich für uns eine Möglichkeit auftut, dass wir sportlich besser werden und wir uns das leisten können, dann sind wir bereit. Ich werde nie eine Position nennen, auf der wir etwas machen könnten, denn ich bin fest überzeugt, dass das Wichtigste ist, dass wir mit den Spielern intensiv arbeiten, die hier sind. Dafür waren die letzten zwei Trainingswochen wichtig. Ich hoffe, dass der Trainer im Januar auch die Qual der Wahl hat, wenn einige verletzte Spieler wieder zurückkommen.
Stichwort Trainer. War es ein Risiko,
Reuter: Wir sind der Überzeugung, dass er ein richtig guter Trainer ist und es allen beweisen möchte. Das tut der Mannschaft gut. Das war bei Markus Weinzierl und Manuel Baum, die ebenfalls beim FCA die Chance bekommen und ihre erste Bundesliga-Station hier hatten, auch der Fall. Enrico Maaßen passt sehr gut zum FCA.
Können Sie sich noch zehn weitere Jahre hier beim FCA vorstellen?
Reuter: Durchaus. Ich fühle mich sehr wohl in Augsburg.
Reuter: Mein voller Fokus liegt beim FC Augsburg. Grundsätzlich wäre das mit einem guten Team ein interessanter Job. Aber für mich kommt das jetzt überhaupt nicht in Frage.