Wenn man so möchte, erzählen die zahlreichen Tattoos von Niklas Dorsch eine Geschichte. Seit zwei Jahren steht der Mittelfeldspieler beim FC Augsburg unter Vertrag. Hätten den 25-Jährigen in dieser Zeit nicht derart viele, teils langwierige Verletzungen ereilt, wäre sein Körper nicht ein solches Kunstwerk. Er habe stets vorgehabt, sich weitere Motive in die Haut stechen zu lassen, erzählt Dorsch. Weil diese Erinnerungen vorwiegend in Phasen entstanden, in denen er nicht Fußball spielen konnte, stünden sie in einem gewissen Zusammenhang, meint Dorsch. Als weitere bleibende Erinnerungen stecken im Mittelfuß und in der Schulter mit Schrauben fixierte Platten, die dortbleiben, sollten sie keine Probleme verursachen.
Eigentlich sollten Szenen auf dem Platz im Gedächtnis bleiben. Dorsch war im Sommer 2021 als amtierender U21-Europameister nach Augsburg gewechselt. Bei einem etablierten Bundesligisten zur Stammkraft aufzusteigen, war als nächster Karriereschritt vorgesehen. Das gelang. Dorsch stand in 27 Spielen in der Startelf und kam 30-mal zum Einsatz. Auf die erste folgte jedoch eine zweite Spielzeit zum Vergessen. Wegen eines Mittelfußbruchs verpasste er beinahe die komplette Vorrunde, in der Rückrunde fehlte er oft krank oder wegen einer Nasen-OP. Dem gegenüber stand das private Glück, dass der gebürtige Oberfranke seit seinem Wechsel nach Augsburg gefunden hat. In München hat er seine Freundin kennengelernt. "Ich fühle mich privat sehr wohl und bin sehr glücklich mit der Stadt, der Umgebung und dem Verein. Vor allem aber damit, dass meine Familie und meine Freundin in der Nähe sind." Menschlich sei er seitdem sehr gereift, fügt er hinzu.
Dorsch will beim FC Augsburg künftig einen Mittelweg gehen
Dorsch sitzt auf einem hohen Barstuhl in der Lobby des Hotels Falkensteiner. In der Vorbereitung, auch im Trainingslager in Schladming, sieht der Spieler eine Art sportlichen Neuanfang. Vor seinen Verletzungen hat Dorsch das Leben eines Musterprofis geführt, achtete auf Ernährung, ausreichend Schlaf, präparierte sich mit einem Individualtrainer. Weiterhin ist er von diesem Weg überzeugt, kam aber zugleich ins Überlegen. War er zu verbissen? Übertrieb er das Training? Vernachlässigte er dadurch das Leben abseits des Sports? Dorsch hat seine Schlüsse gezogen, will einen Mittelweg gehen. "Ich möchte weiterhin professionell leben und alles für den Körper tun, damit ich auf einem Topniveau bin. Für den Kopf brauchst du aber auch Momente, in denen du entspannst und das Leben genießt."
Mit seinen 25 Jahren befindet sich Dorsch im besten Alter. Noch jung, aber erfahren genug, um Verantwortung zu übernehmen. Da Jeffrey Gouweleeuw (Vertrag wird nicht verlängert) und Felix Uduokhai (will Vertrag nicht verlängern) spätestens in einem Jahr den Verein verlassen werden, bildet sich in der Mannschaft eine neue Hierarchie. Im Sommer wurden bereits Rafal Gikiewicz, Daniel Caligiuri, Tobias Strobl und André Hahn verabschiedet. Noch ist nicht entschieden, wer künftig die FCA-Mannschaft anführen wird, Dorsch wurde von Trainer Enrico Maaßen allerdings in den bisherigen Testspielen zum Kapitän bestimmt. Etliches deutet darauf hin, dass das so bleiben wird.
Dorsch hat auf dem Platz eine zentrale Position, redet viel, sortiert, ordnet. Betätigt sich als Balleroberer, zugleich aber als Taktgeber. Daniel Baier prägte jahrelang auf dieser Position das Spiel, auch er trug die Kapitänsbinde, Statur und Spielweise weisen weitere Parallelen auf. Dorsch vermittelt den Eindruck, diese Rolle gerne ausfüllen zu wollen, verordnet sich aber Zurückhaltung. "Ich bin bereit dafür, aber wir haben einige Spieler, die hier infrage kommen. Das entscheiden der Trainer und der Verein. Ich versuche durch meine Leistungen und ehrliche Kommunikation voranzugehen."
Dorsch fordert in engen Spielen mehr Gier
Eine Schlussfolgerung der umfassenden Saisonanalyse war, die Struktur zu verändern. Auffällig oft begnügte sich die Augsburger Mannschaft mit dem Minimalziel. Dass der FCA in der vergangenen Spielzeit lediglich einen Stuttgarter Treffer von der Relegation entfernt war, ließ die Augsburger Alarmglocken endgültig schrillen. Elvis Rexhbecaj, Mads Pedersen, Ermedin Demirovic oder Dorsch sollen noch gezielter Verantwortung übernehmen und der Mannschaft mehr Hunger nach Erfolg verpassen. Dorsch wurde vom FC Bayern München zum Profi geformt. Weiß folglich, was es heißt, jedes Spiel gewinnen zu wollen, ja zu müssen. Gerade gegen Gegner auf Augenhöhe enttäuschte der FCA in der jüngeren Vergangenheit. "In diesen Spielen brauchen wir mehr Mentalität, die unbedingte Gier, dass wir die Spiele auf unsere Seite ziehen. Wir dürfen nach kleinen Erfolgen nicht zufrieden sein und uns ausruhen", betont Dorsch.
Zu dieser Kategorie zählt in der nächsten Spielzeit Aufsteiger 1. FC Heidenheim. Dorsch selbst scheiterte im Sommer 2020 mit Heidenheim in der Aufstiegsrelegation an Werder Bremen. Überrascht hat ihn die Entwicklung des kleinen Klubs in der schwäbischen Alb nicht. "Ich wünsche mir für die Stadt und den Verein, dass das erfolgreich sein wird, weil dort sehr gute Arbeit geleistet wird." In der Tabelle soll der FCA am Saisonende aber vor Heidenheim stehen.
Transfers, News, Personalien: Sie sind interessiert am schnellen FCA-Update? Dann schauen Sie bei unserem FCA-Ticker vorbei.